«Ich habe an eine Audio-Installation gedacht – mit alten Wählscheibentelefonen und Kinderstühlen, auf die man sich setzen kann», sagt Mia Diener. – «Kindertelefon-Stationen, wie es sie früher in der Bank gab?», fragt Sabina Gnädinger. – «Genau. Bei denen man dann Geschichten hören kann», sagt Diener. Die «Märli», Sagen und Mythen zu aktuellen Themen wird die Künstlerin selbst schreiben und sprechen, in Schweizerdeutsch und Hochdeutsch. «Das würde super ins Kabäuschen im oberen Stock passen.» – «Ja, oder bei den Waschbecken im Untergeschoss. Der Kontrast zwischen dem Kindlichem und der Kälte dieser Waschbecken interessiert mich», sagt Diener und studiert den Gebäudeplan der alten Metallwerkstatt. 1928 wurde die zweigeschossige Farbikhalle als Hintergebäude zu einem Wohnhaus an der Büetziackerstasse errichtet und um 1954/55 mit einer neuen Werkstatthalle und einem Kellergeschoss in Richtung Strittackerstrasse erweitert. Nun soll ein Teil der leerstehenden Fabrikhalle abgerissen werden – und wird damit zum perfekten Ort für eine Zwischennutzung: Vom 16. bis zum 25. Mai findet hier eine Ausstellung mit elf jungen Winterthurer Kulturschaffenden statt.
David Kümin holt ein kleines Modell hervor. Dieses zeigt eine Ecke der Halle, in dem er einen dreieckigen, fluorpinkfarbenen Karton platziert hat, der von Holzdachlatten durchstossen wird. «Ja, ja, ich hab im Moment einen Pink-Fetisch», sagt der Künstler zu den anderen Künstlerinnen und Künstlern. Sie haben sich in der Ateliergemeinschaft auf dem Salzhaus-Areal versammelt, um ihre Projektideen zu besprechen. «Zur Zeit arbeite ich mit Materialverfremdung, die sich beispielsweise so manifestiert, dass ich Holzdachlatten grundiere und mit einer Holzstruktur überzeichne. Diese Dachlatten sollen dann eine Hallenwand durchstossen und werden ergänzt mit Trompe-l’œil-artigen Zeichnungen, welche auf der Wand die räumliche Situation in die Zweidimensionalität überführen.
Auch Patrizia Vitali möchte auf die von langjähriger Nutzung gekennzeichneten Räume reagieren: «Mich interessieren vor allem diese ganz schmalen Durchgänge. Ob es eine Performance oder eher eine Videoinstallation sein wird, weiss ich noch nicht.» Ihre Arbeit entsteht erst in den vier Wochen vor der Vernissage am 16. Mai, sobald die Künstlerinnen und Künstler in die leerstehende Halle einziehen können und ihre Werke vor Ort aufbauen, installieren oder umsetzen. Platz für die elf Kunstschaffenden hat es mehr als genug. Auf einer Gesamtfläche von 800 Quadratmetern erstrecken sich die Räume der alten Halle.
Neues unabhängiges Format
«Aus dem OFF#1» heisst die Ausstellung, die am 16. Mai in der leerstehenden Fabrikhalle in Töss ihre Vernissage feiert. Während zwei Wochenenden finden zudem auch Diskussionen und Performances statt. Am zweiten Wochenende vom 24. Mai zum Beispiel ist ab 18 Uhr die Performances «Get inked» von Francesca Silva zu sehen. Die Ausstellung ist der Startschuss einer Ausstellungsreihe von jungen Kunstschaffenden, die in Winterthur aktiv oder verwurzelt sind. «Aus dem OFF» nennt sich das lose Kollektiv aus elf professionellen Winterthurer Künstlerinnen und Künstlern, bestehend aus Michael Etzensperger, Mia Diener, Gabriella Hohendahl, Florian Fülscher, Sarah Hablützel, Pascal Kohtz, Sabina Gnädinger, Patrizia Vitali, Marco Wyss, David Kümin und Gianin Conrad. Kuratiert wird die Ausstellung von Patricia Bianchi, einer freischaffenden Kuratorin und Mitarbeiterin im Haus Konstruktiv in Zürich.
«Wir verstehen uns als unabhängiges und offenes Format, das nicht immer fix in dieser Konstellation zusammenarbeiten muss», sagt Sabina Gnädinger. Das Kollektiv will die Interessen der jungen Kunstschaffenden vertreten und eine grössere Anerkennung der aktiven Arbeit von Off-Spaces in Winterthur fördern. Denn unabhängige Kunsträume bilden die Grundlage für eine lebendige Kunstszene und eröffnen auch neue Sichtweisen auf die Kunst ausserhalb des institutionellen Kontexts. «Aus dem OFF» ist ein Format, das keinen fixen Ort mit Programm bereitstellen will, sondern verschiedene unterschiedliche Räumlichkeiten sucht, um diese für Ausstellungsprojekte temporär zu nutzen und auch für andere Kunstschaffende zu öffnen.
Reaktion auf Unzufriedenheit
Entstanden ist die Idee aus der Tatsache heraus, dass der Generation der Künstlerinnen und Künstler um die Dreissig in der Stadt spannende Plattformen und vor allem nicht institutionelle Ausstellungsmöglichkeiten fehlten. Auslöser war die Bekanntgabe der Künstler, die im Rahmen des Auslandatelierprogramms für ein halbes Jahr in Berlin und Kairo arbeiten können. Seit der Existenz des Auslandateliersprogramms seien nur wenige Angehörige der jüngeren Generation berücksichtigt worden, kritisierten mehrere Kunstschaffende. Weshalb gibt es dieses Ungleichgewicht bezüglich dem Alter in der Ateliervergabe? Was sind die Kriterien zur Vergabe und wer sitzt weshalb in der Jury? Eine lose Gruppe von Kunstschaffenden wandte sich mit diesen Fragen und der Forderung nach mehr Transparenz an die Stadt. «In der Kulturförderung geht es nicht darum, den regionalen Künstler-Kuchen zu fördern, sondern etwas, das regional entsteht und Relevanz hat. Überregionales Schaffen kann auch auf die Stadt zurückstrahlen», lautete eines der Argumente der Kunstschaffenden, die sie bei einem der unzähligen Diskussionsabende vor dem Treffen mit der Stadt formulierten. Zwar gebe es eine Künstlergruppe in der Stadt, die von Sponsoren unterstützt werde. Doch das Modell, das in den 1960er- und 1970er-Jahren entstanden ist, sei veraltet. Als junge Generation wollten sie ebenfalls erst genommen werden. «Wir sehen uns als eine Ergänzung», sagt Michael Etzensperger.
«Signalisieren, dass wir da sind»
Bei der Stadt rannte die Gruppe offene Türen ein: Dass es in der Stadt aktive, junge Kunstschaffende gibt, die eigentlich gerne etwas machen möchten, hatte die Stadt bisher nicht wahrgenommen. Um Unterstützung im kleinen Rahmen zu erhalten, müssten die Kunstschaffenden aber auch mit Projekten auf sich aufmerksam machen und signalisieren, dass sie da sind. Daraus entstand im letzten Sommer die Idee, mit einem kleinen Budget eine erste eigene Ausstellung auf die Beine zu stellen.
Das Ergebnis der Diskussionen vor einem Jahr ist nun das neue Format «Aus dem OFF». In regelmässigen Abständen traf sich das Kollektiv in den letzten Monaten, holte Bewilligungen ein, um während den beiden Wochenenden auch eine Bar zu betreiben, fragte Sponsoren und Stiftungen um Unterstützung an und diskutierte das Rahmenprogramm der Ausstellung. Neben den elf Gründern des Kollektivs wird auch Sujin Lim, die zurzeit als Artist-in-Residence in der Villa Sträuli weilt, an der Ausstellung teilnehmen. «Wir haben Interesse daran, externe Kunstschaffende bei den Ausstellungen aufzunehmen und damit ein Zeichen zu setzen», sagt Michael Etzensperger. Das Einladen von spannenden und zeitgenössischen Positionen gehöre genauso zur Kunstförderung wie das Bereitstellen von Ausstellungsräumen für regionales Schaffen der Bildenden Kunst.
Interessant ist die erste Ausstellung des neuen Formates «aus dem OFF» aber nicht nur, weil sie von jungen Kunstschaffenden aus Winterthur auf die Beine gestellt wird, sondern auch, weil sie viele zeitgenössische Positionen zusammenbringt, die sonst in Winterthur nur in der Kunsthalle in Einzelausstellungen Platz finden. «Der Off-Space gibt uns die Möglichkeit, auch mal neue Sachen auszuprobieren und vielleicht auch zu scheitern», sagt Sabina Gnädinger. «Mich fasziniert der Zustand des Umbruchs und ich möchte deshalb eine situations- und ortsspezifische Arbeit vor Ort entwickeln». Sarah Hablützel und Michael Etzensperger interessiert, wie ihre zweidimensionalen Arbeiten in einer solchen Halle, die weit entfernt von einem klassischen Ausstellungsraum und bereits voller visueller Eindrücke ist, bestehen können. Mit Formen, die sie über Wände und Boden ziehen, bauen sie spielerisch einen «White Cube» in die alte Industriehalle ein, auf dessen Fläche die Arbeiten dann experimentell gehängt werden.
Gabriella Hohendahl und Marco Wyss interessieren sich mehr für eine Bild- und Klanginstallation im Untergeschoss der Halle. Florian Fülscher, Gianin Conrad und Pascal Kohtz wollen dagegen wieder vermehrt auf den Raum reagieren. «Ich will ein Zimmer mit riesigen Fenstern bauen, etwa drei Meter hoch. Im Zimmer steht ein kleines Stahlbett. Die Tapete soll sich bewegen und dadurch ein Gefühl der Bedrängnis erzeugen – ein Alptraumzimmer, sozusagen», sagt Kohtz, und präsentiert dem Kollektiv das Tapetenmuster, das er für den Raum im Raum vorgesehen hat.
Aus dem OFF #1
Vernissage 16. Mai 2014, um 18 Uhr
Performances 24. Mai 2014, um 18 Uhr
Mit Francesca Silva, Nicole Bachmann, Milenko Lazic, Juan Mauricio Schmid, Nils Amadeus Lange
Öffnungszeiten: 17. Mai bis 25. Mai
jeweils Do bis So von 16 bis 20 Uhr
Bütziackerstrasse 37
(via Strittackerstrasse 23)
8406 Winterthur
www.ausdemoff.tumblr.com











