Lernhungriges Partyvolk aufgepasst: Während vor zehn Jahren vielerorts die mit der Bologna-Reform einhergehende Akademisierung von Kunst beklagt wurde, begründeten die zwei Zürcher Klemens Wempe und Ceo Müller das «Institute of Rap History». Dabei handelt es sich nicht um ein Institut im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr um eine Partyreihe, die als Referenz zur Uni aufgezogen wurde – samt Vorlesung, Fernkurs und reichhaltigen Unterrichtsmaterialien in Form von Mixes und Fanzines.
HipHop und Rap akademisieren? Was als Widerspruch daherzukommen scheint, ist durchaus ernst gemeint. Hinter der Initiative stehen grosse Leidenschaft und die Bemühung, die unterschiedlichen Ausprägungen, die sich in den letzten 35 Jahren im Bereich Rap und HipHop entwickelt haben, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Prinzip ist simpel und gleichermassen ambitioniert: Die Party – pardon, das Seminar – widmet sich jeweils eine Nacht lang Produktionen, die während eines Jahres entstanden sind, und das in chronologischer Reihenfolge. Begonnen wird im Januar mit dem Jahr 1979, anschliessend wird dem Publikum Monat für Monat ein alternativer Wissenszugang zur Entwicklung von Rap und HipHop vermittelt, bis zur Gegenwart. Paradiesvögel, Eintagsfliegen oder Songs mit kaum zumutbaren Texten sollen dabei ebenso gespielt werden wie bekanntere Stücke. Während es für Laien Vielfältiges und Unbekanntes zu entdecken gibt, werden DJs, Sammlern und Kennerinnen neue Informationen geboten, die das Bekannte neu strukturieren. Eine solche Kennerin ist Sara, die in Berlin lebende DJane That Fucking Sara, welche die Winterthurer Neuauflage gemeinsam mit Sascha Kieslinger programmieren wird. Ihre ersten Besuche an Rap-History-Partys beschreibt Sara als prägendes Erlebnis: «Damals ging ich zum ersten Mal freiwillig und gerne zur Schule, beim aufmerksamen Zuhören wurden mir neue Zusammenhänge bewusst. Stets hatte ich Stift und Papier dabei und notierte mir jeweils Namen von Tracks, die ich mir gleich am folgenden Tag im Plattenladen besorgte.»
Gegen Kurzlebigkeit und Mainstream
Nachdem das Format seinen Weg von Zürich nach Basel über Biel und St. Gallen bis nach Berlin und Warschau fand, kommt es nun – 6 Städte und zehn Jahre später – im Kraftfeld an. Die Frage drängt sich auf, warum die Reihe nochmals und ausgerechnet in Winterthur durchgeführt werden soll. Sara verweist auf ein breites Interesse an HipHop-Kultur in der Stadt. Dies sei an vergangenen Partys, an denen sie auflegte, deutlich geworden; oft wurde sie angesprochen, warum es in Winterthur keine «Rap History» gebe. Nun gibt es sie, samt inhaltlichen Neuerungen: Zum ersten Mal in der 10-jährigen Geschichte werden auch Filme miteinbezogen. Das Kino Cameo, vis-à-vis des Kraftfelds, zeigt gelegentlich thematisch relevante Filme. Damit wird dem Ziel der Macher und Macherinnen, die Geschichte aufzuarbeiten und gegen die Kurzlebigkeit und Oberflächlichkeit der Hit-Produktion im Mainstream anzutreten, verstärkt Rechnung getragen. Gerade Dokumentarfilme vermögen grössere Zusammenhänge und politische Dimensionen zu vermitteln – für Sara ein wichtiges Anliegen. Um die Songtexte zu verstehen, sei Kontextwissen zentral. «Ein Track wie ‹wicked› von Ice Cube bezieht sich etwa auf die Riots in L.A und ist eine implizite Warnung, dass – sofern sich die Politik der Unterdrückung Schwarzer nicht ändert – auch Aufstände stattfinden werden. Leider hat sich die Situation zu wenig verändert, wie wir in Ferguson sehen. Schwarze Kultur hat in der amerikanischen Geschichte keinen Platz oder erfährt nur Anerkennung, wenn sie durch weisse Menschen erfolgt.»
Überraschung aus der Schweizer Provinz
Somit stellt sich auch die Frage, wie das doch ziemlich unübliche Setting «Zwei weisse Männer aus Zürich gründen ein Institut der Rapgeschichte» in der Community aufgenommen wurde. Gelegenheit zur Kritik böte sich zu Genüge; Künstler und Künstlerinnen of Color kritisieren immer wieder die unreflektierte Aneignung schwarzen Kulturgutes durch Weisse (cultural approproation), ob es sich um Mode oder eben Musik handelt. Saras Freunde in New York seien tatsächlich erstaunt gewesen, als sie von dem Projekt hörten. Man habe sich gewundert, wie das in der Schweizer Provinz habe zustande kommen können. Wenn schon nicht in New York, dann zumindest in London oder Paris...? Doch für Sara geht es in der Sache weniger um Herkunft sondern um Haltung: «Klemens Wempe und Ceo Müller gingen leidenschaftlich und respektvoll mit dem Kulturgut des Rap und HipHop um. Sie pflegten nicht diese im Hipstermilieu heute weit verbreitete ironische Distanz zu allem, im Gegenteil. Mir kommt es nicht primär darauf an, ob Weisse oder People of Color sich mit Rap beschäftigen, sondern darum, bewusst zu reflektieren, was man tut.»
Ernsthaftigkeit verlangt Sara auch von den Gast-DJs, die zukünftig im Rahmen der Winterthurer «Rap History» auflegen werden. So kommt an den «Seminaren» ausschliesslich Vinyl aufs DJ-Pult. Platten und ihre Covers sind ein wichtiger Teil der Geschichte und machen visuell nachvollziehbar, wie sich diese verändert hat. Gestaltung und Styles zeigen, was erlaubt war und was nicht. Sara verweist zudem auf die bewusste Auseinandersetzung mit der Musik: «Da man nur einen Bruchteil der eigenen Platten in den Club mitnehmen kann, fragt man sich beim zusammenpacken ständig, wie wichtig bestimmte Tracks für einen sind. Letztlich kommen nur die mit, die für den DJ besonders wichtig sind und erzählen damit eine neue Geschichte.» Mit Ernsthaftigkeit hinter die Plattenteller, mit Neugierde und Freude auf die Tanzfläche, das klingt nach einer idealen Kombination. Oder mit Saras Worten: «Ich mag, wenn man von einer Party nicht bloss einen Kater oder eine neue Freundin mitnimmt, sondern auch neues Wissen.»
«Rap History» ab 16. Januar 2016 einmal monatlich im Kraftfeld Winterthur. Gelegentlich mit Film im Kino Cameo. Infos und Download der Mixes 1979 bis 2014:www.raphistory.ch