Die Magie der kleinen Bühne

Die Magie der kleinen Bühne

Der älteste Musikclub der Stadt feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Zeit, auf die schönsten Albani-Erinnerungen zurückzublicken.

«Que tal bei dir?» fragt das Albani auf einer grossen Schiefertafel – zu sehen ist diese, wenn man von der Obergasse die Steinberggasse hinunterläuft. «Mucho mejor» möchte man antworten, wenn der Blick nach einem langen Arbeitstag über die gut gefüllte Gartenbeiz mit den Liegestühlen und den vielen Leuten um und in den Judd-Brunnen wandert. Gelächter ist zu hören. Der Duft von Grilliertem, lauem Sommerabend liegt in der Luft. Hier trifft sich, wer Lust auf eine Auszeit hat: Kinder, Erwachsene, Seniorinnen, Studenten. Handwerkerinnen, Akademiker, Arbeitslose. Hip Hopper, Punks und Hipster. Eine gute Mischung, so vielfältig, wie Winterthur selbst – und vielleicht der Grund dafür, warum das Albani seit 30 Jahren seinen festen Platz in der Kulturstadt hat.

30 Jahre Musikgeschichte

Angefangen hat alles an einem August-Abend 1988. Als Geburtsstunde der «Albani Bar of Music» gilt der legendäre Auftritt von Willy DeVille. Seit diesem ersten Konzert haben knapp 2000 Musikerinnen und Bands die Albani-Bühne bespielt und deren Namen weit über die Stadt- und sogar die Landesgrenzen hinausgetragen. An der Grösse kann dies nicht liegen: Auf knapp fünf Quadratmetern Bühne tummeln sich Einzelkünstler bis drölf-köpfige Bands, nicht selten musste dabei der eine oder andere Drummer mitsamt Equipment in die Küche nebenan ausweichen, oder die Leadsängerin machte den Bartresen zu ihrer erweiterten Bühne. Auch Pearl Jam, die 1992 in Winterthur eines der letzten intimen Konzerte vor dem ganz grossen Durchbruch spielten, gaben so – allerding nur halb freiwillig – ihr Unplugged-Debut: Aus Platzgründen mussten sie auf ihre grossen Verstärker verzichten. Der Auftritt der Grunge-Matadoren aus Seattle wurde übrigens aufgezeichnet und ist auf der Doku «PJ20» zu sehen, die 2009 erschien. In guter Erinnerung ist er auch immer noch den damals anwesenden Konzert-Gästen. Willi war einer von ihnen.

Gut besucht, aber nicht brechend voll, war das Albani an diesem Abend. «Pearl Jam sind schon ziemlich speziell gewesen», erzählt Willi. In Erinnerung geblieben sei ihm vor allem die Stimme von Eddie Vedder. «Er hatte so eine voluminöse Stimme, da war ich mir nie ganz sicher, ob ich ihn jetzt direkt oder über die Lautsprecher höre.» Es sei schwer zu beschreiben, sagt Willi. Aber diese Verbindung vom natürlichen Klang der Stimme und ihrer elektronischen Verstärkung, habe für ihn das Erlebnis, mittendrin zu sein, natürlich zusätzlich intensiviert. Eddie habe zudem sehr viel erzählt, aber man habe ihn nicht so gut verstanden. Eindrücklich sei das Konzert gewesen und wahnsinnig gut vom Sound her.

Auf Tuchfühlung

Das Konzert im Albani, an das sich Willi am liebsten zurückerinnert, ist jedoch ein anderes: Les McCann, ein amerikanischer Jazzmusiker, sei bei seiner Ankunft im Albani völlig irritiert gewesen; er hätte nicht fassen können, wo er da gelandet sei. Doch dann habe man ihm plötzlich angemerkt, wie er die Atmosphäre im übervollen Albani doch noch zu schätzen begann. Die Nähe zum Publikum sei eben schon etwas Spezielles. Willi ist sich sicher, dass viele Musikerinnen und Musiker genau diese Intimität lieben: «Es ist doch etwas anderes, als wenn du irgendwo auf einer grossen Bühne stehst und unten nur so schemenhaft ein paar Köpfe siehst – ich glaube, es ist für Musikerinnen und Musiker auch irgendwie cool, zu sehen, wie die Blicke der Menschen von Instrument zu Instrument wechseln, je nachdem wer gerade ein Soli spielt», meint Willi. Der intime Rahmen zeichne das Albani aus, ja vielleicht sei es in der Schweiz schon fast einmalig, dass hier Topmusikerinnen und -musiker so nah bei den Leuten Konzerte spielen.

Dass die Intimität im Albani einzigartig ist, können auch die Winterthurer Musikschaffenden bestätigen. Für viele war die kleine Bühne im Albani Zwischenstopp oder gar Startrampe für ihre Karrieren. Fabio Müller aka Shmutzly von der Winterthurer Rap-Crew Eigänabou ist neben den unzähligen Malen im Publikum schon mindestens zehn Mal selbst auf der Albani-Bühne gestanden. Am besten blieb ihm die Plattentaufe der «Shot»-Reihe im September 2013 in Erinnerung: «Das Albani war pumpenvoll, der Club hat förmlich gekocht – die Stimmung war grossartig, aber es war auch unglaublich heiss. Ganz ausgeartet ist es, als wir für den Track «Vitudurum United» mit allen Winti-Rappern auf der Bühne standen und mit dem Publikum ‹alles abgerissen› haben.» Die Nähe zum Publikum entlade sich in einer unglaublichen Emotionalität. Es gebe dem Lokal einen Underground-Touch, dass man vom Publikum ein so direktes Feedback erhalte – und auch, dass man gut mal auf die Bar steigen könne, wenn man sonst keinen Platz findet, sich als MC zu bewegen. Auch im Backstage-Bereich haben sich die «Eigänabou»-Jungs immer gerne aufgehalten. Umso mehr schmerzte es Shmutzly, als die Unterschrift der amerikanischen Rap-Legende Guru von Gang Starr bei einer Renovation im Backstage einfach überstrichen wurde. «Das war eine Erinnerung an eine Hip- Hop-Institution, die wohl nicht häufig auf der Welt zu finden ist», sagt er. Durch das Dahinscheiden des Rappers könne sie auch nicht mehr repliziert werden.

Neben Musikerinnen und Musikern treten seit 2004 auch einmal im Monat Dichterinnen und Dichter auf der Albani-Bühne auf. Der «Dichtungsring», wie sich die Poetry-Slam-Veranstaltung nennt, kam dabei eher durch Zufall zustande: Veranstalter Patrick Armbruster sei so oft an der Albani-Bar verhockt, dass ihn jemand vom Personal einmal gefragt habe, ob er das mit den Lesungen (aus denen später eine Slamveranstaltung wurde) nicht auch mal im Albani ausprobieren wolle. Warum nicht, dachte sich Armbruster. Der erste Slam sollte ursprünglich vor dem Albani auf der Steibi stattfinden. Da aber etwa 400 Personen auftauchten, man keine Bewilligung hatte und die Polizei den Slam auf der Gasse aufgrund einer Reklamation von einer Anwohnerin auflösen musste, hätte man den Anlass kurzerhand ins Innere des Albani verlegt. Dort findet er heute noch statt, im Mai wurde gar schon die 125. Ausgabe gefeiert.

Für manche auch ein Zuhause

Im Gegensatz zu anderen OnThur-Clubs ist das Albani nicht nur ein Konzertlokal, sondern auch Bar, Café, Begegnungsort – und Hotel. Roland Mages, der seit 2008 als Geschäftsleiter der Albani AG den Barbetrieb und das Hotel führt, könnte unzählige Anekdoten aus den letzten zehn Jahren erzählen – ein Abend reicht nicht dafür, all die Geschichten festzuhalten. Ein Erlebnis ist ihm aber besonders in Erinnerung geblieben: Im Hotel wohnte über längere Zeit jemand, der wöchentlich seine Miete bezahlte. Irgendwann stellte Roland fest, dass die Rechnung nicht mehr beglichen und der Hotelgast auch über Tage hinweg nicht mehr gesichtet wurde. Auch auf das Klopfen an der Zimmertür reagierte er nicht. Roland beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Er schloss das Zimmer auf und: «Buuumm! Das Zimmer war einem Messie zum Opfer gefallen», erzählt der Geschäftsführer. «Auf dem Bett waren überall Zigarettenstummel verteilt, jeder einzelne säuberlich auf einen Bierdeckel gelegt, damit keine Asche die Matratze berührt.» Offensichtlich hatte der Gast seit längerem nicht mehr im Albani geschlafen. Unter dem Bett fand Roland säuberlich gefaltet und aufgestapelt Fast-Food-Abfall. Daneben lagen zwei brandneue Mobiltelefone, noch verpackt. «Auch im Schrank stapelten sich unzählige Jeans, ungetragen und noch mit Etikett versehen.» Das Zimmer sei so zugestellt gewesen, dass es kaum betreten werden konnte – «kein Wunder, hatte der Gast das Putzpersonal schon vor einiger Zeit gebeten, die frischen Bettbezüge nur noch vor die Zimmertür zu legen und den Raum nicht mehr zu putzen.» Roland habe dann den ganzen Müll in Säcke gepackt und das Zimmer ausgeräumt, in der Annahme, den Gast so bald nicht mehr im Albani zu sehen. Just in dem Moment, als er mit dem letzten Abfallsack das Treppenhaus hinunterlief, kam ihm der Hotelgast jedoch gut gelaunt entgegen. Dass sein ganzes Hab und Gut entsorgt wurde, habe ihn nicht sonderlich gestört. Nur dass Roland seine «Doktorarbeit» – eine Taubenfeder in einer leeren Colaflasche – weggeworfen hatte, habe ihn zutiefst getroffen. Der Mieter sei daraufhin in die psychiatrische Einrichtung zurückgekehrt, aus der er kam, bevor er im Albani einzog. Noch heute rufe er ab und zu an, um zu fragen, wie es «dem Volk» im Albani gehe.

Eine ausserordentlich feuchte Party

Der Verein Albani (Konzert- und Clubbetrieb) und die Albani AG (Bar und Hotel) beschäftigen rund 55 Menschen – inklusive Licht- und Tontechniker, Putzpersonal, Garderobe und Kasse. Für die Gäste ist das Barpersonal am präsentesten. Die zwölf Personen hinter der Bar sind ein eingespieltes Team, viele arbeiten schon seit Jahren im Albani. Dienstältester Bartender ist Adrian Gyr, er steht bereits seit neun Jahren hinter der Theke. Auf seine prägendste Erinnerung an seine Zeit im Albani angesprochen, meint er zuerst: «Phuu, das ist schwierig, da muss ich nachdenken.» Bei so vielen Geschichten, vergesse man die eine oder andere wieder, erklärt er. Ein Abend sei ihm aber noch immer gut präsent: An einer «iLIKE»-Party vor etwa vier Jahren, «da ging der Wasserhahn hinter der Bar kaputt, das Wasser spritzte bis an die Decke», erzählt Adrian. Einmal war es siedend heiss, dann wieder eiskalt. Den Wasserstrahl mit mehreren Lappen zu stoppen, funktionierte nicht. Wie man das Wasser abstellen konnte, wusste in dem Moment niemand so recht. Die Party lief gut, die Menschen wollten trotzdem bedient werden, das Barpersonal war beschäftigt. Per Zufall fand man dann einen Klempner im Publikum, der den Hahn reparieren konnte und dafür ein gratis Bier erhielt.

Während das Personal hinter der Bar jeweils viel um die Ohren hat und lustige Geschichten nur am Rande mitbekommt, können die Garderoben-Mitarbeitenden so einige Anekdoten, aber auch von anstrengenden Erlebnissen mit betrunkenen Menschen erzählen. Jacqueline Woodtli bemerkt zum Beispiel: «Es gibt immer mal wieder sehr verwirrte Menschen, die Dinge verlieren oder vergessen.» Jemand hätte mal einen Stuhl mitgebracht und an der Garderobe stehen lassen. Sie hätte auch schon eine Lampe geschenkt bekommen. Und seit einigen Monaten steht eine Gitarre in der vier Quadratmeter grossen Garderobe – diese könne noch immer abgeholt werden. Umgekehrt kommt es aber auch vor, dass Menschen die Einrichtung im Albani abschrauben und entwenden. «Immer mal wieder wurden Glühbirnen entfernt, und einmal hat sogar jemand im Frauen-WC die Lampe abgeschraubt und mitgenommen», erzählt Jacqueline.

Ein Ort für neue Ideen

Weil das Albani nur für eine begrenzte Anzahl Gäste Platz bietet, ist der Club darauf angewiesen, dass der Betrieb immer einigermassen gut läuft – ansonsten können die Gagen für die Bands und die Löhne für die Mitarbeitenden nicht rausgeholt werden. In den letzten dreissig Jahren ist es dem Albani gelungen, dank Kultursubventionen und viel Herzblut auch finanziell schwierige Phasen zu meistern. Sorgen macht dem Geschäftsführer Roland Mages deshalb vor allem die zukünftige Entwicklung der Altstadt. «Im Prinzip sind wir auf das Wohlwollen der Anwohnerinnen und Anwohner in der Steinberggasse angewiesen.» Ein Drittel wohnt in Stefanini-Häusern, entsprechend sei die Toleranz gegenüber dem Nachtleben höher. Was mit den Häusern in Zukunft passiert, ist allerdings unklar. «Wenn es nur noch teure Wohnungen in diesem Teil der Altstadt gibt, wollen die Leute abends ihre Ruhe haben – das wäre das Aus für das Albani», erklärt Roland. Es bleibe ihm deshalb nur zu hoffen, dass der Stadt bewusst sei, dass das Albani den Standort für die Bevölkerung mehr aufwerte als teuer renovierte Wohnungen.

Denn das Albani ist viel mehr als nur die Erinnerungen, welche die Menschen mit ihm verbinden. Es ist eine etablierte Institution, die aus Winterthur nicht mehr wegzudenken ist. Viele innovative Aktivitäten in der Winterthurer Kultur- und Clubszene haben hier ihren Anfang genommen, neben vielen Techno- und Hiphop-Partys sowie dem Dichtungsring beispielweise auch der StadtTalk oder die neue Reihe «Diskuthek». Und weil es dem Albani wegen seiner Grösse einfacher fällt, Formate auszuprobieren, und es so den Spagat zwischen Kommerz und alternativer Kultur schafft, wird hier auch in Zukunft noch viel Neues entstehen können.

Das Albani hat so viele Geschichten von den Menschen dieser Stadt zu erzählen: Von denen, die tanzen, feiern, diskutieren und erzählen, aber auch von denen, die da wohnen, arbeiten und verkehren. Von Musik, Poesie und Party. Von so vielen Momenten, die man in der schnelllebigen Zeit wieder vergisst. Deshalb ist es schön, wenn man sie zu Anlässen wie dem 30. Geburtstag kurz festhält. Happy Birthday, liebes Albani!

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