Im Fokus der Schnittstellenästhetik

Im Fokus der Schnittstellenästhetik

Die Coalmine-Ausstellung «Product Placement» zeigt Bilder, die sich an die Schnittstelle zwischen Produktfotografie, Influencing und Kunst heranwagen.

Tagtäglich Selfies, Instagram, Facebook: Die digitalen Nomad*innen produzieren Bilder am Laufmeter. Während der Mensch in diesem Fall das handelnde Subjekt und das abgebildete Objekt gleichzeitig ist, rückt die Produktfotografie das Materielle in den Vordergrund: Ob das Nachtessen oder die neu gekauften High Heels – der Gegenstand gehört fotografiert.

Die aktuelle Ausstellung «Product Placement. Eine Ausstellung zum Bild zwischen Produktfotografie, Influencing und Kunst» in der Coalmine zeigt Bilder, die sich in diesen «Zwischenräumen», wie Kuratorin Alexandra Blättler sie nennt, bewegen. Zu sehen sind Bilder, die auf bereits existierenden Vorlagen basieren; so wurden etwa Produktfotografien aus dem Internet neu inszeniert. So stellt die Ausstellung das triviale, unaufgeregte Dasein der abgebildeten Gegenstände fast schon provokativ zur Schau.

Und so könnte sich der*die ungeübte Ausstellungsgänger*in vielleicht auf den ersten Blick fragen: Hab ich das nicht gerade eben auf meiner Facebook-Wall gesehen? Doch eine gründlichere Beobachtung offenbart «das zweite Leben» des Produkts, inklusive neuer Aura, wie es Alexandra Blättler definiert.

Schon 2004 zeigte das Fotomuseum Winterthur, in einer Kooperation mit der Fotostiftung Schweiz, die Ausstellung «Im Rausch der Dinge». Es ging um das 20. Jahrhundert als «Jahrhundert der Gegenstände»: Plötzlich waren sie erhältlich, erschwinglich, aber zeitgleich durch ihre Reproduzierbarkeit auch entindividualisiert. Die Dokumentation dieser Gegenstände auf Fotopapier war der Schritt, der darauf folgte. Es ging nicht nur um das Ding als simples Objekt, sondern um die Symbolik und die damit verbundenen Sehnsüchte, die es beim Betrachten evozierte.

2004 – das war das Jahr, in dem Facebook zum Leben erweckt wurde. 15 Jahre später hat sich die Fotografie-Landschaft durch Smartphone und Social Media nochmals um ein Vielfaches erweitert und verändert – ein Aspekt, der Alexandra Blättler sehr interessiert. «Ich habe beobachtet, dass sich viele Fotograf*innen in einem permanenten Spagat zwischen geldeinbringenden Auftragsarbeiten und ihren eigenen Herzblutarbeiten befinden», sagt die Kuratorin. Den kommerziellen Hintergrund spürt man auch in der Vielfalt der Fotografien, die in der Coalmine ausgestellt sind: Jede*r Künstler*in verfolgt sein*ihr eigenes Credo in Sachen Ästhetik – und gerade diese Eigenheiten machen die Ausstellung so spannend.

Noha Mokhtar und Gregor Huber haben sich für ihre Arbeit «American Standard» am Bildmaterial einer Online-Verkaufsplattform bedient. Was im Netz den Zweck hat, dem*der eventuellen Käufer*in umfassende visuelle Informationen zum Produkt zu liefern, verwandeln Noha Mokhtar und Gregor Huber in ein Objekt mit eigener ästhetischer Aussage. So wird beispielsweise der Vorhang in «Heavy Material», indem er vergrössert und per Siebdruckverfahren auf eine gerahmte Leinwand übertragen wurde, in einen entfremdeten, neu definierten Kontext gebracht und so in einem gewissen Sinne «wiedergeboren».

Einen anderen Ansatz zeigen die Werke von Matthias Gabi: Diese könnten beinahe dem Hyperrealismus zugeordnet werden. Seine auf olivgrünem Hintergrund fotografierten Seiten aus Werbekatalogen wie IKEA oder Walbusch zeigen den forschenden Ansatz des Künstlers: «In der Serie ‹Objets› stellt sich Matthias Gabi die Frage nach der Dreidimensionalität von Objekten und deren Reduziertheit oder Potenzial im ‹flachen› fotografischen Bild», sagt Alexandra Blättler.

Bei Jiajia Zhang hingegen liegt der Fokus auf Formen und Texturen, die sie mit ihrer Kamera in unterschiedlichen Räumen verfolgt – und im Anschluss nach Gemeinsamkeiten ordnet. Die daraus entstehende Typologie lässt Raum für Interpretation.

Thematisch lässt sich «Product Placement» mit der Ausstellung «Comfortable Gestures» verbinden. Dabei beschäftigt sich Mathias Renner, der neuerdings auch im Bereich der Werbefotografie tätig ist, mit dem Verhältnis von Bild und Objekt. Beide Ausstellungen sind bis Anfang April in der Coalmine zu sehen.

 

 

Product Placement

1. Januar bis 6. April

Montag bis Freitag,

8 bis 19 Uhr

Samstag,

11 bis 16 Uhr

Coalmine

Turnerstrasse 1

www.coalmine.ch

 

 

 

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