Sonnenstrahlen tanzen über kleine, grosse, bös anmutende und mütterlich sanft aussehende Figürchen. Daneben warten in unzähligen Kisten gelbe, grüne, blaue und weitere farbige Tücher darauf, herausgeholt zu werden. Bücher, Bilder, Kärtchen, Handpuppen und Instrumente reihen sich in grosse Regale ein – ein kunterbuntes Spielparadies. So scheint es jedenfalls auf den ersten Blick. Tatsächlich aber sind all diese Gegenstände Teil von Johanna Künzis dramatherapeutischer Arbeit.
In der Schweiz ist Johannas Beruf bisher wenig bekannt. Ihre Ausbildung am Institut für Dramatherapie in St. Gallen absolvierte sie 2010 als Teil des ersten Jahrgangs. Kurz darauf machte sie sich selbstständig. Seit drei Jahren sind sie und ihre bunte Requisitensammlung nun schon in ihrer Praxis neben den Archhöfen zu finden.
Vor 25 Jahren kam die Polin in die Schweiz, nach Winterthur, wo ihr Ehemann wohnte. Bevor sie zur Dramatherapie fand, arbeitete Johanna in der Psychiatrie in Rheinau als Pädagogin: «Dort merkte ich, dass die Gesprächstherapie teilweise an Grenzen stiess, beispielsweise wenn sich Klient*innen mit Worten nicht ausdrücken konnten.» Dieses Problem kann die Dramatherapie, eine der fünf Fachrichtungen der Kunsttherapie, umgehen. «Das wichtigste Grundkonzept heisst EPR, Embodiment – Projektion – Rolle», erklärt Johanna. Embodiment bedeutet Verkörperung, also das Finden des Kontakts zum eigenen Körper, was hilft, die eigenen Emotionen besser zu regulieren. Projektionstechniken helfen, Probleme zu visualisieren, dabei können Figuren, Farben, Ton, Sand, Aufstellungs- und Psychodramaelemente zum Einsatz kommen. Und das Rollenrepertoire ermöglicht es, verschiedene Situationen zu erforschen, zu erleben und Handlungsmöglichkeiten spielerisch auszuprobieren. So kann sich in der Dramatherapie das Bewusste mit dem Unbewussten verbinden, was den Weg zu Veränderung ebnet.
Johanna therapiert in ihrer Praxis sowohl Menschen mit psychischen als auch mit körperlichen Herausforderungen. «Schlechte Erlebnisse belasten nicht nur unsere Psyche, sie stauen sich auch in den Organen, Gelenken und Muskeln und hinterlassen Spuren im ganzen Körper. Der Körper speichert alle Erlebnisse, selbst wenn wir sie kognitiv vergessen oder verdrängt haben. Wenn wir das Leiden der Seele also nicht bemerken, dann meldet sich der Körper und versucht zu kompensieren, was uns belastet», erklärt sie.
In den Sitzungen findet Johanna zusammen mit den Klient*innen einen Weg, die körperliche oder psychische Belastung in der sogenannten «dramatischen Realität» sichtbar und bewusst zu machen. «In der dramatischen Realität ist alles möglich, es gibt weder richtig noch falsch und wir können dort alles erforschen und ausprobieren. Sei es ein Symptom, ein Schmerz, ein Problem oder eine belastende Situation», erklärt Johanna. Sie macht Vorschläge, was für Techniken zum Einsatz kommen können und die Klient*innen entscheiden, was ihnen im Moment entspricht.
Johanna begleitet den Prozess: «Ich höre zu, ich beobachte die Haltung, den Atem, die Bewegungen der Klient*innen. So kann ich immer auf den Menschen eingehen. Denn oftmals zeigt uns unser eigener Körper die Lösung, aber wir sehen uns selbst ja nicht und nehmen es nicht wahr.»
Wenn Johanna zusammen mit den Klient*innen wieder aus der dramatischen Realität heraustritt, können sie gemeinsam betrachten, was im Prozess passiert ist und das Erlebte und Dargestellte besprechen. «Ich zeige, was ich in diesen komplexen Prozessen wahrnehme, und spiegle es den Klient*innen zurück. Was sie darin sehen, ist das Relevante!», sagt Johanna.
Ihre positive Art nutzt Johanna auch, um der Dramatherapie zum Aufschwung zu verhelfen: Neun Jahre hat sie für den Dachverband für Kunsttherapie OdA ARTECURA gearbeitet. Sie hat Symposien und Kunsttherapietage mitorganisiert sowie den neuen Webauftritt und die Weiterentwicklung der Organisation vorangetrieben. Momentan baut sie zusätzlich zur Therapiearbeit an der Fachhochschule Ost einen CAS im Bereich Sozialpädagogik auf, wo unterstützende Werkzeuge der Dramatherapie vermittelt werden sollen.
Ihre Erfahrungen aus der Dramatherapie nutzt Johanna auch ausserhalb ihrer Praxis. Die aufgeweckte Dramatherapeutin hat bereits acht Theaterstücke mit Menschen mit Beeinträchtigung erarbeitet und am Theaterspektakel in Zürich zur Aufführung gebracht. Mit der Technik der Dramatherapie ermächtigt Johanna die Menschen, deren inneres Wesen zu zeigen. Die Rückmeldungen seien überwältigend gewesen. Man hätte die Seele der Menschen in diesen Stücken gesehen und nicht ihre Beeinträchtigungen, wurde ihr gesagt. Es ist ihr ein Anliegen, dass Menschen sich so zeigen können, wie sie sind.
Deshalb engagierte sie sich von 2020 bis 2024 auch im Kunstatelier Drahtzug in Zürich und ermöglichte psychisch kranken Menschen, ihre Kunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, indem sie Gelder einholte und Mitarbeiter*innen wie auch Klient*innen mit ihrem riesigen Elan und Optimismus für ihre gemeinsame Vision ermutigte.
In ihrer Freizeit kultiviert Johanna gern ihre feinfühlige Wahrnehmung. Sie geht ins Theater, liest Bücher, hört Konzerte im Musikkollegium oder schaut Filme im Kino Cameo: «Das gibt mir neue Impulse und Ideen für meine Arbeit.» Sie spielt auch beim Playback-Theater mit, einer Improtheatergruppe, welche keine therapeutische Funktion hat, sondern bei der der Spass am Inszenieren im Mittelpunkt steht.
Woher Johanna all ihre Energie nimmt? «Meine Grossmütter haben mir zwei essenzielle Glaubenssätze für mein Leben mitgegeben, die ich tief verinnerlicht habe», erklärt sie. Der eine sei: «Was du rufst, das kommt. Ich soll an das glauben, was ich mir zum Ziel setze», der andere: «Es lohnt sich, in sich selbst zu investieren.»
Andrea Frei ist gleichermassen fasziniert von der Dramatherapie und von Johanna.
Laura Rubli ist freischaffende Fotografin und studiert Architektur.
Mehr Infos zu Dramatherapie finden sich auf Johannas Webseite www.kunst-und-dramatherapie.ch.