Sonntagnachmittag in einem Kino. Auf der Leinwand läuft ein Horrorstreifen der blutigen Art: Fetzen fliegen, Menschen sterben, Wunden klaffen. Das Publikum ekelt und gruselt sich hörbar. Mittendrin sitzt eine junge Frau, in elegantes Schwarz gekleidet, mit unbeeindrucktem Gesichtsausdruck. «Da sieht man ja die Schläuche. Und schau, da, die Übergänge…voll unrealistisch…»
Es sei ihre Berufskrankheit, sagt Claudia Rindler heute: «Ich habe das Gruseln verloren.» Wunden schminken ist Claudias Job, die unter anderem als Maskenbildnerin für Spezialeffekte arbeitet. Seit den späten Neunzigern tut sie dies, der Wunsch begann schon als Kind: Ein Märchenfilm liess das Herz des damaligen Mädchens höher schlagen, als es Trolle und Elfen erblickte. «Ich fand es mega cool, dass es jemanden gibt, der die Spezialeffekte beruflich so hinkriegt. Aber ich dachte früher immer, ich müsse dafür nach Amerika», erzählt Claudia.
Der Berufswunsch Maskenbildnerin blieb ihr vorerst ohnehin verwehrt. «Mach was Rechtes», hiess es vehement, und so absolvierte die Jugendliche eine möglichst kurze Lehre als Verkäuferin im Luzernerland, ungern und ungeduldig. Danach verzog sich Claudia, mittlerweile leidenschaftlicher Fan von Horrorfilmen, für ein halbes Jahr voller Rambazamba Richtung Zürich, worauf sie nach Winterthur zog. In einer Metal-Bar freundete sie sich mit einer Filmcrew an, die sie kurzerhand anfragte für eine Rolle in einem 35-minütigen Horrorstreifen. Am Set wurde sie zudem spontan zur Maskenbildnerin und Visagistin gekürt, «weil ich die einzige anwesende Frau war». Fortan recherchierte sie, wie Wunden aussehen, bastelte Blutiges und empfand dabei eine Menge Vergnügen. Nach einem zweiten Film mit der Crew bewarb sie sich für eine Maskenbildner-Schule in Deutschland mit einer Spezialisierung auf Special Effects. Den Ausbildungsplatz bekam sie dank eines Empfehlungsschreibens von H.R. Giger, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt zusammenarbeitete.
Ab nun schminkte sie Gruseliges für Theater, Filmstudios und Bands: Wer eine Stichwunde, verwesende Körperteile oder pochende Herzen braucht, wendet sich an Claudia. «Ich hab schon ganze Leichen gemacht», erzählt sie freudig, «das ist immer lustig am Zoll.» Vom Forensischen Institut bis hin zu Metal-Videoclips: Claudia war schon vielerorts involviert.
Vor fünf Jahren begann Claudia zusätzlich, selbst produzierte Pflegeprodukte im Internet zu verkaufen. Seit zweieinhalb Jahren führt sie den Laden «Seifen Oper» in Winterthur, in dem vegane Kosmetik angeboten wird. Die ehemals unglückliche Verkaufs-Lehrtochter bildet nun selbst zwei angehende Verkäuferinnen aus, entschlossen, die Lehre anders zu gestalten, als sie es damals in Luzern erfahren musste, «verständnisvoller und weniger stier».
Gruselig aber ist die «Seifen Oper» so gar nicht. Während ihre Geschäftsführerin noch immer konsequent schwarz gekleidet daherkommt («In bunten Klamotten fühle ich mich einfach komisch»), schwebt ihr Laden in rosa gepunkteter Verniedlichung. Erst im unteren Stock wartet die älteste Leidenschaft in der hinteren Ecke: «Mein Horror-Rüümli», nennt Claudia es, und mit verzückt-liebevollem Gesichtausdruck zeigt sie selbst modellierte Totenköpfe aus Hartplastik, klaffende Wunden, irritierend realistische Maden aus Fimo.
Öfter als im «Horror-Rüümli» ist Claudia aber mit der Produktion ihrer Seifen und Cremen beschäftigt. Der Laden macht einen grossen Teil ihres Lebens aus. In Bars und an Konzerten verkehrt sie wesentlich seltener als früher; ihr Lieblingsort in Winterthur ist nicht etwa eine Beiz, sondern der Wald. Dort spaziert sie gerne mit ihren zwei Bulldoggen, neben denen sie zuhause auch noch drei Katzen hält und regelmässig Raben füttert. «Ich liebe meine Freakshow», sagt Claudia lächelnd. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert.