Unter.uns. – Leben am Rande.

Unter.uns. – Leben am Rande.

«Der Preis für das Verschwinden der Drogenszene ist die Einsamkeit», stellt Tanja Polli im Vorwort ihres Buchs «Unter.uns. – Leben am Rande.» fest.

Sie arbeitete bereits in den 1990er-Jahren am Platzspitz und am Letten mit Suchterkrankten. Nach den Räumungen dieser offenen Drogenszenen und der Einführung der dezentralen Drogenpolitik war Winterthur plötzlich mit einer wachsenden Zahl von süchtigen Menschen konfrontiert. In dieser Zeit baute Polli die Winterthurer Gassenarbeit SUBITA mit auf. Dreissig Jahre später, als sie die Gespräche für das Buch führt, hat sich vieles verändert – vieles zum Guten. Doch der Anspruch, dass Menschen am Rande im öffentlichen Raum nicht «stören» sollen, fördere nach wie vor ihre Isolation, stellt die Autorin und Journalistin fest. Oftmals gehören Mitarbeitende von Anlaufstellen zu den wichtigsten Bezugspersonen der Betroffenen.

In «Unter uns», das mit Schwarz-Weiss-Fotografien von Ursula Markus bebildert ist, lässt Polli neun Winterthurer Suchtbetroffene zu Wort kommen. Beispielsweise Beat: Er besucht seit über fünf Jahren täglich die Methadonabgabestelle Ikarus an der Tösstalstrasse. «Die meisten Süchtigen sind sensible Menschen, viele haben Trauriges erlebt», sagt er. Oder Klaudia, die einzige weibliche Protagonistin, welche nach einer schwierigen Scheidung auf den Strassen Zürichs lebte und kein Anrecht auf einen Platz in der Notschlafstelle hatte, weil sie im Thurgau angemeldet war. Ihr Leben blieb turbulent bis zu ihrem Eintritt ins Methadon-Programm vor fünf Jahren. Seither erlitt sie keinen Rückfall mehr. Zudem hat sie sich zum Ziel gesetzt, das Medikament komplett abzusetzen. Mit ihrer Vergangenheit wird sie dennoch immer wieder konfrontiert – wenn Menschen davon ausgehen, dass sie unzuverlässig sei oder lüge, sobald sie erfahren, dass sie Methadon nimmt. Wir lesen auch von Patrick, der nach der Räumung des Platzspitz und Letten nach Winterthur kam. «Seither kämpft Winterthur mit mir und ich mit Winterthur», erzählt er. «Ich bin auf Unterstützung angewiesen, bin aber nicht immer fähig, mich so zu verhalten, dass alle das Gefühl haben, ich schätze sie.»

Polli wählte für die Einblicke in diese bewegten Geschichten den Titel «Unter uns». Die von ihr porträtierten suchtkranken Menschen leben Seite an Seite mit uns, bleiben jedoch häufig unter sich oder gar allein. Sie sind ein Teil von uns, bewegen sich aber oftmals unter unserem Radar. Die ehrlichen Begegnungen mit den Persönlichkeiten in diesem Buch zeigen, wie schnell man in ein Loch fallen kann und wie schwierig der Weg hinaus sein kann. Sie ermutigen zu einem respektvollen und (vor)urteilsfreien Umgang mit Menschen am Rande. Es ist ein weiterer Schritt auf dem langen Weg von einem «unter uns» zu einem «mit uns», zu einem «Wir» geprägt von Verständnis und Toleranz.

«Unter.uns. – Leben am Rande.» umfasst 88 Seiten und wiegt 146 Gramm.

Aline Geissmann ist Redakteurin beim Coucou.

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