Ihr Ziel ist die Unklarheit

Ihr Ziel ist die Unklarheit

Sarah Hablützel sucht die Konfrontation. In ihren Arbeiten beschäftigt sich die Künstlerin mit Körpern, Körpersprache und Machtverhältnissen. Dafür geht sie immer wieder an den Rand ihrer Komfortzone.

Arbeiten, die Wohlbefinden auslösen, interessieren sie nicht. Zumindest, wenn es um ihre eigenen geht. Sie arbeitet nach der Philosophie «Lieber Unklarheit als Klarheit schaffen». Das spürt man bei der Arbeit sowie im Gespräch mit Sarah Hablützel gut heraus. Unklar sei ihr zu Beginn der Arbeit auch oft, wie das fertige Produkt einmal aussehen werde. «Ich begebe mich bewusst in Situationen, wo ich mich erstmal wie eine Amateurin fühle», sagt Sarah. Die Nicht-Kompetenz und Ungewissheit zu Beginn einer Arbeit sei wichtig, denn so komme das Experimentieren zustande, das in ihrer Arbeitsweise eine so grosse Rolle spielt.

Einen Einblick in die Arbeit der 34-Jährigen bietet «Survival Mode», das Videoprojekt von Sarah Hablützel und ihrem Arbeitspartner Marko Mijatovic, das in der Dezemberausstellung im Kunst Museum Winterthur ausgestellt ist. Darin thematisiert das Künstlerduo das Spiel mit Machtverhältnissen auf einer körpersprachlichen Ebene. Eine Thematik, die Sarah schon länger beschäftigt. Schliesslich seien hierarchische Strukturen omnipräsent, sei das in der Eltern-Kind-Beziehung oder in der Politik. Anstatt eine klare Botschaft zu vermitteln oder Stellung zu beziehen, schaffen Hablützel und Mijatovic einen Erfahrungsraum. Dialog gibt es in «Survival Mode» dementsprechend so gut wie keinen. Es wurde ohne Stativ gefilmt, die Kamera sitzt auf der Schulter eines Protagonisten, damit der Zuschauer*in die Geschehnisse miterlebt. Anstelle einer klaren Storyline werden Fragen in den Raum gestellt und unbeantwortet gelassen. Die Arbeit soll mit den Rezipient*innen kommunizieren, dann ist sie für Sarah ein Erfolg.

Wie ihre Kunst soll auch ihr Beruf nicht immer angenehm sein. Sarah zitiert eine Sängerin, die es für sie auf den Punkt gebracht hat: «Ich habe mich für diesen Beruf entschieden, weil ich mir dann selbst nicht ausweichen kann.» Nach diesem Motto scheint sie auch zu arbeiten. «Ich suche immer Konfrontationen – auch mit mir selbst.» Das brauche durchaus einen inneren Antrieb. Hier komme ihr ihre Neugier und Beharrlichkeit zugute. Damit und mit viel Vertrauen könne sie etwas auf den Grund gehen, was sie noch nicht verstehe. «Wenn ich das Gefühl habe, alles ist stimmig und klar, dann fehlt der Impuls zum künstlerischen Arbeiten», sagt Sarah.

Die HFBK-Absolventin (Hochschule für Bildende Künste Hamburg) erinnert sich an ein vergangenes Videoprojekt, bei dem sie ausnahmsweise selbst vor der Kamera stand. «Territorial Fight» begleitet einen Sprechtrainer und seine Schülerin – dargestellt von Sarah. Selbst vor der Kamera zu stehen und mit ungewohnten Stimmübungen aus ihrer Komfortzone zu treten, sei herausfordernd gewesen.

Anfang 2020 sind Sarah und Marko Mijatovic aus Hamburg zurück nach Winterthur gekommen. In Hamburg, wo Sarah damals ihren Master absolvierte, hat sich das Duo kennengelernt. «Das Klischee des oder der einsamen Künstler*in seinem Kämmerli nervt mich», sagt die Winterthurerin. Aber auch sie selbst habe sich davon lösen müssen. Als einer ihrer grössten Erfolge erachtet Sarah die Erkenntnis, dass eine Zusammenarbeit im Duo funktionieren kann und neue Inputs bringt. Nicht nur aufgrund dieser Erkenntnis erinnert sich Sarah gerne an die Zeit in Hamburg zurück. «Dort für eine Weile zu leben und zu studieren, hat mich extrem beeinflusst.» So habe sie das Gefühl gekriegt, dass sich die Kunst in Hamburg sehr von der Schweizer Herangehensweise unterscheide. «Hier ist man ästhetisch oft viel sauberer und formaler», sagt sie. «In Hamburg ist vieles surrealer, theatralischer oder absurder.»

In dieser Hinsicht habe sie eine ihrer Professorinnen im Masterstudium bis heute geprägt. Ihr Wesen und ihre Umgangsart habe diesen Imperfektionismus widerspiegelt. «Anstatt zu sagen, was richtig und was falsch ist, sagte sie oft, dass sie die Antwort auch nicht kenne», sagt Sarah und ergänzt: «Sie reflektierte, währendem sie redete und liess uns so an ihrem Denkprozess teilhaben.» Ob bewusst oder unbewusst, genauso drückt sich auch Sarah selbst aus. Auf die Frage, wie sie ihre Arbeit beschreiben würde, überlegt sie länger, beginnt eine Aussage und korrigiert sie wieder. «Einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte gibt es selten, es sei denn in Hollywood-Filmen und auf der Agenda von Populisten», sagt die Künstlerin dazu. Vorgefertigte Antworten gibt es bei Sarahs Arbeit nicht, vielmehr stellt sie offene Fragen in den Raum. Besser könnte das nicht zu ihrer Arbeitsweise passen. So wirkt Sarahs Arbeit fast umso authentischer, alles signalisiert: «Hier suchst du vergebens nach einer Definition.»

Implizit, meint Sarah selbst, habe die Arbeit, die man macht, natürlich immer vieles mit der eigenen Person zu tun. Ihr persönliches Ziel sei es, dass die Kunst sich in ihr Leben einfügt und zum Bestandteil ihrer sozialen Kontakte und familiären Verpflichtungen wird. Im Dezember 2020 wurde ihr für ihre Arbeiten der Förderpreis der Stadt Winterthur verliehen. Zeitweise habe sie aber auch Angst davor gehabt, einen künstlerischen Weg einzuschlagen. Wegen der Ungewissheit in der Kunst absolvierte Sarah deshalb vor dem Fotografie-Studium noch einen Bachelor in Germanistik. «Ich bin froh, habe ich einige Umwege gemacht», sagt sie rückblickend. Die Angst sei aber unnötig gewesen. Es helfe, einfach zu machen und neugierig zu sein. «Irgendwann habe ich gelernt, dass es viel zielführender ist, auch einmal zu scheitern», sagt Sarah. «Die Erwartung abzulegen, dass ich irgendwann an einem Punkt bin, an dem ich sage ‹jetzt habe ich es verstanden›, war unglaublich befreiend.»

 

Autorin: Maria Keller studiert Fremdsprachen und ist nebenbei gerne auf Filmsets unterwegs.

Roman Surber ist selbstständiger Fotograf und Bildredakteur beim Coucou.

«Mit Keramik kann man 10 Leben füllen!»
«Mit Keramik kann man 10 Leben füllen!»
Im Porträt

Angefangen hat alles an der Diplommittelschule, als Lisa im Werkunterricht an einer Drehscheibe arbeiten durfte. Obwohl die erste Vase nicht der grosse ästhetische Hingucker wurde, war Lisa sogleich…

Mit kleinen Bewegungen Grosses bewirken
Mit kleinen Bewegungen Grosses bewirken
Im Porträt

In ihren Kompositionen verwebt sie Tanz und Theater zu kreativen Geschichten. Im Porträt erzählt Heidi J.M. Roth von ihrem Werdegang als Künstlerin und Tanzpädagogin. Ein Weg geprägt von…

«Über Kunst darf und soll man streiten»
«Über Kunst darf und soll man streiten»
Im Porträt

Eigentlich kann David Schmidhauser gar nicht genau sagen, was ihn damals zum Studium der Kunstgeschichte bewogen hat. «Kunst hatte für mich wohl immer ein bisschen etwas Mysteriöses an sich.» Heute…

Es war einmal…
Es war einmal…
Im Porträt

Ihr Hintergrund als Malerin und Modellbauerin hilft ihr beim Theater: Beim Dramatischen Verein Töss gestaltet Franziska Ryffel gerade zum 16. Mal das Bühnenbild für das Tössemer Märli. Daneben…

Hauptsache unkonventionell
Hauptsache unkonventionell
Im Porträt

Er hat immer wieder Lust auf Neues: Dave Striegel arbeitete bereits als Gitarrenverkäufer und Schauspieler, Barkeeper und Zirkusartist und ist nebenbei auch noch Sänger in drei Bands. Wer Dave fragt,…