Es ist kurz vor Weihnachten. Bis zum Rand mit Paketen vollgepackte Lieferwagen zirkeln durch die Quartier- und über die Landstrassen, um Berge von Kartonschachteln zu ihren Empfänger*innen zu liefern.
Nein, das ist nicht der Anfang eines schlechten Witzes, es ist der kleine Wahnsinn des Alltags: Wir bestellen so viel wie noch nie. 149 Millionen Pakete waren es 2017. Neue Turnschuhe von Galaxus, die Vorhänge von Ikea, das Cocktailkleid von Zalando. Am nächsten Tag liegt die heiss begehrte Ware bei uns im Hauseingang. Was versprechen wir uns davon? Glück? Ein Stück Weihnachten mittem im Jahr? Ist das der Grund, wieso wir heute so viel bestellen? Nur noch kurz die Verpackung aufreissen und schon sind sie erfüllt, unsere sehnlichsten Wünsche. Immerhin für ein paar Sekunden hält die Illusion.
Vielleicht ist jedes gelieferte Päckli eine gedankliche Reise in die Kindheit. In eine Zeit, in der man an Heiligabend für ein paar Stunden die Stube für das Christkind freigab, um schliesslich mit glänzenden Augen zurückzukehren. Und dann zu warten. Zu warten, bis das Essen aufgetischt und wieder abgeräumt, die Weihnachtslieder gesungen waren oder – Gott bewahre – der Gottesdienstbesuch beendet war. Und dann war es endlich soweit: die Geschenke konnten ausgepackt werden. Die Schnur wurde mit flinken Fingern entfernt, das Papier zur Seite gerissen, bis man es endlich in den Händen hielt: das Geschenk, das man vor ein paar Wochen in der Werbung gesehen hatten. Das Geschenk, das unsere beste Freundin schon lange hatte oder auf das die ganze Klasse neidisch sein würde.
Die Päckchen, die heute Tag für Tag ausgeliefert werden, sorgen durchaus noch für glänzende Augen. Lange darauf warten muss man allerdings nicht mehr. Alles ist ab Lager lieferbar. Unsere Wünsche sind kurzlebiger geworden. Und kaum ist der eine erfüllt, folgt schon der nächste. Welcher das ist, verraten uns die Algorithmen und die auf uns zugeschnittenen Werbeanzeigen, während die Onlineshops uns das Objekt der Begierde in Kürze finden lassen. Längere Öffnungszeiten verlieren hingegen immer mehr an Bedeutung. Der letzte vorweihnachtliche Einkauf ruft wohl eher einen hektischen Spiessroutenlauf in Erinnerung als den romantischen Spaziergang durch die verschneiten Gassen. Wieso also nicht die Weihnachtseinkäufe mit dem Notebook erledigen? Eine logische Entscheidung, so scheint es. Und trotzdem ist die Entrüstung gross, wenn ein Lädeli aufgrund der schlechten Verkaufszahlen die Türen schliessen muss.
Meine Grosseltern erzählten mir als Kind, dass ihr wertvollstes Geschenk zu Weihnachten eine Orange war, währenddessen sie mich reich beschenkten. Denn sie wollten mir das ermöglichen, was sie nie hatten. Die dazu erzählten Geschichten sollten daran erinnern, dass meine privilegierte Lage alles andere als selbstverständlich war.
Doch genau das ist unsere privilegierte Lage/Lebensweise in der Zwischenzeit. Das Weihnachtsgeschenk hat seinen angestammten Platz unter dem Baum verloren. Wir wissen nicht mehr, was wir einander schenken sollen, weil wir uns die Wünsche bereits unter dem Jahr erfüllen. Und immer wieder meinen wir, genau dieses eine Produkt noch zu brauchen, um unsere Garderobe zu vervollständigen, der Plattensammlung einen klaren Fokus zu geben, um endlich mehr Sport machen zu können. All diese Päckchen, die täglich ausgeliefert werden, sind kleine Versprechen auf ein erfüllteres Leben. Natürlich wissen wir ganz tief in uns drin, dass unser Glück von anderen Dingen abhängt. Aber wir sind schon so lange angefixt, sodass ein kleiner Entzug auch Nebenwirkungen mit sich zieht. Eifrig suchen wir nach der nächstmöglichen Bestellung in den Weiten des World Wide Webs. Und füttern neben unserem Hunger nach mehr auch die Algorithmen mit unseren Daten. Nur noch ein letztes Mal.
Dieses Jahr will ich es anders machen. Vielleicht
schenke ich all meinen Freund*innen eine
Orange, esse sie mit ihnen und höre ihnen zu.
Das ist wohl das wertvollste Geschenk, das ich
jemandem machen kann.