Der malende Schachspieler

Der malende Schachspieler

Als «Artist in Residence» kam Rafael Grassi 2006 nach Winterthur und residierte für ein halbes Jahr in der Villa Sträuli. Geblieben ist er aber nicht wegen der Kunst, sondern wegen der Liebe.

Gerade mal 23 Zentimeter hoch ist es, das Portrait eines Mannes mit sandfarbener Jacke, kariertem Hemd und einer schwarzen Mütze. Im Vergleich zu den anderen Gemälden, die im Atelier von Rafael Grassi stehen , ist es verhältnismässig klein. Und dennoch zieht es die volle Aufmerksamkeit auf sich. Das Porträt – wahrscheinlich eine Aufnahme aus einem Modekatalog – ist anders als die andern Bilder und demonstriert zugleich die Idee, die hinter seiner Kunst steckt. Der Kopf des Mannes ist mit grauer Farbe übermalt und zu Dreiecken zerschnitten, die Grassi anschliessend herausgeklappt hat. Dort, wo das Gesicht sein sollte, ist ein sternförmiges Loch. Für «Das Magazin» hat Grassi ein zweites Porträt angefertigt. «Star-System» heisst das Werk, das auf der Seite 23 mit der Abbildung des Malers gleich selbst ausprobiert werden kann.

 

Ein Schachspiel mit der Leinwand

Grassis Bilder sind genauso eigensinnig wie der Künstler selbst. «Ich bin auf der Suche nach Realitäten», erklärt der 44-Jährige. Konträre Elemente, die in völliger Harmonie miteinander stehen, dominieren seine abstrakten Werke. Die Inspiration für seine Gemälde holt sich der Maler jedoch nicht in seinem Alltag, sondern bei der Arbeit im Atelier: «Es ist wie ein Schachspiel mit der Leinwand. Plötzlich kommt der Moment, in dem mir das Bild sagt, dass das Spiel fertig ist und ich hinausgeworfen werde.» Dabei überlässt Grassi wenig dem Zufall: Er ist ein Stratege, der sich ausgiebig mit Kunstgeschichte und Kunsttheorie auseinandergesetzt hat.

Schwarz und weiss – das sind die Farben, mit denen Rafael Grassi zurzeit malt. Warum? «Pour éviter de tomber dans les joies faciles de la couleur», antwortet er und erklärt, dass im Mittelalter ebenfalls hauptsächlich mit den Farben Schwarz und Weiss gemalt wurde, weil Farbpigmente zu teuer waren. Was folgt, ist ein Plädoyer für die Kunst – auf Französisch. Dabei ist der Künstler mit spanischen und italienischen Wurzeln in Madrid aufgewachsen und hat dort Malerei und Fotografie studiert.

 

Von Madrid nach Winterthur

«Ein Stipendium führte mich 1994 nach Mailand, wo ich bei Luciano Fabro an der Accademia di Belle Arti in Brera studierte», sagt Grassi. Geplant war ein Semester zu bleiben, es wurden vier Jahre. Grassi zog 1998 nach Paris und setzte sein Kunstschaffen in Frankreich fort. Er wohnte in Lyon und Montluçon. Die kleine Stadt mitten in Frankreich sollte für sieben Jahre seine Basis werden. Von dort aus fuhr er zu Ausstellungen und Galerien in Madrid und Paris – oder pendelte nach Winterthur. 2006 war er für ein halbes Jahr als «Artist in Residence» in der Villa Sträuli zu Besuch. «Ich wollte schon immer mal in der Schweiz arbeiten», sagt Grassi. Er ist in Chur geboren und verbrachte die ersten drei Jahre in der Schweiz. «Für mich war es ein Zurückkehren in das Land meiner Geburt, das nicht nur Erinnerungen hinterliess, sondern mich auch persönlich prägte.» Die Stadt Winterthur mit ihrer Ruhe, seinen Pärken und Museen hat es ihm schnell angetan. 2011 entschied er, endgültig in die Stadt zu ziehen. Auch um in der Nähe seiner Tochter zu sein, die kurz nach seinem Aufenthalt in der Villa Sträuli auf die Welt kam. Heute malt die 6-jährige Sophia mit ihrem Vater im Atelier unter dem Dach des Fotomuseums. Ausserdem ergaben sich viele neue Projekte für den umtriebigen Künstler, der gerne mit anderen Menschen zusammenarbeitet. So organisiert er einmal im Monat Konzerte in der Piadineria Insieme.

Rafael Grassi ist für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden – 1995 auch im Rahmen der «Live Art» in Gstaad. Er stellte in Winterthur 2009 im Kunstraum und 2010 an der Dezemberausstellung im Kunstmuseum aus. www.rafaelgrassi.com

 

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