Auf beiden Seiten der Gesuche

Auf beiden Seiten der Gesuche

In der Schweizer Musikszene mischt sie schon lange mit – nun ist die Sängerin und Komponistin Gabriela Krapf seit Anfang November auch Mitglied des Fachbereichs Jazz & Rock/Pop beim Aargauer Kuratorium. Neben dem Sichten von Anträgen und dem Bewerten von Konzepten findet sie dennoch stets Zeit und Musse fürs eigene Songwriting.

«Ich gelobe es», schwört Gabriela Krapf vor der Weibelin und dem gesamten Grossen Rat an diesem Dienstagmorgen im November in Aarau – und wird damit offiziell Mitglied des Aargauer Kuratoriums im Fachbereich Jazz & Rock/Pop. «Das war schon ziemlich speziell – und wohl eine einzigartige Prozedur in diesem Land», meint die Winterthurer Musikerin. Eine befreundete Künstlerin hatte sie für das Amt vorgeschlagen. Nach grünem Licht seitens Kuratorium wurde ihre neue Aufgabe politisch: Zuerst stellte sie sich bei jeder einzelnen Parteifraktion vor und beantwortete die Fragen der Politiker*innen. Im Stillen wurde abgestimmt und sie dann an der Inpflichtnahme zum offiziell gewählten Mitglied des Kuratoriums. «Das ist mir schon recht eingefahren», erinnert sich Gabriela Krapf. In seinem Ursprung sei das Kuratorium ein Konstrukt aus den 68ern, als kulturaffine Bürger*innen der Meinung waren, dass Kultur unterstützt und gefördert werden müsse. Dabei war es stets mit der Politik verflochten – früher musste man, um Teil des Kuratoriums zu werden, gar von einer Partei aufgestellt werden.

 

Geblieben ist das politische Prozedere der Inpflichtnahme, ansonsten funktioniert das Kuratorium unabhängig und fokussiert ganz auf sein Kerngeschäft: die Kultur. Trotz ihrer grossen Erfahrung in der Kulturszene schwimmt die 48-Jährige noch etwas im kalten Wasser, was ihre neue Aufgabe anbelangt. Ihre erste Klausur hat sie schon hinter sich: Für einen Tag hat sich das Team anfangs November getroffen und sich mit dem Thema «Weiterentwicklung des Kulturkonzepts im Kanton Aargau» auseinandergesetzt. «Ich habe innert kürzester Zeit extrem viel dazugelernt», erzählt sie.

Wie gross der zeitliche Aufwand für ihr neues Amt sein wird, ist schwierig abzuschätzen, meint Gabriela Krapf. Nicht, dass sie diesen scheuen würde – eher ist es ihr wichtig, nebst ihren anderen Engagements genug Zeit zu haben, ihre Kuratoriums-Aufgabe gründlich zu erledigen. Grob geschätzt gibt es jährlich rund 400 bis 500 Gesuche, die in vier Terminen pro Jahr von der zuständigen Jury durchgeschaut und bewertet werden müssen: Vom kleinen Kammermusikkonzert bis hin zu grossen Festivals ist hier alles dabei. Dazu kommen die Werkbeiträge, die jeweils im Februar eingereicht werden. «Wir schauen nebst Eigenständigkeit, Professionalität und Innovationskraft auch darauf, wie aktuell ein Projekt ist, wie die Musiker*innen ihr künstlerisches Handwerk beherrschen, und auch darauf, wie es vermittelt wird», sagt sie und freut sich, auch mal auf der «anderen» Seite zu sitzen und all die Gesuche zu prüfen. Und natürlich auf den intensiven Austausch mit den anderen Mitgliedern.

 

Nebst all der fremden Musik und Konzertideen darf die eigene Musik keinesfalls zu kurz kommen. Aufgewachsen in Speicher in Appenzell-Ausserrhoden, studierte Gabriela Krapf nach der Matura Jazzgesang in Wien und Amsterdam. Im Anschluss an den Master zog sie nach Zürich und führte dort ihre in Amsterdam gegründete Band Lobith mit Schweizer Besetzung weiter und veröffentlichte die Platten «Five Feet Underground», «Panorama» und «Sunday Land». Irgendwann zog sie zu ihrem Mann, dem Musiker Ernst David Hangartner, nach Winterthur, wo sie gemeinsam das Indie-Pop-Duo The Homestories gründeten und damit im In- und Ausland tourten. Bei Gabriela Krapf and Horns sass sie an Klavier und Mikrofon und spielte gemeinsam mit drei Bläsern. «Später haben wir das Quartett vergrössert auf ein Septett mit Rhythm-Section», erzählt sie. Nebst ihren Engagements als Sängerin und Pianistin verantwortete sie bis 2014 mit Blumenpflücken auf Radio Stadtfilter ihre eigene Radiosendung, in der sie mit musikalischen Gästen aus der ganzen Schweiz über deren Werke plauderte. Immer mal wieder ist sie bei Radio SRF 2 Kultur in der Sendung Jazz Collection zu hören, in der sie als Expertin Musik aus Genre-Grenzbereichen bespricht.

 

Irgendwann, nach einiger Zeit in Winterthur, zog es sie mit ihrem Mann nach Steg ins Tösstal, wo die beiden rund sechs Jahre lang wohnten. «Die Natur war wunderbar», meint die Musikerin. Damals brauchten sie etwas Neues – und fanden dieses «wahnsinnig schöne Atelierhaus», wie sie erzählt. Dazu ein riesiger Garten inklusive Gemüsebeet. Allerdings fanden sich in dem kleinen Dorf wenig Gleichgesinnte – und auch die Reisewege zu Konzerten oder anderen kulturellen Veranstaltungen zogen sich mit der Zeit gefühlt immer mehr in die Länge.

Seit zwei Jahren wohnen Gabriela und Ernst David wieder in Winterthur, zwar ohne Garten, aber dafür mit eigenem Proberaum und Studio. «Ich mag das Nonchalante an dieser Stadt», sagt sie. Sie habe eine unvergleichbare Mischung aus Lokal und International und eine sehr diverse Kulturszene: Kurzfilmtage, Musikfestwochen, lauschig, Jungkunst, um nur einige Anlässe aufzuzählen, die über die Ortsgrenzen hinaus Publikum anziehen. «Mit Lobith und The Homestories haben wir 2004 respektive 2010 an den Musikfestwochen gespielt», erinnert sie sich. Auch sonst wirkte sie an verschiedenen kulturellen Events mit und hat sich stets sehr verbunden gefühlt mit Menschen und Locations.

 

Mit der ESSE Music Bar ist sie seit Jahren stark verbunden – als Musikerin und auch als Konsumentin von Konzerten. «Viele befreundete Bands aus der Jazzszene spielen hier. Die Atmosphäre gefällt mir, man ist nah an den Musiker*innen dran» , meint sie. Auch sonst ist sie ein grosser Fan davon, wie Kultur in Winterthur entsteht und gelebt wird – «man spürt, dass da eine kreative, spontane Szene am Werk ist», schwärmt sie. Ambitioniert und innovativ seien die Künstler*innen, aber stets entspannt und den grossen Spielraum, den die Stadt biete, entdeckend. Dieser «Macher*innen-Modus» sage ihr sehr zu. Von der Idee zur Umsetzung im Bandraum oder gar der Aufnahme im (eigenen) Studio sind die Wege – in geografischer und tatkräftiger Hinsicht – extrem kurz. «Nichts ist einfacher, als kurz eine*n Freund*in anzurufen und zu fragen, ob er oder sie nicht vielleicht kurz vorbeikommen und im Homestudio die Trompete einspielen könnte», erzählt sie.

 

Derzeit fokussiert Gabriela Krapf nebst ihren anderen Jobs vor allem auf Kollaborationen. «Ich bin gerade intensiv am Songs schreiben, Demos produzieren und Arrangements ins Notationsprogramm einzutöggeln», sagt sie. Das Gesamtpaket versendet sie im Anschluss daran an befreundete Musiker*innen mit der Frage, ob sie sich vorstellen könnten, da mitzumachen. Ziel ist es, irgendwann wieder ein Album oder eine EP rauszubringen. Vorerst jedoch steht der Austausch mit den Musiker*innen im Vordergrund. Zeitdruck vonseiten eines Labels hat sie zum Glück nicht. «Ich versuche einfach, in den Fluss reinzukommen und dabei das zu machen, was ich am besten kann: Ideen sammeln und festhalten», meint sie. Talent, Energie und Fokus lägen bei ihr nicht auf dem finalen Produktionsschliff, sondern auf dem, was vorher kommt. «Das Mischen und Mastern überlasse ich gerne andern.» Ein weiteres Projekt in der Pipeline ist die Wiederaufnahme von SchnozJennyCaflisch feat. Gabriela Krapf. «Wir interpretieren seit vorletztem Jahr Björk-Songs als Quartett», erzählt sie. Eigentlich war es nur als zeitlich beschränktes Projekt gedacht. Als es dann aber beim Publikum gut ankam, hätten sie beschlossen, das Ganze mit einigen Auftritten im 2022 noch eine Runde weiterzuziehen. «Unser Approach ist simpel: Wir verändern die Songs so, dass die Essenz noch übrig bleibt und man beim Hören denkt: ‚Hmmm… das kommt mir irgendwie bekannt vor‘ – und einem erst nach einer gewissen Zeit auffällt, dass es sich um einen Song von Björk handelt.»

 

Trotz Einschränkungen und Unsicherheiten, die diese Zeiten mit sich bringen, steckt Gabriela Krapf voller Ideen – und das Gute ist: Es bleibt nicht bloss bei Ideen. Sie werden voller Tatendrang auch stets umgesetzt.

 

 

Zusatzinfos:

Hanna Widmer ist in Wohlen aufgewachsen und kennt die Aargauer Kulturszene aus dieser Zeit noch recht gut.

 

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