Ida, wir haben uns sofort in dich verliebt. Sind es die schlichten, grossen Holztische, die dir ein rustikales und zugleich modernes Aussehen verleihen? Ist es das warme Licht? sind es die hohen Decken? Oder sind es die netten Gäste, die uns Fremden freundlich grüssen? Wahrscheinlich spielt das alles zusammen, als wir uns ins Restaurant Ida vergucken. Das Biorestaurant im Mehrgenerationenhaus Giesserei in Hegi ist ein Paradebeispiel dafür, was Schönes entstehen kann, wenn Genossenschafter mit Schweiss, Herzblut und Stil ein Lokal eröffnen. Damit steht das Restaurant Ida natürlich dem «Widder» näher als dem «National». Aber dem «Widder» vor 20 Uhr. Angebot, Interieur und Klientel erinnern eher an den «Bunten Hund» in Veltheim oder den «Grünen Hund» in Töss: saisonale und regionale Küche, viel Holz und keine Stammtischpolterer. Wasser vom Hahn gibt es gratis und die Bierdeckel sind von Kindern gestaltet.
Als wir drei an jenem Samstagabend auf unserer Beizentour quer durch Oberwinterthur kurz vor 21 Uhr das Restaurant Ida entdecken, sind wir leider schon zu spät. Zu spät in zweierlei Hinsicht: Erstens hat die Küche vor wenigen Minuten geschlossen. Und zweitens, das muss uns der Wirt Toni mitteilen, steht das Restaurant wohl vor dem Aus. Die Einnahmen reichen nicht. Wenige Tage nach unserem Besuch entschied die Genossenschaft tatsächlich, das Lokal bis mindestens Ende November zu schliessen.
Wie wir uns also an einem dieser Holztische über unsere Appenzeller Biere beugen, sinnieren wir über die möglichen Ursachen des schlechten Geschäftsgangs. Klar: Wenn sich Winterthurerinnen und Winterthurer verabreden, dann eben meist in der Altstadt und nicht in Hegi respektive Neuhegi. Das wussten auch die Genossenschafter bei der «Ida»-Eröffnung vor anderthalb Jahren. Von Präsident Toni erfahren wir: Sie haben sich einfach mehr Kundschaft aus der direkten Umgebung erhofft. Man kann es ihnen nicht verdenken, das Restaurant Ida passt mit seinem rot-grünen Vegi-Touch und dem Kollektivgedanken gut ins nachhaltig gebaute Mehrgenerationenhaus am Eulachpark. Die Rechnung ging offenbar nicht auf. Die Genossenschaft entscheidet bis Ende Januar (nach Redaktionsschluss dieses Hefts), wie es weitergeht.
Warum es uns an diesem Samstagabend auf unseren Velos überhaupt nach Neuhegi verschlug, wo wir doch eigens den Ex-Oberwinterthurer Tobi gebeten hatten, uns eine Beizentour durch das alte Oberi zu organisieren: Oberi ist eine Beizenwüste. Die meisten der gefühlt zehn Beizen, die Tobi aus der Erinnerung zusammentrug, gibt es nicht mehr. Das «Sonneck» zum Beispiel war laut unserem Fremdenführer einst eine «echte» Beiz, heute ist es elegant mit weissen Tischtüchern eingerichtet. Enttäuscht radeln wir weiter über die Pflastersteine durch den alten Dorfkern, wo sich ehrwürdige Häuser aneinanderreihen und nur so nach Beizen schreien, – und werden dennoch nicht fündig. Das Restaurant zur Blume: Während seinen 122 Jahren war es immer eine urchige Dorfbeiz (mit Kegelbahn!) gewesen; seit 2009 ist es ein reines Wohnhaus. Und das «Rössli» – das früher eine echte Arbeiterbeiz war, und wo noch viel, viel früher der Wirt der Einzige war, der in Oberwinterthur Alkohol ausschenken durfte – heisst heute Restaurant Thai Garden und ist für scharfes Thai Curry mit Singha-Bier eine bewährte Adresse. Doch für heute hat uns Coucou-Chefin Sandra mit einem klaren Auftrag entsendet: Ihr geht in Beizen, nicht in Restaurants für feine Leute!
Der Kebab-Stand, der dort im Eckhaus leuchtet, wo früher der Dorfmetzger den Kindern Wursträdchen über die Theke reichte, ist uns dann doch auch wieder nicht recht. Weil wir aber nicht auf den leeren Magen trinken wollen, stellen wir unsere Velos beim Pizza Oberi ab. Dieser ist in erster Linie ein preiswerter Lieferdienst, der nebenher ein paar Tische dastehen hat. So sieht es dann auch aus: zweckmässig. Dafür schmeckt die Pizza einwandfrei, und der Pizzaiolo rundet die Rechnung auch mal ab, wenn man das nötige Münz nicht gleich zur Hand hat. Ist ja auch eine Art der Gastfreundschaft, wenn nicht gar die ehrlichere als in so manchem Guide-Michelin-Restaurant.
Etwas enttäuscht vom Oberwinterthurer Beizenangebot, rollen wir die Dorfstrasse runter zum Restaurant Bahnhof. Egal in welcher Stadt, auf das «Bahnhöfli» ist immer Verlass! Vorbei an den Toiletten mit geöffneten Türen landen wir an der Theke und bei den Tischen, wo aber keine Gäste zu sehen sind. Die sind im Fumoir, das gut die Hälfte des Lokals ausmacht: An einem Tisch bei Bier und Sauser sitzen fünf angeheiterte Männer, darunter der Wirt. Wir setzen uns ebenfalls ins Fumoir, wo um 23 Uhr noch immer Gipfeli vom Zmorge im Korb liegen. Wir bestellen Bier, worauf uns der Wirt fragt: «Kalte?» Äh… ja?
Der gmögige Mann mit den langen weissen Haaren stellt sich uns als Johnny vor. Und weil es Johnnys nicht gerade wie Sand am Meer, aber sicherlich wie Kebabstände in Winterthur gibt, sagt er: «Ich bi nid eifach ein Johnny, ich bi dä Johnny vo Winterthur! Haha!»
Johnny aus Winterthur arbeitet hier nur als Aushilfe. In seinem Leben war er in so manchen Branchen tätig, zuletzt und bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren betrieb er das «Bahnhöfli» in der Grüze. Seither fährt er viel Töff und ist in diesem «Bahnhöfli» zu Gast. Und hilft hier einmal im Monat eben aus. Wir haben Glück: Eigentlich hätte das Lokal längst geschlossen, aber wenn der Johnny aus Winterthur wirtet, dann lässt er gerne länger offen.
Tagsüber sei das «Bahnhöfli» eine typische Handwerkerbeiz, erzählt er. Die Köchin sei ausgezeichnet, für 15 Franken könne man hier gut und viel essen sagt Johnny – und zeigt mit seinen grossen Händen, wie die Teller gehäuft sind. Er ist nie um einen Spruch verlegen, und wenn er frei von der Leber weg aus seinem Leben erzählt, fügt er seinen Anekdoten und Räubergeschichten mit einem spitzbübisch Lächeln gerne an: «Isch ebe geil.»
Als nach einigen Halden Gut der Wirt dann doch langsam schliessen will, fragen wir die verbliebene Gesellschaft: Wo gibt es hier noch einen Schlummi, einen Absacker? Eigentlich nur noch in der Oberi Bar, so die einhellige Antwort.
Was der geneigte Leser an dieser Stelle noch nicht weiss: In der Oberi Bar nahm alles seinen Anfang. Die Bar an der Frauenfelderstrasse war die erste Station auf unserer Tour gewesen, als wir heute am frühen Abend stadtauswärts fuhren. Zuvor hatten wir an der Eisenbahnbrücke und damit an der Oberi-Grenze feststellen müssen, dass im Bridge Pub eine geschlossene Gesellschaft war. Dabei hatten wir so viele Hoffnungen ins ehemalige Restaurant Stadtrain im Americana-Style gesteckt.
Also treten wir kurz vor Mitternacht wieder in die Pedalen und landen erneut in der Oberi Bar gleich bei der Busstation Hohlandweg. Dort hören wir dank Radio NRJ die Backstreet Boys ebenso wie den «Wind of Change», während Gäste auf Barstühlen aus Pizzaschachteln futtern. Modern eingerichtet, aber etwas schummrig, erinnert die Bar ans «Sigma» hinter dem Hauptbahnhof. Am frühen Abend sahen wir die Gäste beim Apero nach der Arbeit und vor dem Ausgehen, jetzt sind es die Spätschicht-Arbeiter wie Taxifahrer und Gastronomen sowie die Ausgangsheimkehrer. Bei unseren zwei Besuchen in der Oberi Bar begegnen wir allerlei Volk: Da ist ein adrettes Ehepaar in seinen besten Jahren, da sind einsame Biertrinker, anfangs sogar Kinder, die Pizzaesser an der Bar, Balkanjungs, eine Tagebuchschreiberin im Fumoir und ein Typ im Cowboy-Look, der sich lässig mit «uf Wiedertschüss» verabschiedet. Die bunte Durchmischung ist spannend. Und so sehr wir den Johnny aus Winterthur mochten, so sehr wir die Ida liebten – die Oberi Bar spricht uns auf ihre ganz eigene Weise an. Oberi ist zwar eine Beizenwüste, doch mit strammen Wädli, ein wenig Ausdauer und noch ein wenig mehr Bier gibt es in dieser Wüste gleichwohl die eine oder andere Oase zu entdecken. Uf Wiedertschüss!