Sina Reinhart, der Feierabend, 2020. www.studiodizzi.ch

Denke ich an Tarot-Karten, dann denke ich an die in Blavatsky vernarrten Symbolist*innen um 1900, die mit einem Waite-Deck in von Opiumschwaden verhangenen Zimmern ihre Zukunft in Séancen heraufbeschwören … an die Aleister-Crowley-Anhänger*innen der psychedelischen Albert-Hofmann-Generation, die in VW-Bussen das Deck des Okkultisten auslegen … an die Synthiesounds und Kristalllichter der 1980er-New-Age-Welle. Da die Faszination fürs Tarot schon lange anhält, ist gemeinhin bekannt, wie diese Karten aussehen. Mit ihrer Page Blanche spielt die 22-jährige Grafikerin Sina Reinhart, die gern mit verschiedenen Stilen und Techniken experimentiert, auf das Tarot-Format an. Die Bildunterschrift «Der Feierabend» gibt das Thema der Karte vor. Auf ihrem Bild schmilzt das nach rechts gelehnte Gesicht einer Person, rinnt hinab in einen Kelch. Über ihre Schulter blickt eine surreal anmutende Katze, deren drittes Auge geöffnet nach links blickt. Die Farben sind, dem Tarot entsprechend, symbolisch aufgeladen. Das Abendblau weckt Assoziationen an die Stimmung, in der der Wein nicht mehr die Kehle hinunter-, sondern der Geist in den Kelch hinabzufliessen scheint. Die Katze hingegen leuchtet im Feiergelb. Zauselig, doch munter lauert sie auf alles Mögliche. Die Figuren bilden eine Allegorie für den Feierabend. Er spannt sich zwischen verdösten Stunden und erregenden Augenblicken auf. Was verheisst diese Karte nun für deine Zukunft, Winti?

Text: Julius Schmidt