Spieglein, Spieglein

Spieglein, Spieglein

Ein Klassiker wird zur multimedialen One-Man-Show. «Dorian Gray» ist im März auf der Bühne des Theater Winterthur zu sehen und hält den Zuschauer*innen wortwörtlich einen Spiegel vor.

«Wie traurig das ist! Ich werde alt werden und hässlich und abstossend. Dieses Bildnis dagegen wird immer jung bleiben. Wäre es doch nur umgekehrt! Wäre ich es doch, der ewig jung bliebe, und wäre es das Bildnis, das alterte! Sogar meine Seele gäbe ich dafür.» Dieser innige Wunsch geht in Erfüllung, sobald ihn Dorian Gray ausspricht.

 

Bereits 1890 porträtierte Oscar Wilde in seinem Roman «Das Bildnis des Dorian Gray» den Kult der ewigen Jugend. Damit zeichnete er ein Bild, das unsere von Verjüngungskuren und Botox-Gesichtern geprägte Zeit auf den Punkt bringt. Die Handlung des Romans dreht sich um Selbstsucht, Mord, Liebe und Narzissmus. Für das viktorianische Zeitalter eine obszöne, als «pervers» bezeichnete Prosadarstellung, in der Oscar Wilde ein Gemälde schafft, das die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts widerspiegeln könnte.

 

Der Protagonist der Tragödie ist der schöne Jüngling Dorian Gray. Als Freund und Muse steht er dem Maler Basil Hallward für sein bestes Werk Modell. Als Dorian sein Ebenbild betrachtet, wird ihm die Vergänglichkeit seiner Schönheit zum ersten Mal bewusst. So äussert er den Wunsch nach ewiger Jugend, wofür er sogar seine Seele hingäbe. Der Wunsch geht in Erfüllung und während Dorian äusserlich von seinen Sünden unberührt bleibt und seine Schönheit behält, altert sein Porträt, was den Zerfall seiner Seele zum Vorschein bringt.

 

Im März ist die Aufführung während zwei Abenden im Theater Winterthur zu sehen. Regisseur Bastian Kraft hat mit der Adaption des Kult-Werkes von Oscar Wilde 2010 die Theaterszene in Wien aufgewühlt. Seine Inszenierung überträgt die Oberflächlichkeit, die im Roman thematisiert wird, auf das Bühnenbild; rund 17 Flachbildschirme und ein Metallgerüst füllen die Bühne und dienen als Schauplatz für die gesamte Produktion.

 

Der deutsche Schauspieler Markus Meyer verkörpert dabei sämtliche Rollen – jung wie alt, Maler wie Modell, Mörder wie Märchenprinz – und führt alles zu einer spektakulären Solodarstellung zusammen.

Auf den Bildschirmen sind Videos zu sehen, die Markus Meyer in seiner Rolle umrahmen und die Atmosphäre um ihn herum erschaffen. Eingeblendet werden Ausschnitte, die puzzleartig die Schaufläche konstruieren. So wird auf der einen Leinwand beispielsweise der Glatzkopf von Dandy Henry gezeigt, während auf der anderen seine wippenden Lackschuhe abgebildet werden. Die Videoaufnahmen charakterisieren die Figuren und lassen das Stück zu einem kinoartigen 3D-Erlebnis werden.

 

Dabei stets im Zentrum: Dorian Gray, vollständig in schwarz gehüllt und mit goldüberzogenem Gesicht. Die Figur erscheint unmenschlich, puppenartig, wie eine schöne, doch zugleich entstellte Statue. Markus Meyer spielt sowohl den Dorian als auch die Protagonisten, die auf den vorproduzierten Aufnahmen zu sehen sind, mit denen er interagiert und Gespräche führt. So bekommt Gray in seiner One-Man-Show die ganze Aufmerksamkeit des Publikums. Ein einziger Protagonist, dessen Selbstverliebtheit keinen Platz für andere Personen lässt; nur über die projizierten Aufzeichnungen finden die restlichen Charaktere ihren Weg auf die Bühne.

 

Die einzig weisse Fläche auf der von Bildern überfluteten Bühne bleibt dabei der Zauberspiegel, das verhängnisvolle Gemälde. Dorian selbst wird nur abgebildet, wenn Markus Meyer mit der installierten Live-Kamera in den Dialog tritt; dann erscheint seine in Gold getränkte Larve aufgesplittert auf den verschiedenen Bildschirmen. Während Markus Meyer durch das Metallgerüst turnt, fangen die Kameras Ausschnitte ein und wandeln das Stück in ein multimediales Szenario um.

 

Im Verlauf der Solodarstellung blättert das goldene Gesicht des Protagonisten immer mehr ab und lässt unter der grausam schönen Maske das wahre Aussehen des Dorian Gray hervordringen. Somit können die Zuschauer*innen einen kurzen Blick auf den Menschen hinter der Maske erhaschen – erste Sprünge beginnen den Spiegel zu durchziehen.

 

 

Dorian Gray

28 und 29 März, jeweils um 19:30 Uhr

Eintritt: CHF 60 / 55 / 40

Theater Winterthur

Theaterstrasse 6

www.theater.winterthur.ch

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