«Wir hoffen auf den Herbst 2021»

«Wir hoffen auf den Herbst 2021»

Cyrill Sutter hat Anfang August die Stelle des Bookers im Salzhaus übernommen. Ein Gespräch über die Planung von Konzerten in Zeiten wie diesen, den entscheidenden Moment für Schweizer Bands und eine durchzechte Nacht in der Libero Bar.

HH: Cyrill, du bist ja alles andere als ein Grünschnabel in der Schweizer Kulturlandschaft. Gib mir doch kurz und knackig einen Einblick in deinen Lebenslauf.

CS: Angefangen hat alles vor etwa zehn Jahren, als mein Freund Flo und ich die Band Insane Betty gründeten, die heute unter dem Namen Manta Youf unterwegs ist. Um uns selber als Vorband zu buchen, begannen wir Ska- und Punk-Konzerte zu veranstalten – zuerst im Jugendkulturhaus Piccadilly und beim Open Air Lauschallee in Brugg, später im Merkker in Baden. Bald kam eine Partyreihe im KIFF in Aarau und mit dem Kulturverein INOX LIVE Konzerte in der ganzen Stadt Baden hinzu. Mit der Zeit wurde unser Booking immer vielfältiger, von Ska, Punk, Indie bis zu Reggae. Nach meinem Zivildienst-Einsatz im Merkker hatte ich Mühe, als gelernter Elektriker wieder in meinem alten Beruf Fuss zu fassen. So fällte ich letztlich den Entschluss, das zu machen, was mir Bock macht.

Für ein paar Jahre war ich Projektleiter beim Aargauer Jugend-Band-Wettbewerb BandX und beim Kulturförderprogramm Kulturdünger, machte 2017 bis 2020 das Booking im Kulturlokal Werkk und seit 2015 beim KleinLaut Festival. 2016 hatte ich mich dann für den Job des Bookers im Salzhaus beworben, den sich damals Nico Schulthess ergatterte. Um aber einen Fuss in der Tür zu haben, und auch für mein eigenes Party-Booking im Werkk Inspiration zu holen, arbeitete ich ab und an als Abendverantwortlicher im Salzhaus. So habe ich also vier Jahre lang in Winti die Nächte durchzecht. Als Nico dann kündete, hat mich Geschäftsleiter Michael Breitschmid eines Abends zur Seite genommen und gefragt, ob ich noch immer Interesse daran hätte, im Salzhaus als Booker zu arbeiten. Ich habe zugesagt, jedoch nicht ohne etwas Bedenkzeit. Denn ich war mir der Eingeschworenheit der Winterthurer Szene durchaus bewusst und machte mir schon etwas Gedanken, obwohl der Fall für mich eigentlich von Anfang an klar war. Nicht zuletzt wollte ich aber auch einfach meine heutigen Chefs, Michi und Kajo, etwas zittern lassen (lacht).

 

HH: Wieso hat es dich, über die Aargauer Kantonsgrenze hinaus, gerade nach Winterthur verschlagen?

CS: Bereits als Teenie bin ich ins Gaswerk und ins Jugendhaus an Ska-Nights gepilgert. Schon da fiel mir positiv auf, wie die Kulturszene in Winterthur durch die gemeinsamen Projekte der Clubs lebte. Auch später habe ich oft auf die Winterthurer Musikszene geschaut, um zu sehen, was so ging – vor allem aber auch «wie» es ging.

 

HH: 2020 ging allerdings nicht so viel, beziehungsweise vieles war anders. Das Salzhaus hatte nach dem ersten Lockdown nur über die Sommermonate geöffnet; seit September sind die Türen wieder geschlossen und werden es vorerst auch bleiben. Wie war der Einstand für dich am neuen Arbeitsort?

 

CS: Normalerweise besteht ein solcher «Einstand» darin, dass man die internen Abläufe kennenlernt. Durch meinen Job als Abendverantwortlicher hatte ich natürlich den Vorteil, das Haus und dessen Abläufe schon zu kennen. Im August musste ich jedoch direkt mitentscheiden, was nun angesichts der sich wieder verschärfenden Massnahmen Sinn machte und was nicht, wie man weiterfahren wollte, ob man überhaupt aufmachen sollte. Es war ein Sprung ins kalte Wasser.

 

HH: Was macht man derzeit als Booker*in, wenn keine Veranstaltungen stattfinden können?

CS: Im Salzhaus war es so, dass viele Konzerte, die im letzten Frühling stattgefunden hätten, bereits in den Herbst verschoben worden sind. So stand das Programm bis Jahresende mehr oder weniger, als ich im August meine neue Stelle angetreten habe. An meinem ersten Arbeitstag haben wir Hals über Kopf die Sonderbar um einen Monat verlängert. Wir rechneten bereits damit, im Herbst den Laden wieder dichtmachen zu müssen.

Da wir Monat für Monat entscheiden müssen, ob das Salzhaus offen bleiben kann oder nicht, fällt jedes Mal eine gute Portion Administrationsarbeit an: Die Events müssen verschoben und die Deals den jeweiligen neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Derzeit reservieren Booking-Agenturen oft provisorisch drei bis vier Datumsoptionen, sprich: im Frühling und Herbst 2021 und oft auch im Frühling 2022. Gleichzeitig versucht man natürlich, optimistisch zu bleiben und auch neue Programmpunkte zu buchen. So fällt schon etwas Arbeit an. Seit Oktober sind wir im Salzhaus trotzdem alle auf Kurzarbeit. Da lautet die Devise: Nur so viel arbeiten, wie gerade nötig ist.

 

HH: Jegliche Form von Planung ist damit mehr oder weniger ein «shot in the dark». Wie schwer fällt es dir, nicht nur motiviert, sondern vor allem auch inspiriert und kreativ zu bleiben?

CS: Um ehrlich zu sein, sehr schwer. Zurzeit geht es administrativ darum, das bestehende Programm zu verwalten. Das «Am-Ball-bleiben» ist nicht einfach, weil Routine und Planungssicherheit fehlen. Noch bevor die zweite Schliessung bis mindestens Ende Jahr feststand, hatten wir uns im Oktober intern zusammengesetzt und ein Rahmenprogramm für den Dezember überlegt, welches unter gewissen Auflagen hätte umgesetzt werden können. Weniger im Stil von Konzerten und Partys als vielmehr andere Veranstaltungsformen, die ohne grosse Menschenansammlungen funktionieren. Dabei ging es nicht zuletzt darum, dass wir uns selber motiviert halten, um eben diese Inspiration etwas zurückzugewinnen.

          Joa, da gabs halt doch wieder einen Rotstift drüber. Trotzdem ist das nun etwas, worauf wir zurückgreifen können, sobald Events in irgendeiner Form wieder möglich sein werden. Somit gilt es für den Moment, den Ball flach zu halten, Bands anzuhören und zu schauen, wie sich alles entwickelt. Ab Herbst 2021 planen wir bereits wieder mit 700 Besucher*innen. Und bis dahin hoffen wir einfach auf das Beste.

 

HH: Denkst du, dass die erschwerten Einreisemöglichkeiten für internationale Künstler*innen zu einem stärkeren Fokus auf die Schweizer Musikszene führen werden? Siehst du darin auch eine Chance für nationale Acts?

CS: Grössere Schweizer Acts – solche, die auch effektiv Tickets verkaufen – planen wie die meisten internationalen Künstler*innen erst wieder Tourneen ab Herbst 2021. Ob hingegen bis dahin, unabhängig davon, für nationale Acts grundsätzlich eine ‹Chance› besteht, mehr Aufmerksamkeit und Berücksichtigung zu bekommen, ist schwer zu sagen. Aber Schweizer Acts sollten in den ersten Monaten, wenn Konzerte wieder möglich sind, bereit für Auftritte sein. Denn wenn plötzlich alles erfrischend ist, weil die Ohren noch nicht voll sind, und das Bedürfnis nach Konzerten stärker denn je ist, sind das die entscheidenden Momente für eine Band. Davon bleibt auch emotional nachhaltig etwas hängen. So à la: «Diese Band habe ich damals als erstes Konzert nach der Pandemie gesehen!»

 

HH: Nun erzähl uns doch zum Schluss deine ganz persönliche Winti-Anekdote!

CS: Das ist jetzt eine Frage, auf die ich mich gerne vorbereitet hätte … Wobei, eine Geschichte fällt mir ein! Das war noch zu der Zeit, zu der ich als Projektleiter beim BandXNordwest gearbeitet habe. Als Abschiedsgeschenk für Jürg Morgenegg, Gründer und ehemaliger Vereinspräsident des BandX und mittlerweile Boss beim Radiosender Kanal K, machten wir einen kleinen Team-Ausflug. Da Jürg ein leidenschaftlicher Anhänger des FC Aarau ist und auch die Fussballkultur in Winti sehr schätzt, haben wir uns einen Tag ausgesucht, an dem der FC Aarau in Winterthur zu Gast war. Jürg wusste natürlich von nichts. Bei der Fussball-Überraschung alleine blieb es aber nicht. Ich wusste, dass Jürgs alter Bandkollege «Urban Junior» als One-Man-Band unterwegs war, und dass die beiden noch immer ziemlich dicke miteinander sind. Und da Winti ja auch punk ist, und den wilden After-Match-Partys in der Libero Bar ihr Ruf vorauseilt, habe ich kurzerhand bei Urban Junior sowie bei der Bar angerufen und völlig spontan diesen Gig gebucht. Alles ultra unkompliziert, niemand hat nach Geld gefragt. Jürg musste zu «Livin’ on a Prayer» von Bon Jovi im Duett auftreten. Meines Erachtens hatten alle einen fantastischen Abend – auch wenn mir am folgenden Morgen einige Details davon fehlten. Das war wohl mein erstes Booking in Winterthur.

 

Cyrill Sutter ist Booker im Salzhaus Winterthur und seit vielen Jahren in der Schweizer Musiklandschaft unterwegs. Neben seinen kulturellen Tätigkeiten für diverse Venues, Kulturvereine und Jugendförderprogramme spielt der 30-Jährige in der Badener Indie-Dub-Formation Manta Youf.

 

Hermann Haessig ist freischaffender Journalist mit Fokus auf Kunst und Kultur. Auf seiner Webseite hermannhaessig.com veröffentlicht er urbane Punkprosa und Isolationspoesie.

 

Jonathan Labusch ist freischaffender Fotograf und spielt bei Messina Gitarre und Keyboard.

(https://www.jonathanlabusch.com)

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