Die Doktorandin sitzt in einem dunklen Saal, auf ihr Gesicht fällt einzig das Licht der Gräuelbilder. Erleuchtet vom Wahnsinn geht sie hinaus, diskutiert mit einer Kommilitonin über Schuld und Gerechtigkeit. Dann ändert sich alles. Von einem Vampir attackiert, ist sie fortan dazu verdammt, selbst ein Dasein als blutrünstiges Wesen zu führen. Ins moralische Chaos gestürzt, verdrängt ein destruktiver Fatalismus ihre vormalige Empörung.
Der Film lebt von den Dialogen über Philosophie, Theologie und Literatur. Der Vampirismus dient hier als Mittel, um über das Wesen des Menschen, seine Süchte, seine Schuld nachzudenken. Dieser Kniff hat den Film jung gehalten. Welcher der neueren, bemerkenswerten Vampirfilme zieht seine Kraft nicht aus der Kombination mit anderen Themen? Man denke an die Nostalgie für obsolete Technik in «Only Lovers Left Alive» (2013), das Mobbing in «So finster die Nacht» (2008), den Iran in «A Girl Walks Home Alone at Night» (2014). Im Vergleich zu diesen Filmen wagt «The Addiction» jedoch mehr Tiefgang. Darin gründen seine Stärken, aber auch seine Schwächen. Die moralischen Konflikte lösen sich abrupt in einem christlichen Narrativ auf. Das wirkt aufoktroyiert. Und ob der Einsatz von KZ- und My-Lai-Fotos in einem Arthaus-Horrorfilm noch im Bereich des künstlerisch Gewagten liegt oder die Grenze zur Geschmackslosigkeit schon überschritten hat … diskutabel. Nun, es regt zur Meinungsbildung an.
The Addiction kann man im ZHdK-MIZ unter der Signatur DVD-2245 ausleihen.
Julius Schmidt ist Filmliebhaber.