Die Tiernäherin

Die Tiernäherin

Als Kind bewunderte Claire Gohard im Dorfmuseum bei den Grosseltern die ausgestopften Tiere. Heute präpariert die junge Französin diese im Naturmuseum Winterthur selbst.

Für guten Gesprächsstoff beim Smalltalk sorgt ihr Beruf definitiv: «Da hast du die ganze Palette an Reaktionen», meint Claire Gohard, Präparatorin im Naturmuseum Winterthur. Von einer eher skeptischen Grimasse bis hin zu grenzenloser Neugier hat sie schon alles erlebt. Dass viele da auch Vorurteile haben, nimmt die 31-Jährige gelassen. «Ich rede gerne über meinen Beruf. Gerade durch Gespräche lassen sich viele Befangenheiten abbauen.»

Auf den Beruf ist die Französin als junges Mädchen bei Besuchen in den Pyrenäen gekommen. Im Dorf ihrer Grosseltern bestaunte sie jedes Jahr im Museum die ausgestopften Bären, Vögel und afrikanischen Tiere: «Das war ein fantastisches Universum.» Den Aha-Moment erlebte sie dann in der «Boutique de Taxidermie» in Paris. Seither hat sie die Leidenschaft fürs Präparieren nicht mehr losgelassen.

«Ich habe immer viele verschiedene Dinge gemacht und mich für alles Mögliche interessiert», erzählt Claire. Ihrer Begeisterung für Tanz, Geschichte und Kunst wegen brauchte sie Zeit, um ihren Weg zu finden. Die vier Lehrjahre verbrachte sie in Le Havre, wo sie bei einem renommierten Meister das Handwerk erlernte. Eine Konferenz brachte sie in die Schweiz – und über den News-Verteiler erfuhr sie von der Stelle in Winterthur. Als Museumspräparatorin sieht jeder Tag etwas anders aus: Nach regelmässigen Kontrollgängen durch die Ausstellung nimmt sie oft kleinere «Restaurationsarbeiten» am Tier vor. Für etwas mehr Adrenalin sorgt ab und zu ein Anruf aus dem Zoo Zürich: Wenn dort ein Tier stirbt, darf Claire mitpräparieren. Was nach dem Tod mit dem Tier passiert, ist klar geregelt: Zuerst werden alle Informationen über das Tier gesammelt – was im Zoo dank einer «tierischen» ID ermöglicht wird. Dann macht Claire Fotografien, Skizzen und schreibt sich die Dimensionen auf.

Sobald das Tier vermessen wurde, folgt der «partie boucherie», wie die Französin den Vorgang nennt: Mit einem Skalpell trennt sie die Haut auf. Je nachdem, wie das Tier später dargestellt werden soll, ist der Schnitt an der Unter- oder die Oberseite, manchmal auch auf der Seite. Will man zum Beispiel ein Fuchsbaby auf dem Rücken liegend präparieren, so macht man den Schnitt am Rücken. «Das ist wie ein Kleid, das man auszieht. Die Haut lässt sich nämlich sehr leicht abziehen», meint die Präparatorin. Anschliessend wird die Haut gewaschen und gegerbt. Danach wird der Körper geformt. «Früher machte man das mit Stroh, heute wird je nach Technik auch Polyurethan-Hartschaum verwendet.» Aus einem festgewordenen Block Polyurethan schlägt sie den zukünftigen Körper des Tieres heraus. Ganz am Schluss stülpt sie die Haut über den Kunstkörper und näht das Fell wieder zusammen.

Der Beruf der Taxidermistin vereint vieles: Handwerk, Kreativität und das Erlernen verschiedenster Techniken. «Du hast unglaublich viele Möglichkeiten», schwärmt Claire. «So kann ich alle meine Leidenschaften kombinieren – mit den Händen arbeiten und dabei meine eigenen Ideen einbringen.» Auch wenn sie objektiv vielleicht gar nicht unbedingt für den Job gemacht zu sein scheint: «Nebst einer Stauballergie habe ich auch eine Haar- und Federallergie», meint die Präparatorin und lacht. «Aber es funktioniert.» Nicht zuletzt, weil die Allergie nur bei lebendigen Tieren zeigt; und beim Putzen und Waschen trägt sie eine Maske.

Was sie im Beruf tut, tut Claire – nebst Klavier- und Volleyballspielen oder Bücher lesen – auch in ihrer Freizeit: Sie sammelt Insekten und präpariert sie im Stil der «Beauchêne»-Technik, bei der Insekten in viele Einzelteile zerlegt und an Drähten aufgespiesst zu einer Art Modell werden. «Das hat mir irgendwann mal ein Osteologe, also ein ‹Skelettspezialist›, gezeigt», meint sie, und zeigt Fotos von den aufgespiessten Insekten auf ihrem Smartphone: «Ich bin schon ziemlich angefressen.»

Und wohin führt sie die Zukunft? «Erstmal bleibe ich hier in Winterthur», sagt Claire. Bald zieht sie in eine neue Wohnung – mit einem hellen Atelier, in dem sie ihrem «Beauchêne»-Hobby nachgehen kann. Auch der Job bleibt spannend: «Die Szene entwickelt sich ständig, wir entdecken stets neue Techniken.»

 

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