Ein Ort des Dialogs – oder auch nicht?

Ein Ort des Dialogs – oder auch nicht?

Verstaubtes Format? Oder Sprungbrett für eine grosse Karriere? Zum 99. Mal bietet die Dezemberausstellung einen Überblick über das regionale Kunstschaffen.

Die Dezemberausstellung gehört zu einem der wichtigsten Fixpunkte der vielseitigen Aktivitäten der Winterthurer Künstlerinnen und Künstler. Allerdings haftet ihr der Mythos an, «verstaubt» zu sein und keine spannenden Dialoge oder neue Positionen des regionalen Kunstschaffens zuzulassen. Was ist dran, an dieser Kritik? Ist die seit 1916 alljährlich organisierte und jurierte Ausstellung, die sich dem künstlerischen Schaffen der Region widmet, tatsächlich so verstaubt? Oder hat sich das Ausstellungsformat in den letzten Jahren verändert?

Bis 1989 konnten ausschliesslich Mitglieder der Künstlergruppe in Eigenregie eine populäre Schau ihrer Werke ausrichten. Das Konzept hat sich in den letzten Jahren (auf Druck des Kunstmuseums) Schritt für Schritt gewandelt. Seit 2011 haben sich zwei Formate etabliert, die sich jährlich abwechseln: Eine kuratierte Focus-Ausstellung im Kunstmuseum, die die persönliche Sichtweise des Kurators oder der Kuratorin zeigt, und eine breiter angelegte Überblicksausstellung, bei der sich Kunstschaffende mit einem Bezug zur Region Winterthur mit Dossiers bewerben können und von einer dreiköpfigen Jury ausgewählt werden.

Über 90 Bewerbungen wurden dieses Jahr eingereicht;  Joëlle Menzi (Kunsthalle Winterthur) und Astrid Näff (Kunstmuseum Winterthur) haben 34 Künstlerinnen und Künstler ausgewählt. Nadia Schneider Wille (Präsidentin der Eidgenössischen Kunstkommission) wurde von der Künstlergruppe als externes Jurymitglied hinzugezogen. Auffallend ist, dass nur noch die Hälfte der Teilnehmenden in der Künstlergruppe, die 81 Mitglieder zählt, vertreten sind. Vor allem junge Kunstschaffende sind auf der diesjährigen Teilnehmerliste zu finden. Und viele, die mit neuen Medien arbeiten: Fotografie, Video und Installation. Medien, die dafür sprechen, dass die Vorstellung des  «Verstaubten» nicht mehr der Aktualität entspricht.

 

Eine Plattform, die Arbeit vorzustellen

«Die Dezemberausstellung ist vieles: Sie ist eine Überblicksausstellung für regional verankerte Kunstschaffende, wie es sie in allen grösseren Deutschschweizer Städten gibt. Sie ist eine Verkaufsausstellung für Kunstkommissionen wie auch für Private. Sie ist Bühne für bekannte Künstlerinnen und Künstler, die Einblick in ihr aktuelles Schaffen geben können, zugleich ist sie aber auch eine Plattform für neue Entdeckungen», definiert die Künstlerin Rebekka Gnädinger das Ausstellungsformat. 

Für junge Kunstschaffende wie Jürgen Baumann, der zum ersten Mal an der Dezemberausstellung teilnimmt, ist sie vor allem eine Plattform, die eigene Arbeit einem breiteren Publikum vorzustellen. Mit dem «Wagnis» auch junge Kunstschaffende einzuladen, werde die Fassade der vielleicht etwas veraltet wahrgenommenen Kunstaustellung erneuert, sagt er. «Das ist eine gute Entwicklung.»

«Die Dezemberausstellung hat sicherlich auch eine Sprungbrettfunktion. Man wird von einer breiteren Öffentlichkeit und beschränkt auch von der Fachwelt wie von den jeweiligen Kunstkommissionen wahrgenommen. Im Einzelfall kann die Teilnahme zu weiterführenden Ausstellungen verhelfen», sagt die bereits etablierte Künstlerin Katharina Henking. Für sie ist die Ausstellung eine Möglichkeit ihr Werk in musealen Räumen zu prüfen. «Das stellt jedes Mal eine Herausforderung dar. Und ist für mich somit auch ein Erproben neuer Positionen.» Sie arbeitet installativ. Ihre voluminöse Arbeit könnte in einer kleinen Galerie gar nicht präsentiert werden.

Auch Esther Mathis, die 2014 den Förderpreis der Stadt Winterthur erhielt, hat durch die Möglichkeit, im Kunstmuseum auszustellen, angefangen «grösser» zu denken. Weil ihre Installationen einen komplizierten Aufbau beanspruchen, ist der Platz und Raum entscheidend, welches Werk sie ausstellt. Ob es sich verkaufen lässt, spielt keine Rolle.

 

Idee des Ausstellungszuhauses

Bignia Wehrli findet die Dezemberausstellung als Ort des Dialogs und der gewünschten Zugehörigkeit interessant. Die Künstlerin zog für ihr Studium nach Dresden, dann lebte sie in Paris, Berlin und verschiedenen Städten in China. Ihr Atelier auf dem Bauernhof ihres Vaters in Sternenberg blieb dabei zentrale Produktionsstätte, Inspirations- und Rückzugsort – «eine Insel, aber losgelöst vom lokalen Kunstkontext», sagt sie. Durch die Dezemberausstellung habe sie interessante, lokale Künstlerpositionen kennengelernt. Auch Esther Mathis weist darauf hin, dass für sie die Idee eines Ausstellungs-Zuhauses wichtig ist, also eines Ortes, an den man immer wieder zurückkehrt und an dem man mit seiner Umgebung wachsen kann.

Dennoch lässt eine Gruppenausstellung mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Positionen nur wenige Experimente zu. Das Künstlerduo fructuoso/wipf sieht kaum eine Möglichkeit, eine neue Position in dem Setting zu setzen. «Einen Dialog zu führen, ist eher aussichtslos.» Für Bignia Wehrli bietet das Format aber dennoch als offene Struktur Raum, in dem etwas stattfinden könne, auch wenn es nicht als innovatives Format daherkomme. Und weil die Möglichkeit in einer so renommierten Institution auszustellen im Ausland so nicht zur Verfügung steht, bietet die Dezemberausstellung Chancen. Maureen Kaegi, die in Wien lebt, weist darauf hin, dass mit der «open call»-Funktion der Abhängigkeit von einem persönlichen Netzwerk entgegengewirkt wird.

 «Aus kuratorischer Sicht ist die Dezemberausstellung jedoch ein schwieriges Format. Die unterschiedlichen Arbeiten in einen Dialog zu setzen, erfordert einiges an Geschick», sagt Maureen Kaegi. Die Offenheit der Kuratorinnen und Kuratoren, Neues zuzulassen, ist es denn auch, was über das zukünftige Bild des Formats entscheiden wird.


Dezemberausstellung

6. Dezember bis 4. Januar

Vernissage 5. Dezember, 17 Uhr

Kunstmuseum Winterthur und

Kunsthalle Winterthur

www.kmw.ch

 

Mit Habib Asal, Jürgen Baumann, Gianin Conrad, Eugen Del Negro, Romana Del Negro, Christoph Eisenring, Michael Etzensperger, Bendicht Fivian, fructuoso/wipf, Duri Galler, Rebekka Gnädinger, Sarah Hablützel, Dominik Heim, Katharina Henking, Christian Herter, Vincent Hofmann, Eliane Hürlimann, Maureen Kaegi, Stefanie Kägi, Pascal Kohtz, Oliver Krähenbühl, Pascal Lampert, Valentin Magaro, Esther Mathis, Simone Monstein, Annette Pfister, Monika Schmid, Christian Schwager, Jan Sebesta, Theo Spinnler, Ron Temperli, Bignia Wehrli und Lydia Wilhelm.

Zusätzlich zu den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern werden die beiden 2015 verstorbenen Mitglieder der Künstlergruppe, Eugen Eichenberger und Manfred Schoch, mit einer Auswahl von Werken geehrt.


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