Der Traum vom Kulturhaus

Die Villa Sträuli gilt als lebendiger Ort des kulturellen Schaffens und Austauschs in Winterthur. Es ist ein Ort, der kulturelle Aktivitäten fördert. Ein Loblied auf das Haus und seine Bewohner.

Falls es einen Himmel gibt, so wird sich Doris Sträuli (1912 bis 2003) dort oben freuen. Sie wird heruntersehen, zufrieden an ihrer Teetasse nippen und nicken. Ja, genau so hat sie es sich vorgestellt, genau so hat sie es sich gewünscht: Ihr geliebtes Haus, eine veritable Villa auf dem Areal der früheren Seifen-Sträuli-Dynastie, erbaut im Jahr 1910, hat es geschafft, über Doris Sträulis Leben hinaus der Kunst zu dienen und seine Räume der Inspiration zur Verfügung zu stellen, welche Klänge in Form von Komposition, bildnerischer Gestaltung und Wort hervorzubringen pflegt.

 Falls es keinen Himmel gibt, kann sich Doris Sträuli trotzdem glücklich schätzen: Es gibt einen irdischen Himmel in Winterthur. Und dieser hat einen Platz in der Villa Sträuli gefunden, in ihrem Haus, in dem sie viele Jahre als Pianistin und Klavierlehrerin  – und vor allem auch als Gastgeberin – gelebt und gewirkt hat. Eine gelbe Tapete erzählt von ungezählten musikalischen Treffen und Händen, die über Tasten flogen – noch heute steht ihr Flügel in der «Stube», die als Konzertraum dient. Und noch immer fliegen Hände über Tasten – zum Beispiel an der «Samstagsmatinée», die zu einer Institution geworden ist. Die Konzertreihe am Samstagmorgen ist ein wiederkehrender Ohrenschmaus, der das Wochenende einläutet. Die Menschen strömen dann jeweils kurz vor elf Uhr in die Villa. Manche gönnen sich vorher ein kleines Frühstück in gepflegter Atmosphäre und legen, ehe sie sich dem Schaum des Kaffees hingeben, ein farbiges Tuch über einen oder zwei Stühle, um sich die begehrten Plätze im Salon zu sichern.

 Zuweilen kommen die Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die in einer der oberen Etagen des Kulturhauses als Gäste wohnen, hinzu. Die «Artists-In-Residence» nehmen einen wichtigen Platz ein im Konzept der Villa. Seit die Villa Sträuli im Jahr 2006 renoviert, umgebaut und wiedereröffnet wurde, können drei kleine Wohnungen während drei Monaten von Kunstschaffenden bezogen werden.

 Seit dem Jahr 2006 leitet Annelise Schmid die Villa Sträuli. Später kam Gabriele Huggenberg zur Unterstützung in der Kommunikation und Medienarbeit dazu. Sie beide sind im Auftrag der «Stiftung Sulzberg» für die Vernetzung der «Artists-in-Residence» während ihres Aufenthaltes in Winterthur zuständig und sorgen dafür, dass auch unter der Woche Anlässe in der Villa stattfinden. So zum Beispiel Künstlergespräche, die Salonpalaver, Lesungen, Kurzfilm-Vertonungen oder auch Konzerte.

 

Offenheit und Toleranz

Wie alle, die in der Villa Sträuli ein- und ausgehen, sei es als Mitarbeiterin oder als Gast, tragen Anneliese Schmid und Gabriele Huggenberg ihren eigenen Beitrag zum Gelingen einer immer neuen Komposition menschlicher Gemeinschaft und Kreativität bei. Doris Sträuli hätte wohl die selben Kunstschaffenden ausgewählt und  vielleicht die Augenbraue leicht hochgezogen, wenn es allzu modern zugegangen wäre.

 «Gerade die Offenheit und die Toleranz den Menschen gegenüber kennzeichneten die Persönlichkeit der Mäzenin Doris Sträuli», sagt Ruth Girod, Mitglied im Stiftungsrat «Stiftung Sulzberg». Nach dem Tod von Hans Sträuli, Rechtsanwalt in Winterthur, konnte Doris Sträuli die Zügel etwas lockerer halten. Sie widmete das Haus zwar ganz im Sinn ihres Mannes den Künsten, erkannte aber schnell, dass es gerade junge Menschen waren, die ihre Unterstützung brauchten. So stellte sie die Zimmer im oberen Stock zum Wohnen und Arbeiten zur Verfügung. «Das Konzept wurde von der Stiftung – wie von Doris Sträuli gewünscht – übernommen, auch wenn vieles institutionalisiert werden musste», sagt Ruth Girod, die zusammen mit ihrem Mann Roger Girod nach dem Tod von Doris die Idee des Kulturhauses weiterführte.

 

Erfüllt von Glück

Die Villa Sträuli ist in den letzten acht Jahren dank dem Engagement seiner Mitarbeitenden zu einer festen Grösse im Winterthurer Kulturleben geworden. «Die Atmosphäre im Haus ist immer wieder anders und bleibt dadurch spannend», sagt Kommunikationsleiterin Huggenberg. «Es sind der Mix meiner Tätigkeiten, der Kontakt zu Persönlichkeiten aus aller Welt und auch die Gastgeberrolle, die mich ansprechen.» Auch für Anneliese Schmid gehören Kunst und Kultur zum Leben. «Ich schätze den Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen, welche die Villa beleben, seien dies das Winterthurer Publikum und die Auftretenden an den Veranstaltungen, die Kunstschaffenden aus den verschiedensten Ländern, die in den Ateliers leben und arbeiten oder die tollen Mitarbeitenden während des Arbeitsalltags.» Die intime Atmosphäre ist es denn auch, die das Besondere der Villa ausmacht. Zum Beispiel, wenn das Publikum berühmten Ensembles bei Uraufführungen in die Noten schauen oder an den «Meet the Artist»-Abenden mit Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt ins Gespräch kommen kann. Den Abend, den der kubanische Künstler Humberto Diaz in der Villa gestaltete, hat Ruth Girod zum Beispiel besonders lebhaft in Erinnerung: «Mich hat unglaublich beeindruckt, wie er aus minimalen, nur im und um das Haus anwesenden Dingen Kunst gemacht hat, mit beschrifteten Herbstblättern aus dem Park, als lebende Skulptur unter der Flügeldecke. Indem er die Dinge umgestaltete, sie in eine neue Form brachte oder anders hinstellte, präsentierte er uns neue Schätze. Das war eine Wucht. Ich habe gestaunt, wie sich mir neue Perspektiven eröffneten. An solchen Abenden bin ich erfüllt von Glück.»

Keine Selbstverständlichkeit

 Kommt die Rede auf die Finanzen, wird Stiftungsrätin Ruth Girod allerdings nachdenklich. «Das ist, wie in allen Stiftungen, die während der letzten Finanzkrise Geld verloren haben, ein grosses Thema», erzählt die Stiftungsrätin. Sie seien aktuell auf der Suche nach Gönnerinnen und Gönnern und machen darauf aufmerksam , dass man der Villa ein Legat vermachen kann. «Wir wollen unsere auftretenden Kunstschaffenden bezahlen, das ist uns wichtig», sagt sie. Ebenso wichtig sei es, die Samstagsmatinée als niederschwelliges Kulturangebot auf Kollekten-Basis weiterführen zu können. Es sei nicht selbstverständlich, dass die Stiftung einfach so einen Raum dafür zur Verfügung stellen und  somit dieses alte Haus immer wieder neu aufleben könne. «Mich würde besonders freuen, wenn noch mehr junge Leute den Weg zu uns finden», sagt Anneliese Schmid. Doris Sträuli würde dem wohl zustimmen, damit ihr Haus noch lange belebt ist. Und da sind sich wohl alle einig, die sich der Villa verbunden fühlen; der Himmel ist für einmal nicht fern, sondern nah – zu finden in unserer Stadt.

 

www.villastraeuli.ch

Kultursalon

Samstag, 04. Oktober 2014, 16 Uhr mit Marina Khorkova

Samstagsmatinée

Samstag, 04. Oktober 2014, 11 Uhr mit Absofluetly

Samstag, 11. Oktober 2014, 11 Uhr mit Mohinder «Mendi» Singh &       Roger Odermatt

Samstag, 18. Oktober 2014, 11 Uhr mit Moni und die Luftpost

Samstag, 25. Oktober 2014, 11 Uhr mit dem Münchner Gitarrentrio

Kultursuppe

Mittwoch, 22. Oktober 2014, 11:45 Uhr mit dem neuen Leiter des Konservatoriums, Valentin Gloor

 

 

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