Fehlt es Winterthur an Galeriekultur?

Fehlt es Winterthur an Galeriekultur?

Warum Winterthur zwar eine Museumsstadt ist, es hier allerdings schwierig ist, eine Galerienkultur zu etablieren. Ein Gespräch mit den Galeristinnen Anita Bättig und Merly Knörle.

Die Galerie von Anita Bättig und Merly Knörle befindet sich an der Jägerstrasse 50. Der Raum ist gross und geräumig, mit hohen Decken und einem etwas kalt kahlen Industrieflair, was diese alten Fabrikhallen im Sulzerareal ausmachen. Vor bald sechs Jahren haben die Kuratorin und Fotografin Merly Knörle und die Szenografin Anita Bättig hier ihre gleichnamige Galerie «knoerle & baettig contemporary» ins Leben gerufen. Angetreten sind sie damals als Pionierinnen mit dem erklärten Ziel, mehr «contemporary Art» und etwas internationales Flair in das bis anhin galeriearme Winterthur zu tragen. Jetzt, wo sie aufgrund des Umbaus des Areals aus den Räumlichkeiten herausmüssen, blicken sie zurück auf eine harte Probezeit und in eine noch ungewisse Zukunft.

 

Linda Sulzer: Anita und Merly, ihr habt eure Galerie vor bald sechs Jahren im Sulzerareal eröffnet. Jetzt müsst ihr bis Ende 2017 ausziehen. Was passiert dann mit «knoerle & baettig contemporary»?

Merly Knörle: Als wir hier in der Fabrikhalle eingezogen sind, war uns bewusst, dass wir in etwa fünf Jahren wieder raus müssen. Es schien uns aber ein guter Zeitrahmen, um zu testen, ob eine Galerie im klassischen Sinne wie die unsere in Winterthur Fuss fassen kann. Jetzt, nach fünf Jahren Probezeit, fällt unser Fazit etwas gemischt aus. Wir sind daher nicht sicher, ob wir die Galerie in gleicher Form an einem neuen Ort in Winterthur weiterführen werden.

Anita Bättig: Sicher ist, dass wir weiter Kunstprojekte zusammen realisieren werden. Ob in Form einer kommerziellen Galerie oder ob wir auf andere Weise weiterhin junge Künstlerinnen und Künstler fördern werden, bleibt noch offen.

 

LS: Was meint ihr genau mit der Aussage, dass ihr ein gemischtes Fazit zieht?

MK: Wir sind mit dem Ziel angetreten, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus Europa und dem panamerikanischen Raum längerfristig international zu fördern und gleichzeitig auch die internationale Präsenz der Stadt an Messen, Ausstellungen und im Kunstmarkt zu vertreten. Eigentlich hat auch beides sehr gut geklappt: Wir arbeiten mit elf Kunstschaffenden aus fünf verschiedenen Ländern zusammen, waren an renommierten Kunstmessen in der Schweiz, Portugal, Italien, Mexiko und an den Biennalen in Havanna und Venedig. Wir brachten mit unseren Ausstellungen über zwanzig internationale Künstlerinnen und Künstler nach Winterthur. Einer unserer Künstler, Martin Cordiano, ist jetzt an der Hauptausstellung der Biennale Venedig mit dabei. Und dennoch sind wir uns nicht ganz sicher, ob wir mit unserer Arbeit in Winterthur richtig sind.

AB: Es scheint uns, dass sich Winterthur als Kulturstadt vor allem auf Museen und Ausstellungen mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern konzentriert. Der internationale Kunstmarkt hingegen mit all seinen Facetten und Hintergründen scheint in Winterthur nur ein kleines Segment von Kunstinteressierten zu begeistern.

 

LS: Fehlt es Winterthur also an einer Art Galeriekultur?

AB: Nun, schaut man beispielsweise nach Zürich, dann wird sehr schnell deutlich, dass man dort ein anderes Verständnis von Galerien und deren Arbeit hat: Man hat grosse Anlässe zur Galerie-Saisoneröffnung, thematische Galerie-Wochenenden und es gibt sogar ein App für interessierte Kunsthändlerinnen und -händler. In Winterthur hingegen scheint allgemein eine grosse Skepsis gegenüber diesem Geschäftsmodell zu herrschen. Die Nähe zu Zürich macht es nicht einfacher, als Galerie Fuss zu fassen. In Winterthur gibt es grossartige Kunst in Museen zu sehen, aber man kauft sie lieber in Zürich...

MK: Richtig. Winterthur ist keine Galerien-, sondern eine Museen-Stadt. Wir sind die einzige Kunstgalerie hier und trotzdem findet sie international mehr Beachtung als von den Winterthurerinnen und Winterthurer selbst.

In Winterthur ist hauptsächlich das geförderte Modell bekannt. Vielen Leuten ist zu wenig bewusst, dass sich eine Galerie wesentlich von einem subventionierten Kulturort unterscheidet. Galerien erhalten keinerlei Subventionen oder Sponsorengelder, sondern funktionieren eigentlich wie ein normales Unternehmen, nur auf dem Kunstmarkt. Das ist nicht einfach und bedeutet Geduld und viel unbezahltes Engagement.

 

LS: Ich nehme aber an, dieses Unwissen beschränkt sich meist auf Personen, die nicht wirklich viel mit Kunst zu tun haben?

MK: Nicht unbedingt. Nur weil man sich mit Kunst auseinandersetzt, schliesst dies nicht automatisch ein, dass man vom «Betriebssystem Kunstmarkt» etwas versteht. Bei den lokalen Kunstschaffenden besteht sicher ein grösseres Verständnis über die Idee einer Galerie. Dennoch finde ich es schade, wie wenig unser Angebot von ihnen genutzt wird. Wir hatten über die Jahre fast vierzig Künstlerinnen und Künstler in unserer Galerie – aus der Schweiz, Kuba, Argentinien, Mexiko, Amerika, England und vielen anderen Orten. Jede Künstlerin und jeder Künstler war hier vor Ort. Übrigens war Martin Cordiano, mit genau jenem Kunstwerk an der Bienale in Venedig, das er hier in der Galerie zeigte. Es wäre eine optimale Gelegenheit für lokale Kunstschaffende, sich ein breites internationales Netzwerk zu knüpfen oder sich von anderen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern inspirieren zu lassen. Stattdessen aber wirft man uns häufig vor, nicht genug an der Winterthurer Kunst selbst interessiert zu sein.

 

LS: Warum spielt die lokale Unterstützung denn für euch eine so wichtige Rolle?

AB: Für unser Schaffen, insbesondere für die Förderung der jungen Künstlerinnen und Künstler, ist es zentral, von lokalen Kunstinstitutionen wahrgenommen zu werden. Dies setzt ein gegenseitiges Interesse aneinander voraus. Wenn die Galerienszene in einer Stadt aber nicht etabliert ist, wird es umso schwieriger, dieses Interesse zu wecken.

MK: Eine lokal starke Vernetzung ist natürlich wesentlich für das Wachsen einer jungen Galerie. Ohne die Unterstützung der lokalen Kunstschaffenden und Kunstinstitutionen ist der Weg zum Ziel sehr kurvenreich… und schlussendlich leisten wir einen Beitrag zur Standortförderung Winterthur, indem wir als internationale Galerie den Namen der Stadt in die Welt hinaus tragen – gerade an internationalen Kunstmessen, in denen wir übrigens ständig erklären müssen, wo Winterthur liegt (Lachen).

 

LS: Und wie geht es weiter?

AB: Wir sind momentan dabei, verschiedene Optionen zu prüfen. Neben all den Schwierigkeiten gibt es eben auch die wirklich schönen Momente, die uns in unserer Arbeit bestätigen. Die Arbeit als Galeristin ist sehr vielfältig. Vor allem der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen Galeristinnen und Galeristen ist sehr inspirierend.

MK: Der Erfolg unserer Künstler ist dabei das eine – ein E-Mail mit einer Anfrage von der Kuratorin der Biennale Venedig zu bekommen, ist wahrscheinlich der Traum einer jeden Galeristin, oder jedes Galeristen. Wir erhalten aber auch von unseren Besucherinnen und Besuchern immer wieder grossartige Feedbacks, die unsere Wahl des Standorts Winterthur eben doch stützen. Immer wieder bekommen wir motivierenden Zuspruch, unsere Galerie unbedingt weiter zu führen. Das bekräftigt uns sehr… Sollten wir uns tatsächlich dazu entschliessen, bräuchten wir aber vorerst noch einen geeigneten Raum dafür. Wir werden also sehen.

AB: Wie gesagt, haben wir uns noch nicht entschieden, wie es weitergehen soll. Wir prüfen verschiedene Modelle und haben bereits einige Räumlichkeiten besichtigt. Wir können uns aber auch vorstellen, einen konzeptionell etwas breiteren Ansatz zu verfolgen. Wir befinden uns in einer Zeit der Veränderung und wir treten dieser Herausforderung mit Spannung entgegen.

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