Der Geschichtenerzähler

Der Geschichtenerzähler

Ivan Engler ist der Regisseur von «Cargo», dem ersten Schweizer Science-Fiction-Film. Neu schreibt er an einem Hollywood- Blockbuster.

Es ist das Jahr 974 AD. In einem Kloster stösst ein Novize auf eine geheime unterirdische Bibliothek mit Schriften, die nicht aus seiner Zeit zu sein scheinen und die von der Inquisition vernichtet werden sollen. Mehr will Ivan Engler nicht verraten. Die letzten drei Monate hat der 41-Jährige mit Schreiben verbracht. Zuweilen lebte er fast wie ein Eremit, zog sich in sein Atelier am Lagerplatz zurück und tauchte ab in die mystische Welt, in der sein neuer Film «The Dark Ages» spielen wird. Schon für «Cargo», seinen ersten Spielfilm, hatte Engler eine gesamte Welt entworfen. Damals waren es die unendlichen Weiten des Weltalls, in denen die Science-Fiction-Geschichte um das Raumschiff «Kassandra» und den Planeten Rhea spielten. Jetzt ist es das Mittelalter, das «dunkle» Zeitalter, das ihn fasziniert.

Engler ist ein Mystiker. Einer, der auf der Suche nach dem Unbekannten ist. «Die moderne Welt ist gläsern geworden. Alles ist vorher- und einsehbar – das Wetter, die Tiefen des Meeres, das Privatleben der Menschen.» Im Mittelalter hatte man ganz andere Voraussetzungen, eine andere Mentalität. Der Ursprung des Wissens lag in der Mystik – und an dieses konnte man sich nur in kleinen Schritten annähern. «Einen Menschen kennenlernen ist etwas vom Spannendsten, das es gibt», zieht der Filmemacher den Vergleich. «Im Gespräch erfährt man bruchstückhaft immer wieder Neues über sein Gegenüber.» Engler umgibt sich gerne mit Personen, die ihn herausfordern und ihn persönlich ein Stück weiter bringen. Ein Gespräch ist für ihn ein Spiel. Und spielen tut der Filmemacher äusserst gerne. Zum Beispiel Tischtennis – irgendwo auf den Quartierspielplätzen der Stadt Winterthur.

«Ich bin hungrig», sagt Engler. «Hungrig nach mystischen Empfindungen.» Empfindungen der ungehemmten Freude, der tiefen Angst oder auch der Einsamkeit. «Am liebsten hätte ich alles auf einmal», sagt er. Genau so wie es der Buchtitel des britischen Künstlers Damien Hirst umschreibt: «I Want to Spend the Rest of My Life Everywhere, with Everyone, One to One, Always, Forever, Now.» Empfindungen sind der künstlerische Antrieb für den Filmemacher. Ziel ist es, diese Empfindungen, die er in einer bestimmten Situation verspürt hat, im Film wiederzugeben. In «Cargo» war es der Versuch, das Gefühl der absoluten Einsamkeit einzufangen. «Ich hätte den Film diesbezüglich noch viel intensiver, ja extremer machen sollen», sagt der Regisseur selbstkritisch.

Zehn Seiten fehlen noch, dann ist das Drehbuch zu «The Dark Ages» fertig. «Irgendwie klingt es etwas naiv: Ich schreibe hier in Winterthur ein Drehbuch und glaube daran, dieses in Hollywood produzieren zu können.» Die Künstler-Agentur CAA, die unter anderem auch Steven Spielberg betreut, nahm den gebürtigen Winterthurer vor drei Jahren unter Vertrag. Und bot ihm an, einen Hollywood- Blockbuster zu verfilmen. Beinahe 100 Drehbücher las Engler. «Mir fehlte die Originalität», begründete er, weshalb er keines verfilmte, sondern stattdessen begann, sein eigenes Drehbuch zu schreiben – «ein Hollywood-Blockbuster der ganz neuen Art» sollte es werden. Die Rohfassung habe bei der Agentur und den Produzenten bereits «offene Türen eingerannt». Originalität zeichnet Engler aus: 1994 war er einer der ersten in der Schweiz, die an Techno-Partys live Visuals auf eine Leinwand projizierten – und auch Auszeichnungen gewann. «Nomina Domini» (2000) galt als einer der ehrgeizigsten Abschlussfilme an der ZHdK. Vor allem für sein technisches Können ist Engler bekannt. Er sieht sich selbst aber vor allem als Geschichtenerzähler: Schon als Kind hat er mit Freunden Hörspiele aufgenommen und Geschichten inszeniert. Später habe er angefangen zu fotografieren. Und nun könne er im Film alles, was ihn interessiert, zusammenbringen: Bild, Ton, Poesie, Rhythmus und eine Geschichte. «Eben alles auf einmal», sagt Engler. Auch das Spiel.  

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