Wille und Wahnsinn

Achtung: Dieser Text ist wirr und grenzwertig. Die Sendung «Bild mit Ton» übrigens auch.

Montagabend, 12. Januar. Das Cabaret Voltaire in Zürich, Geburtsort des Dadaismus, ist voll. Voller Leute, voller Wahnsinn, voll von politischer Unkorrektheit: «Hurensöhne» bedrohen auf der Leinwand eine LSD-Blondine, welche vom schwarzen Innenarchitekten mit dem Namen Nigger beschützt wird. «Bild mit Ton» ist wieder da. Die Satiresendung geht in die zweite Staffel – wo «Penis» so oft gesagt wird wie «Heil». Das Publikum lacht. Hm… Ist das lustig? Macht das irgendeinen Sinn???

Einfrieren! Rückblende. Fünf Tage zuvor sitzen Lara Stoll, Cyrill Oberholzer, Dominik Wolfinger und Pia Meier von «Bild mit Ton» übermüdet auf dem Sofa in Laras Wohnung im Kreis 4 und sollen genau solche Fragen beantworten. «Wäre die Welt ohne Hitler weniger lustig?» – Kurze Irritation, dann die Antwort: «Definitiv», sagt Dominik Wolfinger alias «Wolfi»: «Denn ich denke, Komik kommt oft von Leiden. Gerade aus Trauer, Leid und Schmerz kann irgendwann Komisches entstehen.» Kurze Zeit später sitzt die ganze Crew kichernd vor dem Bildschirm und zeigt mir einen Ausschnitt aus der ersten Episode. Beni Thurnherr kommentiert einen «Anarchischen Dunnschtigsjass» dann folgt «Hitler in Woodstock»: Plötzlich tanzen Hippies heftig zu «Sieg Heil Heil Heil». Lara lacht. Werk gelungen.

 

«Seid ihr Charlie?»

«Bild mit Ton» ist derb, wirr, schrill, bewusst grenzwertig, politisch unkorrekt. Die erste Staffel war ein wildes Sammelsurium von Sketchen und Filmausschnitten. In der zweiten haben die einzelnen Episoden nun einen roten Faden und erzählen eine Geschichte. Sie folgen einem Plot. Was sich nicht geändert hat: Das Team rund um die bekannte Slam-Poetin Lara Stoll macht sich über alles lustig: Schwule, Männerriegen, Alte, Pädophile, die Mens, Ueli Maurer, Selbstmord, Obdachlose, Gott, Kiffer, Babys, Schwarze, Mohammed, Allah...

«Seid ihr Charlie?» ­– erst gerade zwei Tage zuvor ereignete sich das Massaker in der Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo. «Hm, ja. Wir machen uns auch über Muslime lustig, gerade in der neuen Staffel», sagt Wolfi. Lachen darf man bei Bild mit Ton über alles. Und lustig kann alles sein. Doch was ist die Konsequenz daraus, wenn alles lustig sein kann? Die vier diskutieren... «Möchtest du darauf hinaus, ob wir eine Aussage haben?», fragt mich Cyrill. Lara unterbricht: «Nein, ich glaube, er möchte fragen... ach, keine Ahnung mehr, was die Frage war, bin stoned...»

Geschlafen haben die vier Macher und Macherinnen hinter «Bild mit Ton» nicht viel in letzter Zeit (und das sieht man ihnen an). Es gilt, die Episoden für die neue Staffel fertig zu machen. Zigistummel, Abfallsäcke, Dosen und Chipssäcke stapeln sich – und in der Mitte thront wie ein Mahnmal der Arbeit ein riesiger Apple-Bildschirm.

Zurück zum Thema. Doch, doch, ob «Bild mit Ton» eine Aussage hat, war durchaus die Frage. «Ich finde ja Stil vor Inhalt geil», sagt Cyrill dazu. «Nein, das seh ich anders. Ich bin Semantiker», sagt Wolfi. Moralisten seien sie nicht, aber frei von Aussagen ebenso wenig. Lara kommt auf einen Clip zu sprechen, in dem Leute mit Down-Syndrom Cheerleader spielen. Den fänden offenbar viele Leute nicht lustig. Dabei könne dies durchaus als Kritik am Cheerleader-Bild gelten. – «Ok., ich seh den Punkt. Aber wo ist der Inhalt, wenn Wolfi eine Hammond-Orgel vögelt?» – «Ach das, das war einfach lustig», sagt Cyrill. «Und die Orgel bekommt nun übrigens Kinder», ergänzt Wolfi. Voilà. So leicht zu fassen ist «Bild mit Ton» eben nicht. Wäre ja auch langweilig.

Akribische Arbeit

Der Humor von Bild mit Ton wäre für das SRF wohl zu böse, zu derb. Giacobbo/Müller wirken daneben wie Sängerknaben. «In der Schweiz geht es um Konsens, hier werden alle Ecken und Kanten abgeschliffen», sagt Cyrill. Dennoch haben «Bild mit Ton» eine mediale Heimat gefunden: SSF, das Sport- und Szenefernsehen, brachte schon die erste Staffel, nun auch die zweite.

Trotz Unterstützung vom SSF sowie Fundraising: Geld verdient man so nicht in der Schweiz. «Bild mit Ton» lebt von Herzblut. Von Engagement, welches auch Zeit raubt: Die Episoden der neuen Staffel sind doppelt so lang wie die alten. «100 mal mehr Aufwand», sagt Produktionsleiterin Pia. Dabei hätten sie eigentlich geplant, effizienter zu sein. Stattdessen mussten sie die geplante Erstausstrahlung nach hinten verschieben und sitzen jetzt, fünf Tage vor der Erstausstrahlung, noch vor dem Laptop am Schnipseln. Denn hinter dem Wahnsinn stecken unglaublich viel Wille und akribische, aufwendige Arbeit: «Unsere Ansprüche sind gestiegen, wir wollten es perfekt haben», sagt Pia. Jeder Dreh, jeder Schnitt, jede Synchronisation muss sitzen, jedes ausgefallene Kostüm wird selber geschneidert – und eine Fünf-Minuten-Szene kann schnell mal einen Tag in Anspruch nehmen. Auch an diesem Mittwoch werden sie später, nach unzähligen Zigis, Bier und Schnaps, mitten in der Nacht wieder auf Laras Bett sitzen und Tonspuren aufnehmen.

Das hat seinen Preis: «Neben Bild mit Ton bleibt wenig Zeit für anderes», sagt Pia. Seit Wochen bildet Laras Wohnung den Kosmos der Gruppe. Man kennt sich mittlerweile sehr gut und aller Freundschaft und Liebe (Cyrill und Lara sind ein Paar) zum Trotz: Bei so viel Kontakt kann man sich schon mal auf die Nerven gehen. («Ach Cyrill, du nervst echt» wird Lara zu einem späteren Zeitpunkt am Abend sagen).

Die Skala des Wahnsinns

«Kein Geld, keine Freizeit: Wieso tut ihr euch das an?» – «Ist eigentlich hirnverbrannt, stimmt. Aber wir können uns entfalten», sagt Cyrill. Wie immer gehört zu Herzblut eben auch eine gehörige Portion Masochismus und Wahnsinn. Ganz normal wirkt das vielleicht nicht. Aber «Bild mit Ton» ist nicht normal, zumindest nicht im Sinne des schweizerisch-demokratischen Service-Public-Konsenses. Und ebenso wenig sind es die Leute dahinter.

Darum höchste Zeit für die Skala des Wahnsinns: «Von 1 bis 10,  wo befindet ihr euch persönlich?» – «Bei Eins. Ich bin ein Film-Freak, aber sonst eigentlich ziemlich normal» sagt Cyrill. Gelächter. «Sonen Seich. Cyrill ist der grösste Spinner unter uns», entgegnet Lara mit Zustimmung aller anderen und schätzt sich dann selbst bei Sieben ein. «Kommt darauf an, wie man Wahnsinn definiert», sagt Wolfi, der Semantiker. Und nimmt dann den Mittelweg: «Ich sag fünf». Pia: «Also ich bin sicher normaler als Wolfi.»

Die Persönlichkeiten und ihre Eigenheiten übertragen sich auf den Bildschirm, auch wenn die Rollen sind, was sie sein sollen: Schauspiel. «Ich find es das grösste, wenn ich eine Sendung machen kann, in der so oft das Wort «Penis» vorkommt.», sagt Cyrill. Ebenso, wie Wolfi seinem Flatulenz-Humor Luft verschaffen kann. Für Lara ist es dennoch wichtig herauszustreichen: «Wir machen das nicht, um uns selbst zu therapieren, sondern wollen natürlich auch, dass möglichst viele Leute die Sendung sehen. Viel Zeit, um uns darüber Gedanken zu machen, wie wir ankommen, haben wir aber nicht» Dann steht sie auf und holt sich einen Schnaps. Für zwei Stunden mal Produktionspause, das gabs schon lange nicht mehr im Kosmos «Bild mit Ton».

Entfrieren! Zurück von der Rückblende ins Cabaret Voltaire. Das Interesse für «Bild Mit Ton» hat sich in den letzten Tagen intensiviert: Zeitungsartikel sind erschienen, die Sendung zirkuliert bereits im Internet. Der volle Saal zeigt: Die Zielgruppe für Sendungen im Format von «Bild Mit Ton» ist  zwar in der Schweiz (noch) relativ klein und zumeist jung, doch sie existiert.

Lara trinkt wieder Schnaps – diesmal aber auf der Leinwand. Als Rolle, als Schauspiel. Und sie kündigt an: Jedes Mal wenn in den kommenden 48 Minuten das Wort «Nigger» kommt, muss sie einen trinken. Es sollte ein langer Abend werden. Und am nächsten Tag stehen sie wieder auf, gehen zu Lara in die Wohnung, setzen sich vor das Mikrofon oder den Computer und wenden sich der nächsten Episode zu. Wille und Wahnsinn.

Bild mit Ton – bildmitton.tv

Montag 9. Februar im Kino, Zürich (nur mit Anmeldung an pia@bildmitton.tv)

Montag 16. Februar im Albani Music Club, Winterthur, Screening 20Uhr

Montag 23. Februar im Cabaret Voltaire, Zürich, Screening 20 Uhr

Staffel II, Folge I

DAS HAUS IN DEM MAN LSD KONSUMIERTE und BILD MIT TON from BildMitTon on Vimeo.

 

Staffel II, Folge 2

DAS ULTRA TOLERANTE SCHWINGFEST 3000 und BILD MIT TON from BildMitTon on Vimeo.

 

Stafel II, Folge 3

WARUM KASPERLI AMOK LÄUFT und BILD MIT TON from BildMitTon on Vimeo.

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