Nicolas Witschi (25), Ruswil
Als ich aufwache, erinnere ich mich nicht mehr daran, was ich geträumt habe. Vielleicht von meinem Ausflug gestern – mit der Spiegelreflexkamera bepackt, immer auf der Suche nach Sujets. Müde bin ich und den Kampf gegen meine Wecker habe ich verloren. Ich schaue auf die Uhr: Bald kommt der Bus nach Luzern. Das erste T-Shirt auf dem Stapel schnappen, Klappvelo greifen, zur Haltestelle gehen. Während der Fahrt lässt die Morgensonne verschiedene Reflexionen und Spiegelungen im Bus erscheinen. Das inspiriert mich. Im Atelier angekommen, mache ich mich gleich an die Arbeit.
Kaffeebilanz um 10 Uhr: Fünf Tassen. Gegen Mittag dann die erste richtige Mahlzeit, bestehend aus Resten vom Abendessen und Salat. Danach wieder an die Arbeit, voller Konzentration, ohne Musik. Die Geräusche meines Arbeitsprozesses genügen mir: Das leise Piepen, wenn die Kamera die Schärfe einstellt. Das Klicken des Spiegels beim Betätigen des Auslösers. Der Klang von auf Stein treffendes Metall. Das Geräusch des Hämmerns im gusseisernen Mörser. Das feine Rieseln des feinen Pigments. Das Anmischen des Harzes mit einem Holzstab im Plastikbecher. Die Stille und Angespanntheit beim Auftragen des Harzes und der Pigmente.
Kaffeebilanz um 18 Uhr: Dreizehn Tassen. Der Arbeitstag neigt sich dem Ende zu. Ich schnapp' mir mein Klappvelo. Steig' in den Bus, fahr' nach Ruswil und geh' in meine Wohnung, koche mir etwas zum Abendessen, lese ein Buch, leg' mich ins Bett, stelle die Wecker, schlafe ein.
Iris Brugger (26), Marseille/Basel
Es ist 7 Uhr und mein Wecker klingelt – und klingelt. Er klingelt auch eine Stunde später, als ich endlich aufstehe. Ich war schon besser gelaunt, denn geträumt habe ich gerade vom dritten Weltkrieg. Es gibt Fröhlicheres. Doch dann gilt es, sich die ersten wichtigen Fragen des Tages zu stellen: Frühstück oder kein Frühstück? Ich schaue in den leeren Kühlschrank und entscheide mich dagegen. Welches T-Shirt? Ich entschiede mich für das schwarze aus Leinen. Bevor ich aus der Tür trete, merke ich, dass ich die Schuhe vergessen habe. Typisch, ich vergesse immer alles und überall. Doch nun bin ich gewappnet, springe die Treppen der fünf Etagen meiner Wohnung hinunter, raus auf die Strassen von Marseille, rein in die Metro, aussteigen, ein kleines Stück laufen, eintreten in die «École supérieure d'art et de design». Und auf dem ganzen Weg höre ich «T.H.M» von Deerhunter. Immer wieder. Im Loop. Der Tag kann beginnen.
Kaffeebilanz 10 Uhr: Drei Tassen. Als ich zu arbeiten beginne, wird Deerhunter ruhig gestellt. Während ich arbeite, höre ich selten Musik. Und gerade bin ich mit Video- oder Tonbearbeitung beschäftigt, da brauche ich Stille. Mit dem Arbeiten kommt nun langsam doch der Hunger und ich esse meinen Linsensalat; mein Lieblingszmittag. Danach wieder hinein in die Konzentration, in die Welt von Bild und Ton. Und ohne dass ichs bemerke, neigt sich der Arbeitstag dem Ende zu.
Kaffeebilanz 18 Uhr: Fünf Tassen. Arbeitstag zu Ende. Jetzt kommt wieder Deerhunter in meine Ohren. Raus aus der «École supérieure d'art et de design». Zuhause mach' ich eine Tarte für mich, meine Mitbewohnerin und weitere Freunde, welche gerade bei uns sind. Wir genehmigen uns ein Glas Wein. Noch ein Paar Zigis. Und dann das letzte Glas Wein, die letzte Zigi, den letzten Rauch rausblasen, ins Bett huschen. Und während ich da noch einige Löcher in die Luft starre, schlafe ich ein.
Seline Fülscher, (28) Zürich
Mein altes Mofa fährt und ich mit ihm. Durch verwunschene Orte, über farbige Hügel, vorbei an krummen Wolkenkratzern ... Dann klingelt der Wecker. Es ist 8 Uhr und ich befinde mich in meiner WG in meinem geliebten Kreis 5. Erster Programmpunkt: Geld verdienen. Frühstück? Keine Zeit. Ich ziehe das T-Shirt mit den Blumen an, welches mir meine Zwillingsschwester geschenkt hat, und schwinge mich auf mein Velo.
Bilanz Kaffeekonsum 10 Uhr: Ich trinke Wasser oder Tee. Es ist ein wunderschöner Tag. Eigentlich könnt' ich auch zu Fuss gehen, denn die Boutique, in der ich arbeite ist gleich um die Ecke, unter dem Viadukt. An anderen Tagen bin ich unterwegs nach St. Gallen, um bei einem Künstlerduo zu arbeiten, verbringe Stunden in meinem Atelier oder bin in der Toni in der Schule.
Am Abend geh' ich dann in mein Atelier, welches ebenfalls gleich um die Ecke liegt. Ich bin alleine dort, die einzigen Begleiter sind Timber Timber, die mich im Hintergrund berieseln. Zwei weitere Künstler, mit denen wir das Gemeinschaftsatelier teilen, sind nicht hier. Wenn Iris wieder zurück aus Marseille ist, wird sie ebenfalls hier arbeiten. Heute unterhalten wir uns jedoch nur per Skype.
Eine Freundin kommt danach noch bei mir vorbei, wir machen Empanadas, trinken Tee, geniessen die Zeit. Und am Schluss des Tages mach' ich dann noch, worauf ich heute schon den ganzen Tag Lust hatte: ein Bad nehmen.
Joeggu Hossmann (35), Thun
01000011 01101111 01110101 01100011 01101111 01110101 00001101 00001010. Hallo Welt. Er schwirrt mir immer noch im Kopf herum, der Binärcode, von dem ich geträumt habe, als ich in Thun in meiner Wohnung aufwache. In Thun, der Stadt der Alten. Mit den Binärcodes werde ich mich wohl später am Tag wieder beschäftigen. Jetzt habe ich aber Lust auf einen Kaffee. Ohne Frühstück. Dieses brauche ich nur, wenn ich einen Kater habe. Habe ich aber nicht.
Kaffeebilanz 10 Uhr: Vier Tassen. Ich arbeite in meinem Atelier zu Hause. Hier verbringe ich die meiste Zeit, male meine Bilder. Ich bemerke, wie ich gerade wieder in einen Tagtraum hineinwandere, um den Binärcode von letzter Nacht zu entschlüsseln. Elektronik, die Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins, die elektronische Revolution – das alles fasziniert mich und inspiriert meine Werke, ebenso wie Leute, die ihren eigenen Weg gehen. Bei diesem Gedanken schwenkt meine Erinnerung zu gestern: Zu einer Bahnfahrt, als ich mich wieder mal nervte über all die lebenden Halbtoten, die mir dabei begegneten, den Mitgliedern der Gesellschaft der Introvertierten – bis ich auf Serge treffe. Serge, den ich schon so lange nicht mehr gesehen hab' und der jetzt gleich als Mischer mit einer Band auf Europatournee geht. Leute, die machen, inspirieren mich.
Kaffeebilanz 18 Uhr: Sieben Tassen. Ich bin immer noch in meinem Atelier am Arbeiten, wie oft am Abend. Die künstlerische Arbeit steht oft dem Ausgang gegenüber. Dennoch entscheide ich mich später, noch auf ein Bier mit Freunden zu gehen. Das ist eine gute Entscheidung, die Gespräche sind interessant, ich fühle mich wohl. Und es wird spät. Und kurz bevor ich einschlafe, stelle ich mich darauf ein dass die Binärcodes wieder meine Träume übernehmen. 0101100 1011101 ... Lösen werde ich sie morgen.
Eva Gadient (33), Zürich/Paris
Ich träumte von Wölfen. Von Wölfen in einer Manege. Doch plötzlich sind sie weg, und ich erkenne, durch die Augen blinzelnd, langsam die Konturen meiner Rotbuche. Das Fenster bildet den Rahmen. Das Licht bricht herein. Offenbar habe ich gestern mal wieder vergessen, die Vorhänge zu ziehen. Es ist Donnerstag und ich bin in Zürich.
Ich steige auf mein Velo und fahre Richtung Seefeld, wo ich momentan mein Atelier habe. Beim Bellevue mache ich meinen obligaten Zwischenstopp, steige ab, trinke meinen ersten Kaffee. Ich mag es, hier im Café zu sitzen, die Zeitung zu lesen und die Stadt durch die grosse Fensterfront zu betrachten.
Kaffeebilanz 11 Uhr: Eine Tasse. Mittlerweile bin ich in meinem Atelier angekommen. Das iPhone vibriert. Ich schaue nach: eine Mail. Höchste Zeit eigentlich, das mit dem automatischen Weiterleiten mal zu ändern ... Aber ansonsten ist es bis jetzt ein eher ruhiger Tag: Les choses s'enchaînent und im Hintergrund läuft Björk.
Kaffeebilanz 18 Uhr: Fünf Tassen. Die Zeit vergeht schnell im Atelier. Es ist 20 Uhr, ich packe meine externe Festplatte ein und all das, was ich in den nächsten Tage brauche, und fahre in die Stadt, dem See entlang, über die Quaibrücke Richtung Langstrasse. Dort treffe ich mich mit Freunden.
Und als ich dann ein paar Stunden später zu Hause angekommen bin, den Vorhang zugezogen habe und in meinem Bett liege, spüre ich diesen Moment, dieses Gefühl, welches mich gut einschlafen lässt: Nämlich, dass alles gut ist, genau so, wie es jetzt ist. Und morgen dann fahre ich wieder nach Paris.
Jungkunst
23. bis 26. Oktober 2014
Halle 52
Katharina-Sulzer-Platz
8400 Winterthur
www.jungkunst.ch