Freyheitsball

Freyheitsball

Was für eine Freiheit wurde gewonnen? Wie ein Gespenst geistert diese Frage nach der Helvetischen Revolution 1798 durch Basel, wie auch durch Satu Blancs Roman «Freyheitsball».

Nach dem Umsturz der alten Ordnung werden «Gnädige Herren» plötzlich zu Bürgern wie alle anderen. Doch all die neuen Rechte auf Gleichheit und Freiheit bleiben für Frauen ausser Reichweite, die Freude der Arbeiterin Anna und der Patrizierin Sophie Amalie hält nicht an. Bei der gebildeten, elitären Sophie Amalie versickert die erhoffte Befreiung der Frau in ihrem gemütlichen Zuhause, wo sie von ärmeren Frauen umsorgt wird. Sie tut sich schwer, die Ziele der Arbeiterinnen als ihre eigenen zu erkennen und ihre Klassenprivilegien für eine Geschlechtersolidarität aufzugeben, als Anna sie für einen gemeinsamen Kampf um Frauenrechte zu gewinnen versucht. Anna hingegen prescht voraus, ohne die lebensbedrohlichen Konsequenzen für sich und die anderen Arbeiterinnen, die sie um sich schart, zu bedenken. Die Wünsche, Ideale und Ideen der zwei Frauen begegnen sich in diesem Roman, umtanzen sich, kratzen zuweilen rau aneinander. Indem Blanc die Suche dieser Figuren nach Selbstbestimmung verwebt, macht sie eines klar: Worte allein reichen nicht. Nie werden die Mächtigen freiwillig Platz machen, wenn niemand sie wegstösst. Die Worte aber sind das, was beharrlich inspiriert: Es muss nicht so sein, es könnte auch anders.

Die Figuren der Historikerin und freischaffenden Schriftstellerin kommen einem – obschon es sie so nie gegeben hat – wie in Fleisch und Blut direkt aus der vergangenen Zeit entgegenspaziert. Angelehnt an die Lebensumstände und inspiriert von den Tagebüchern Anna Maria Preiswerk-Iselins, Tochter des berühmten Basler Aufklärers Isaak Iselin, steht nicht nur Sophie Amalie für Personen, die es hätte geben können. Da gab es die reichen Damen, die in Indienne-Stoffe aus importierter Baumwolle gehüllt waren, die Arbeiterinnen, welche die Stoffe in den Basler Manufakturen bedruckten, und die Seidenbandherren, die die arme Landbevölkerung für sich Seide weben liessen. Auch die versklavten Menschen, die den Reichtum der Basler Händler erschaffen haben, verbergen sich in Blancs Roman zwischen den Zeilen als gestapelte Körper in Schiffsbäuchen.

Blancs Klassenkritik ist heute, trotz vieler gewonnener Freiheiten, genauso drängend wie damals: Mit was für einer Freiheit geben wir uns zufrieden? Und falls wir kämpfen, für wessen Freiheit eigentlich? Wie den Figuren in «Freyheitsball» ist auch heute vielen eine grundlegende Umordnung schnell zu viel. Nur ist es nie genug, für individuelle anstatt für kollektive Rechte zu kämpfen und vorsichtig nur Teile des Systems zerschlagen zu wollen.

«Freyheitsball» umfasst 224 Seiten und wiegt 369 Gramm.

Lynn Vellacott studiert Geschichte und immer wieder auch über anderes.

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