Fernando Barcovich
«Ich habe an den Musikfestwochen meine Frau Gönül kennengelernt. Das ging so: Ich sass mit ein paar Freunden auf der Steibi, trank Bier und rauchte. Da kam sie und fragte nach Feuer, aber ich verstand sie nicht. Sie fragte auf Englisch, und so kamen wir ins Gespräch. Eigentlich war ich gar nicht auf der Suche nach einer Freundin. Bevor ich in die Schweiz kam, hatte ich in Argentinien Frau, Kind, Haus – das ganze Paket eben. Als das alles zerbrach, sagte ich mir: Jetzt geniesse erst einmal das Leben. Aber als ich Gönül am Balkanabend nach unserem ersten Treffen tanzen sah, war es um mich geschehen. Da kann man nichts machen.
Das war 2009. 2010 musste ich die Schweiz wegen einer Gesetzesänderung verlassen. Ich las den Brief vom Migrationsamt, als ich nachts um drei vom Ausgang heimkam. ‹Bitte sag mir, dass ich das falsch verstehe!›, sagte ich zu meinem Kollegen und hielt ihm den Brief hin. Die Firma, für die ich arbeitete, besorgte mir einen Arbeitsplatz in Schweden. Als ich da ankam, hatten sie gerade einen extrem kalten Winter: minus 25 Grad! Ich, aus Buenos Aires, bei minus 25 Grad! Ich fror die ganze Zeit. Es war fast wie Sommer, als ich Gönül in die Schweiz bei sieben Grad besuchen ging, und ich verstand nicht, warum alle so dick eingepackt rumliefen.
Nach zwei Jahren in Schweden heirateten wir in der Schweiz und gingen nach Argentinien. Wir kauften einen VW-Bus und reisten durch Südamerika, verkauften Schmuck an den Märkten – so richtig hippiemässig. Im Juni 2013 kamen wir wieder nach Winterthur, dank der Ehe ging das. Auf der Suche nach Arbeit fragte ich bei den Musikfestwochen an. Als ich erfuhr, dass praktisch alles von freiwilligen Helfern organisiert wird, konnte ich das fast nicht glauben! Es ist krass, mit wie viel Herzblut die Leute dabei sind. Sie sind für mich wie eine Familie für zwei Wochen. Man kommt zusammen, um das Festival auf die Beine zu stellen, das finde ich ein tolles Gefühl. Und auch sonst sieht man sich immer wieder – einer, so habe ich gerade herausgefunden, ist jetzt mein Nachbar! Zudem ist es einfach super, die Bühne und die ganze Infrastruktur aufzubauen und dann zu sehen, wie die Menschen an den Konzerten dank deiner Arbeit ihren Spass haben.»
Paul und Lionardo Wernli
«Winterthur war in den Achtzigern ein Kaff. Wir mussten jede Party selber organisieren, um elf schlossen die Beizen schon und deshalb waren die MFW als etwas ‹nicht Vorgekautes› speziell. So habe ich 1983 zum ersten Mal in einer Beiz serviert und helfe seitdem jedes Jahr mit.
Heute bin ich im Ordnungsdienst aktiv und koche im Festzelt El Tipico. Im Vorstand für den Bereich Gastro aktiv war ich 1992 bis 1994; das war auch die Zeit, als meine Frau dazugestossen ist. Ich habe sie 1992 an der Fasnacht kennengelernt und sie hat sofort bei den MFW mitgeholfen. Den Heiratsantrag habe ich ihr auch beim Helfen im El Tipico gemacht, wieder an den Musikfestwochen. Irgendwie schliessen sich im Leben gewisse Momente zusammen: an der Fasnacht kennengelernt, an den Musikfestwochen verlobt und wieder an der Fasnacht geheiratet.
2001 haben wir unseren dritten Helfer gekriegt. Unser Sohn Lionardo ist im Februar geboren und hat schon im Sommer mit den MFW gestartet. Wir haben ein Campingbett mitgenommen und dann hat er da halt geschlafen, wir vorne im Kochzelt und er hinten im Backstage. Seit zwei Jahren trägt er nun Funk und Weste und ist im Ordnungsdienst dabei; vorher hat er einfach mitgeholfen, wo er wollte. Er sei ‹zur Bandunterhaltung› da, wird unter uns gescherzt, denn Lionardo läuft in den Pfarrgarten hinten im Backstagebereich, unterhält sich mit den Musikerinnen und Musikern, auch auf Englisch, alles locker, alles normalo. Wie lange er noch mithelfen will, weiss er nicht. Aber wir alle drei sind nun schon lange dabei, quasi Teil dieser grossen Familie, die sich einmal im Jahr sieht. Es fühlt sich wie Heimkommen an. Trotz ‹Chrampf und Schaffe› ist alles unkompliziert und wir machen dann zusammen ein gutes Festival und sind für diese beiden Wochen mit der Musik in einer anderen Welt.
Neben der Arbeit nehmen wir auch spannende Begegnungen und witzige Momente mit. Mit den Toten Hosen haben wir eine lustige Geschichte erlebt. Campino ist die Bühne hinaufgeklettert, früher waren an den Seiten der Bühne die Boxentürme. Er ist ganz hinauf und oben vom Boxenturm hinüber aufs Kirchengemeindehaus gesprungen. Zurück konnte er aber nicht mehr und musste eine Scheibe eintreten, wobei er sich das Schienbein aufgeschnitten hat. Durch die Wohnungen von anderen Leuten musste er dann rausgehen. Die Toten Hosen haben den Schaden natürlich bezahlt und der Kirche als Entschuldigung noch neue Gesangsbücher gekauft.»
Peter Wittwer
«Dass ich Helfer an den Musikfestwochen wurde, hat einen speziellen Grund. Ich bestellte mir im 2010 auf der Webseite ein T-Shirt der Musikfestwochen. Als es dann per Post kam, dachte ich, ich hätte eine Fehlproduktion erhalten. Der Druck war ganz schlecht; da ich einen Background im Siebdruck habe, sehe ich so etwas. Also habe ich reklamiert. Man hat mir gesagt, dass alle T-Shirts so aussehen würden, das sei ein gewollter Vintage-Effekt. Da dachte ich mir: Jetzt hast du aber schön ins ‹Tintefässli glängt›. Als Wiedergutmachung meldete ich mich das Jahr darauf dann als Helfer. Und weil es so Spass machte, habe ich das jetzt die letzten drei Jahre gemacht.
Ich helfe jeweils bei der Becherrückgabestelle. Wenn die Becher zu Beginn angeliefert werden, zähle ich sie kurz durch, danach verteilen wir sie auf die einzelnen Stellen. Ich arbeite immer an jener im Gastrozelt. Da nehme ich die Becher entgegen, zähle sie und gebe pro Becher einen Zweifränkler zurück. Eigentlich haben wir die sozialste Arbeit, haben mit den unterschiedlichsten Leuten zu tun und geben erst noch Geld zurück. Es gibt solche, die sammeln den ganzen Abend Becher zusammen und bringen sie dann türmeweise zu uns, die kennt man mit der Zeit. Letztes Jahr gab es einen Rumänen, der sich so zwei Wochen lang durchfinanziert hat – für einige Besucherinnen und Besuchern war dies aber auch mühsam, weil er ihnen die Becher fast aus der Hand riss. Das gibt es leider auch. Es gibt auch immer jene, die versuchen, kaputte Becher zwischen den ganzen zurückzugeben, aber bei mir kommen die selten durch.
Als selbstständig Erwerbender kann ich mir meine Zeit selbst einteilen. Während den zwei Wochen arbeite ich dann jeweils einfach am Morgen. Als 57er-Jahrgang fühle ich mich an den Musikfestwochen überhaupt nicht alt. Jene, die seit Beginn des Festivals dabei sind, sind fast gleich alt. Ich mag es sonst im Alltag eher ruhig. Ich höre fast nie Musik, ausser vielleicht ein wenig Techno zum Programmieren. Aber die Musikfestwochen sind ein Fest, ich finde es wichtig, dass man hingeht, und ich mag das Gedränge auf der Steibi. Während den Konzerten hüpfe ich schon mal mit zur Musik. Interessant ist jeweils, dass man an den Besucherinnen und Besuchern auch erkennt, was für Musik läuft – sind besonders viel Metaller da, wird wohl eine Metal-Band auftreten. Und trotzdem ist die Durchmischung immer gut. Besonders gefallen haben mir The Young Gods im Jahr 2010 und die Simple Minds im 2011.»
Willi Demuth
«Ich bin schon seit 14 Jahren bei den MFW dabei, seit 2000. Die MFW sind eine gute Sache. Ich helfe gerne, das macht mir Freude. Zuerst half ich beim Albanifest. Sie brauchten dann aber keine Helfer mehr. An einer Vorstandssitzung des Albanifestkomitees war auch eine Person des Vereins Winterthurer Musikfestwochen da. Sie fragte mich, ob ich bei den MFW mithelfen wolle. Da habe ich sofort ja gesagt. Seitdem bin ich Helfer. Meine Freundin wollte mal an ein Konzert, aber zahlen wollte sie nicht. Dann habe ich zu ihr gesagt, sie müsse eben mithelfen, wenn sie nicht zahlen wolle. Seitdem ist sie auch dabei. Wir sind zwei der wenigen IV-Beziehenden, die an den MFW mithelfen.
An den MFW hole ich das Essen und stelle es auf. Darunter sind auch viele Kuchen, die meine Freundin und ich bereitstellen. Aber in Stücke schneiden, das macht sie, nicht ich. Ich kann nicht so gut gleich grosse Stücke schneiden wie sie. Sie macht das gut: schön und gleichmässig. Alle Kuchen, die an den MFW verkauft werden, sind selbst gebacken. Wenn ein Stück auseinanderfällt oder zu klein ist, dürfen wir es essen. Am Ende des Tages sind das dann schon viele Stücke. Aber ich esse nicht viel davon, ich muss auf meine Linie achten.
Ich hole auch Material und stelle es auf. Ich hebe gerne Sachen. Ich mache eigentlich alles gerne. Aber schwere Sachen heben geht nicht, mir fehlt die Kraft. Ich habe auch einmal nachgefragt, wie es ist, beim Ordnungsdienst zu arbeiten. Aber nein, das ist nichts für mich, zu wenig Kraft. Ich hole das Material mit dem Paletten-Rolli. Das geht gut. Manchmal machen mich die Leute aber wütend. Ich will mit dem Rolli Material transportieren, sage dann den Leuten ‹äxgüsi›, und sie machen einfach keinen Platz. Auch, wenn es dringend ist! Und manche sind sehr betrunken. Angst habe ich nicht. Auch in der Nacht nicht. Ich erlebe auch lustige Sachen. Auf der Steinberggasse haben einmal Kinder im Brunnen gebadet. Sie haben Wasser gespritzt, bis zu unseren Kuchen! Die Kuchen sind nass geworden; das geht natürlich nicht. Der Ordnungsdienst hat es ihnen dann gesagt. Das war lustig.
Ich freue mich immer auf die MFW, die gefallen mir, da bleibe ich dabei, ganz sicher. Ich lerne neue Leute kennen, sehe viele alte Bekannte und kann schwätzle. Auf das Helferfest freue ich mich auch! Dann können die anderen mal arbeiten und wir festen. Ich mag Musik. Ich bin auch in einer Band, der Clubband. Wir sind drei Leute: Flöte, Keyboard, Trompete – ich spiele Flöte. Einmal pro Woche haben wir Bandprobe und jeden zweiten Freitag gehe ich in den Flötenunterricht. Wenn die MFW sind, gehe ich gleich nach der Arbeit in den Unterricht und dann direkt helfen. Das ist anstrengend. Ich habe aber während den MFW eine Woche Ferien. Und manchmal habe ich auch genug davon. Aber solche Tage gibt es. Wer kennt sie denn nicht.»
Zoe Gehring und Alexandra Hauri
«Im Judd-Brunnen baden, während Franz Ferdinand die Steibi rocken? Da sind wir dabei! Solche unvergesslichen Momente erleben wir als beste Freundinnen schon seit acht Jahren. Wir machen so gut wie alles zusammen: ob wir eine anstrengende Arbeitswoche bei einem gemütlichen Altstadtbummel ausklingenlassen, den FCW auf der Schützi anfeuern oder auf dem Wolfensberg picknicken. Die MFW sind natürlich auch jedes Jahr rot in unserer Agenda eingetragen. Diese wurden uns nämlich bereits in die Wiege gelegt und gehören, seit wir denken können, zum Pflichtprogramm im Spätsommer. Als Helferinnen sind wir nun seit rund fünf Jahren mit dabei: aus Interesse, aus Spass und weil wir einen Teil zum Erfolg dieses tollen Festivals beisteuern wollen. Wir sind im Streetteam. Das heisst, wir bringen den Leuten in der ganzen Schweiz die MFW näher, sei das mit Plakaten, Flyern oder coolem Werbematerial. Dafür reisen wir von Stadt zu Stadt: St. Gallen, Bern, Luzern, Baden, Solothurn, Schaffhausen – alle auf unserem Programm. Von grimmigen Gesichtern lassen wir uns nicht einschüchtern, die gibt es leider überall. Umso mehr motiviert es uns, diese Leute für die MFW zu begeistern und sie mit einem Lächeln und dem MFW-Flyer weglaufen zu sehen. Bist du bei diesem Job zu schüchtern, trägst du alle Flyer wieder mit nach Hause. Wegen unserer Offenheit und Spontaneität reisen wir zum Glück immer mit leeren Händen zurück nach Winti. Die MFW im Streetteam zu repräsentieren, macht uns schon ziemlich stolz.
Jeden Sommer sind wir an diversen Open Airs anzutreffen und auch da gilt es, die Leute im August für die schönsten zwei Wochen im Jahr nach Winti zu locken. Stoppen kann uns nicht mal der Ordnungsdienst: Werden wir zum Beispiel beim Vollkleistern der WC-Wagen erwischt, hängen wir einfach alle Plakate an unser Zelt und unseren Pavillon. Fliegen wir beim Flyern auf, verschenken wir eben grosszügig unsere schönen MFW-Streichhölzer und vergessen ‹versehentlich› da und dort eine Handvoll Flyer auf den Tischen der Bars und Essensstände. Wir wissen uns eben zu helfen. Die vollen Zeltplätze, der Lärm, das Gedränge, an das haben wir uns schon längst gewöhnt. Nach all den Festivals sind wir dann doch ein wenig müde: die vielen Eindrücke, die vielen Menschen. Der krönende Abschluss unseres Festivalsommers sind jeweils die MFW. Inmitten der Altstadt und nicht überdimensional gross sind sie ein guter Abschluss und für uns geradezu eine perfekte Ruheoase unter den riesigen Open Airs. Die Atmosphäre ist familiär und intim, denn hier ist man dem Künstler so nahe, wie an kaum einem Konzert unter freiem Himmel.»