Peter Stamm redet in kurzen Sätzen mit kargem Inhalt – meist ohne extreme Haltung. Im Verlauf des Gesprächs könnte man hie und da denken: Er ist doch ein Künstler, kein Buchhalter! Wo bleibt die Rebellion? Wo bricht er aus? Der Stamm-Kenner weiss: Er war tatsächlich mal Buchhalter. Er liebäugelte früher mit einer Lehre als Koch und bereitet nun gerne das alltägliche Znacht für seine Familie zu. Wenn er darüber spricht, dass ein Risotto «hohe Kochkunst» sei oder dass der eingestellte Zweig seines Kirschbaumes gerade so schön blüht, dann blitzt Peter Stamms grosse Liebe zum Alltäglichen auf. Eine Zuneigung, die sich auch in seinen Texten häufig findet.
Seine Protagonisten heissen Astrid oder Thomas. Seine Geschichten drehen sich um Beziehungen, Liebe und das alltägliche Leben. «Ich mag Geschichten, in denen nicht viel passiert», sagt er. Oder etwa: «Ich schreibe, wie es ist. Kitsch mag ich nicht.» So einfach. So spiessig. Aber auch so ehrlich und unprätentiös. Peter Stamm ist keiner, der effekthascherisch mit knallbunten Farben malt. Er wählt seine Worte mit Bedacht. Lieber eines zu wenig als eines zu viel. Und trotzdem wohnt den knappen Sätzen ganz viel Kraft inne.
Nach seinem Sinn für Sprache gefragt, meint er, Sprachstil habe viel mit Persönlichkeit zu tun. «Ich war noch nie ein Schwadroneur». Die Ökonomie gehört zu seinem Schreiben und lässt die Bücher kaum 200 Seiten lang werden. Eigentlich passend zum aktuellen Zeitgeist: Prägnant muss es sein und möglichst wenig Zeit in Anspruch nehmen. «20Minuten» oder lieber nur 10.
Und dann, als es um Politik geht, wird er doch noch energisch. Dass ihm Umweltanliegen wichtig sind, ist bekannt. So würde er denn auch gerne mal mit Doris Leuthard über die Schweizerische Energiepolitik diskutieren. Nebst der Umwelt treibt ihn die Kulturpolitik um: «Der Staat hat kein Verständnis dafür, dass man als Schriftsteller etwas Gemeinnütziges macht. Was wüssten wir über das 19. Jahrhundert, wenn nicht Gottfried Keller und andere darüber geschrieben hätten?» Ein Modell wie die Künstlersozialkasse sollte schon längst eingeführt oder zumindest diskutiert sein, sinniert er.
Für die lokale Kulturpolitik fehlt Peter Stamm die Zeit. Er kriegt zwar mit, dass gespart wird und setzt sich hier und dort mal mit seinem Namen ein, aber ansonsten beschäftigt er sich mit den Winterthurer Begebenheiten mehr im Vorbeigehen. Obwohl er «die Stadt extrem gern hat», wie er sagt. Winterthur sei entspannt, freundlich und ein bisschen «ruch». Es habe noch mehr Platz als in Zürich und so gefällt ihm insbesondere auch die Verbindung von Stadt und Natur. Winterthurer Wohnungsinserate erkenne man daran, dass der nächste Wald oder Park immer nur fünf Minuten entfernt liegt. Das typische Winterthur spürt Peter Stamm in Töss, in der Altstadt oder im Sulzerareal. Letzteres ist für ihn auch Heimat seiner grossen Liebe fürs Industrielle. So würde er denn auch am ehesten ein Sachbuch über die Industrie schreiben, wenn er ein Winterthurer Thema wählen müsste. Oder vielleicht auch ein Roman mit einer Figur aus dem Orchester des Musikkollegiums.
Diese Orchesterkonzerte würde er gerne öfters besuchen, hätte er mehr freie Zeit. Auch das Kino Cameo oder generell Jazzkonzerte belegten allfälligen freien Platz in Peter Stamms Agenda. Wären da nicht schon so viele Lesungen, Recherchereisen, die Familie oder andere Genüsse wie Wandern, Lesen, Kochen. Der Faktor Zeit ist während unseres Gespräches immer mal wieder Thema und es scheint, als bräuchte Peter Stamms Tag im Idealfall mehr als 24 Stunden. Die Gelassenheit, mit der er seinen Alltag beschreibt, lässt aber stark vermuten, dass die Prioritäten auch bei einem 30-Stunden-Tag immer noch genau gleich verteilt wären.