Sommerpause im Konservatorium Winterthur. Kein Sänger, der Tonleitern übt. Kein Pianist, der auf einem Flügel spielt. Stille. «Diese Ruhe ist etwas sehr schönes», sagt Hans-Ulrich Munzinger. Er ist leger gekleidet, wirkt entspannt und strahlt eine grosse Zufriedenheit aus. «Wenn wir Semesterferien haben, dann komme ich selbst vermehrt zum Üben und das nutze ich dann richtig aus.» Bald wird er wohl mehr Zeit dafür haben, als ihm heute lieb ist, denn ab nächsten Sommer soll das Haus in neue Hände übergehen. Der Direktor des Konservatoriums Winterthur geht in Früh-Pension.
Aufgewachsen ist Munzinger in einem Elternhaus, in dem viel wert auf Bildung in den Bereichen Literatur, Theater, Musik und Kunst gelegt wurde. «Es war klar, dass jeder von uns Geschwister ein Instrument lernt.» So begann er mit acht Jahren Klavier und mit elf Jahren Cello zu spielen. «Eigentlich hätte mein Zwillingsbruder Cello und ich Geige lernen sollen, aber wir haben dann getauscht.» Zwilling? «Ja, eineiig, aber wir wurden von unseren Eltern als eigenständige Personen erzogen», sagt Munzinger. Dafür sei er sehr dankbar. Hans-Ulrich spricht bedächtig, manchmal abwägend. Klar zu kommunizieren, das habe er schon früh gelernt. «Beide Eltern waren Psychiater», sagt er und schmunzelt.
Felder offen halten, das ist dem Direktor wichtig. «Ich war immer schon sehr vielseitig und bin am liebsten drei bis vier Schienen gleichzeitig gefahren.» So lagen seine Interessen als junger Mann genauso bei der Musik, wie beim Theater sowie an der Universität, an der er einige Semester Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaften studierte. Bis heute hat er sich diese Vielseitigkeit erhalten. «Ich bin nach wie vor alles andere als ein Spezialist auf einem Gebiet.» Das Theater sei ihm zu hart gewesen und nach dem ersten Musikdiplom habe er ebenfalls gewusst: Weiter an die Universität gehen, das ist es nicht, was er will. Am Ende blieb die Musik.
Das Diplom als Cellist absolvierte Munzinger beim Schweizerischen Musikpädagogischen Verband. Bereits während des Studiums hat er begonnen, Ensembles zu leiten. «Mit 29 Jahren habe ich zwei Ensembles übernommen, die mich lange begleitet haben.» Musik dominiert zwar sein Leben, aber Hans-Ulrich hat viele Interessen: «Ich bin sehr erlebnisorientiert, liebe Genuss, Humor und Fussball – trivial genug?», er lacht. Und Singen? «Nein, Singen nicht. Ich singe kolossal falsch, wirklich!»
1988 fing für Munzinger die Zeit als Leiter am Konservatorium an. Er verlegte seinen Wohnsitz von Basel nach Winterthur. Am «Konsi» sei er von Anfang an gut integriert gewesen, erzählt er, und gönnt sich kontinuierliche Denkpausen, um in Erinnerungen abzutauchen. «Die grösste Motivation für mich ist, dass ich Musik lehren kann. Fast jeder Mensch hat eine Erinnerung an den Musikunterricht. Für die meisten ist er prägend.» Am Arbeitsort schätze er die Kollegialität, das Partizipative: «Ich bin definitiv kein Patriarch, auch wenn ich die Entscheidungen fällen muss». Dennoch kann er auch konsequent sein: «Ambition ist wichtig, denn sie gibt Antrieb und Kraft, auch wenn ich der Meinung bin, dass Dinge, die wir freiwillig lernen, einen Wert haben, der durch nichts anderes ersetzt werden kann.»
Das Gespräch geht dem Ende zu. Munzinger wird nachdenklich: «Vor dem Aufhören habe ich keine Angst, aber Respekt. Die Jahre am Konservatorium waren ein grosser Teil meines Berufslebens. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die meinen Alltag bereichert haben.» Einerseits bringe der neue Abschnitt eine grosse Freiheit, anderseits müsse man damit umgehen können. Mit seinem offenen Horizont wird er es schaffen. «Schon so spät!» Er schaut auf die Uhr. «Ich muss in eine Probe», sagt er zum Abschied, lächelt und geht.