Ein Neuanfang hinter dem weissen Kreidestrich

Ein Neuanfang hinter dem weissen Kreidestrich

Omid Jafari steckt voller Geschichten und Lebensweisheiten, geprägt von seiner Flucht aus dem Iran. Heute bringt er damit andere zum Lachen – aber auch zum Nachdenken.

«Omid, wie bist du in die Schweiz gekommen?» – «Mit zwei Füssen, wie sonst?», antwortet der 20-Jährige, locker wie immer. Vor vier Jahren kam er als Flüchtling in die Schweiz. Vier Jahre sind verglichen mit seinem bisherigen Leben nicht viel. Und doch ist er in Winterthur genauso zuhause wie Ginger, das rote Büsi, auf dem Chileplatz. Am liebsten ist er dort, wo viele Leute sind. Sei es beim Arbeiten an der Salzhaus-Kasse, beim Chai Trinken im Sandwichladen von Hassan oder am Samstagnachmittag in der Pfadi Bubenberg. Dass er schnell Leute kennenlernt, sei schon immer so gewesen, sagt Omid Jafari. Bereits als Kind trieb er sich in den Strassen der iranischen Stadt Kerman herum und verkaufte Schokolade, Taschentücher oder Socken. Wegen dem Geld und weil es ihm einfach Spass machte. So kannte er mit der Zeit den ganzen Bazar und wurde von den Standbetreiber*innen vor der Polizei versteckt. «Ich hatte eigentlich eine mega coole Kindheit.» Erst ein paar Jahre später wurde es schwierig.

 

Seine Eltern gehören der Ethnie Hazara an, die von den Taliban in Afghanistan verfolgt werden. Sie flüchteten deshalb in den Iran, als Omid Jafari ein Jahr alt war. Rund zwei Millionen Flüchtlinge leben dort. «Das sind viel, viel mehr als in der Schweiz», betont er. Obwohl der Iran als besonders gastfreundliches Land gilt, sind Afghan*innen nicht willkommen. «Viele verabscheuen uns, weil sie glauben, dass wir ihnen die Arbeit wegnehmen und für immer in ihrem Land bleiben werden», sagt Omid. Obwohl er dort aufgewachsen ist, wurde er nicht als gleichwertiger Mensch behandelt. In der Schule war er oft in heftige Schlägereien verwickelt und wurde durch schlechtere Noten und Ausschluss aus Wettkämpfen benachteiligt. Omid konnte die grundlose Gewalt und die Diskriminierung aufgrund seiner Nationalität nicht ertragen. «Ich kann nicht einfach nur einstecken, ohne mich zu wehren, wie viele andere das taten», sagt er. Die Situation in der Schule wurde so schlimm, dass er nicht mehr hinging. Zudem verliessen viele seiner Freunde den Iran – Omid Jafari wollte auch weg. Mit sechzehn Jahren liessen seine Eltern ihn gehen. Ein Schlepper brachte ihn in die Nähe der iranischen Grenze. Nach neun Nächten des Wartens, versteckt in Kuhställen, ging die Flucht los. Im Schutz der Dunkelheit liefen sie durch die Berge Richtung Türkei. Von überall kamen Gruppen, Kinder, Familien hinzu. Bald waren es mehrere hundert Menschen. Auf dem Weg traf er ständig auf tote Menschen, die von den Leuten zur Seite geschoben wurden. Nach zwei Nächten, kurz vor der Grenze zur Türkei, kam die Polizei und schoss blind in die Menge. Alle rannten in Panik dem weissen Kreidestrich in den Felsen entgegen, der die türkische Grenze markiert. «Sobald du den Strich übertreten hast, bist du in Sicherheit.»  

 

«Im Nachhinein bin ich froh, dass ich so viel erlebt habe. Ich sehe jetzt, wieviel Glück ich in Winterthur habe», sagt er überzeugt. Dennoch bleibt Afghanistan das Land seiner Träume. «Aber ich glaube, dort kehrt erst Frieden ein, wenn ich schon lange tot bin. Als Flüchtling bin ich aufgewachsen, als Flüchtling werde ich sterben», meint er nachdenklich.

 

Im Asylheim lernte er Deutsch und bewarb sich für mehrere Lehrstellen. Nach etlichen Absagen ging er selbstbewusst persönlich bei einer Gartenbaufirma vorbei – und bekam die Stelle als Landschaftsgärtner. Diesen Sommer schliesst er seine Ausbildung ab. Durch ein Flüchtlingsprogramm der Pfadi und dank seiner extrovertierten Art lernte er schnell neue Leute kennen. Am meisten unterstützt hat ihn seine jetzige beste Freundin. «Wenn sich die Schweizer*innen erst einmal geöffnet haben, dann kann man ihnen vertrauen und auf sie zählen», sagt Omid Jafari. Man müsse aber hartnäckig dranbleiben. Vielen Flüchtlingen falle es schwer, mit Leuten in Kontakt zu treten. Sie seien scheu, hätten Angst, dass ihre Kultur und ihr Deutsch nicht verstanden würden. Darum blieben sie meistens unter sich. «Ich wünsche mir, dass die Menschen mehr auf ihre Mitmenschen achten. Wenn wir Hand in Hand gegen Ungerechtigkeit stehen könnten, das wäre cool.»

 

 

 

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