Die schöne Welt des Christoph Blocher

Es sind hauptsächlich Kinderbilder von zeitloser Anmut und Natürlichkeit, die Albert Anker (1831 bis 1910) geschaffen hat. Auf seinem berühmten Gemälde «Schulspaziergang» von 1872 wandert eine junge Lehrerin mit den Zöglingen einer Kleinkinderschule durch die Seeländer Landschaft. Den Kleinsten hält sie schützend an der Hand. «Beachten Sie bitte», sagte Christoph Blocher während einer inoffizieller Museumsführung im April 1999 zu einem Journalisten der «Sonntagszeitung», «die gescheite Raumaufteilung. Keines der Kinder überragt den Horizont – das tut allein die Lehrerin. Alle Kinder sind genau beobachtete Individualisten; die einen sind artig, die anderen treiben im Rücken der Lehrerin Schabernack. Und doch vermittelt uns dieses Bild den Eindruck von Geschlossenheit und Geborgenheit.» Spontan und aus dem Stehgreif habe Blocher diese druckfertige Bildbetrachtung geliefert, schreibt der Journalist im Artikel «Die Kunst der Verklärung», der am 24. April 1999 zur Ausstellung in der Fondation Saner in Studen bei Biel erschienen ist. In dieser Ausstellung hat Blocher erstmals seine stattliche Anker-Sammlung einer breiten Öffentlichkeit gezeigt.

Solche Bildbetrachtungen will Christoph Blocher zwischen dem 11. Oktober 2015 und 31. Januar 2016 auch in Winterthur zum Besten geben. Zumindest kündete der Alt-Bundesrat am 8. Januar 2015 im Landboten an, dass er selbst Führungen zur Ausstellung «Hodler, Anker, Giacometti – Meisterwerke der Sammlung Christoph Blocher» im Oskar Reinhart Museum am Stadtgarten anbieten wolle. Im Dachgeschoss des Museums werde eine kleine Auswahl – etwa 80 Werke – der «derzeit bedeutendsten Privatsammlung an Schweizer Kunst um 1900» zu sehen sein, sagt Marc Fehlmann, Direktor des Museums Oskar Reinhart. Aus der mehrere hundert Objekte umfassenden Sammlung von Blocher hat er als Kurator die Auswahl zusammengestellt. Die Kollektion umfasst gegen 200 Bilder von Albert Anker sowie an die 100 von Ferdinand Hodler. Dazu besitzt Blocher Werke von Giovanni Giacometti und Adolf Dietrich sowie Einzelwerke von Max Buri, Alexandre Calame, Edouard Castres, Giovanni Segantini, Bejamin Vautier, Robert Zünd und Felix Valloton. Zahlreiche Bilder wurden seit Jahrzehnten nicht mehr oder sogar noch nie öffentlich gezeigt.

 

Den Begriff der Heimat reflektieren

«Vermittelt wird ein Schweizer Bild, das prägend für die Identität und das Heimatgefühl der Schweizer ist», sagt Kurator Fehlmann. Das werde in Führungen und im Katalog, der dem Sammler Blocher und seiner Sammlung gewidmet ist, thematisiert. Dazu hat das Museum besondere Workshops für Kinder mit Immigrationshintergrund und Beeinträchtigungen organisiert: «I dr Schwiiz» heissen diese und werden von Eveline Albecht und Sonja Remensberger durchgeführt. «Die Ausstellung ist eine einmalige Chance, um über den Begriff Heimat und die Vorstellungen der Schweiz zu reflektieren», sagt Fehlmann. Blochers Bild der Schweiz? Nicht wirklich. Denn Blocher war nicht in den kuratorischen Prozess eingebunden. Für die Präsentation und Auswahl war allein Fehlmann zuständig.

«Ich hatte eine ‹Carte Blanche›. Es war ja meine Idee, nicht seine», sagt der Kurator. Ein Mitspracherecht hätte Blocher zwar gehabt, aber nicht gebraucht: «Herr Blocher trennt gerne Verantwortungsbereiche, das macht vieles leichter im Leben.»

 

Gleichbedeutend mit Oskar Reinhart

Was aber ist die Motivation, eine Ausstellung mit Bildern des Kunstsammlers Christoph Blocher im Oskar Reinhart Museum zu machen? «Es ist immer wieder ein Privileg, erstklassige Bilder aus Privatbesitz zeigen zu dürfen. In diesem Fall aber ist es besonders, weil die Sammlung von Alt-Bundesrat Dr. Christoph Blocher auf den ästhetischen Prämissen von Oskar Reinhart aufgebaut ist und insofern ein schönes Beispiel für den prägenden Qualitätssinn von Reinhart darstellt», antwortet Fehlmann. Das 1951 eröffnete Museum Oskar Reinhart ist das älteste Sammlermuseum der Schweiz. Es beherbergt die wichtigste Sammlung deutscher Malerei der Romantik ausserhalb der Bundesrepublik. Dazu kommt ein bedeutendes Konvolut an Österreichischer und Schweizer Kunst um 1900. Im September feierte das Museum den 50. Todestag von Sammler Oskar Reinhart. «Zum Jubiläum wollten wir etwas Besonderes zeigen. Was liegt näher, als eine Sammlerpersönlichkeit, die in ihrem Qualitätssinn viel mit Reinhart gemeinsam hat?», begründet Fehlmann den Zeitpunkt der Ausstellung, die kurz vor den eidgenössischen Wahlen des National- und Ständerates eröffnet. «Zudem feiert Herr Dr. Blocher dieses Jahr seinen 75. Geburtstag.» Ist die Ausstellung etwa ein Geburtstagsgeschenk für Blocher?

Blocher als ausserordentlicher Sammler und Kunstkenner? Ja, findet Fehlmann. Einer, der zudem äusserst begehrt ist. Wie Blocher im Artikel im Landboten vom 8. Januar 2015 bestätigt, wurde er von mehreren grösseren Kunsthäusern umworben, seine Sammlung zu zeigen. Winterthur habe er bevorzugt, weil er aus dem Weinland sei und die Stadt sowie Oskar Reinharts Museen schätze. Auf die Frage des Coucou,  welches Bild der Schweiz er mit der Ausstellung seiner Sammlung den Besucherinnen und Besuchern vermitteln wolle, hatte der noch immer in der Politik engagierte 75-Jährige keine Zeit zu antworten: «Wir stehen mitten in einem wichtigen Wahljahr und Herr Dr. Blocher hält unzählige Referate in allen Ecken der Schweiz. Es ist ein ungünstiger Zeitpunkt», liess Blochers Sekretärin Wochen nach der Interview-Anfrage ausrichten. Blocher ist durch und durch Politiker. Da stellt sich natürlich die Frage, inwiefern eine Ausstellung der Sammlung von Christoph Blocher, der als «Chefideologe» der SVP gilt und sich als Unternehmer und Mäzen einen Namen gemacht hat, nicht auch für wirtschaftliche oder politische Zwecke vereinnahmt wird?

 

Ikonen der Schweizer Malerei

Im Pressetext zur Ausstellung wird darauf hingewiesen, dass «die Kunstsammlungen zweier starker Persönlichkeiten zu einem Gesamtbild Schweizer Malerei verbunden werden, wie dies seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr möglich war.» Konkret heisst das laut Fehlmann: «Die Sammlung Oskar Reinhart ist in Bereichen stark, die in der Sammlung von Christoph Blocher weniger breit ausgebaut sind, dafür hat die Sammlung Blocher Werkgruppen von Anker und Hodler, die jene von Reinhart übertreffen.» In der Ausstellung gehe es um die von Reinhart angestrebte «Schule des Sehens», um das Bild des Betrachters durch Konfrontationen mit Spitzenwerken der Malerei. «Dies können wir mit der Sammlung Blocher leisten. Es hat Ikonen der Schweizer Malerei, die ich als ‹von nationaler Bedeutung› einstufen würde, obwohl wir in der Schweiz dieses Konzept der ‹National Treasure› nicht kennen. Dann hat es natürlich auch wunderbare Landschaften von Ferdinand Hodler, die es ähnlich in anderen Schweizer Museen schon hat. Alles in allem sind die Bestände so stark wie jene der Kunstmuseen Basel, Zürich und Bern, zum Teil gar besser.»

 Nicht nur kunsthistorisch gesehen sind die Bilder wertvoll, sondern auch auf dem Kunstmarkt. Mit 7,5 Millionen Franken bezahlte Blocher 2013 für das Gemälde «Turnstunde in Ins» von Albert Anker einen Rekordpreis. Andere Anker-Werke wurden in den letzten Jahren mit Preisen zwischen einer bis drei Millionen Franken gehandelt. Den Wert seiner Sammlung kenne er aber nicht, betont der Alt-Bundesrat in einem Interview («Schaffhauser Nachrichten», 3. Mai 2013). «Ich kaufe und vergesse die Preise dann wieder, das war nie als Kapitalanlage gedacht. [...] Es geht einzig darum, dass mir das Bild gefällt.» Viele der Bilder kennt Blocher aus seiner Jugend: Sie hingen im Elternhaus als «Beobachter»-Drucke an der Wand. Verkäuflich sein sollten die Bilder trotzdem. Seine Motivation formulierte er bereits 1999 etwas ausführlicher: «Ich sammle nur aus Freude an der Kunst, aber als Unternehmer kann ich nur das Beste kaufen, denn eines Tages, wenn es schlecht gehen sollte und ich plötzlich das Geld im Unternehmen brauchen sollte, muss ich die Sammlung auch gut verkaufen können.» («Schweizer Illustrierte» vom 19. April 1999).

 

«Leihgaben fehlen mir»

Dass er überhaupt im Besitz einer «Sammlung» ist, sei Blocher erst seit zwei Jahren bewusst, wie er in der «Südostschweiz» am 15. August 2015 kokettierte. «Ich hatte einfach Bilder, kein spezielles Konzept.» Diese Bilder seien für ihn wie Kinder, in seinem Haus habe er sie stets um sich, lebe mit ihnen und stehe in ständigem Dialog.

Auch wenn Blocher es abstreitet: Selbst als Kunstsammler ist er Stratege. Es ist kein Geheimnis, dass sich der Wert von Werken vervielfacht, sobald sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wird das Museum Oskar Reinhart nun zum Komplizen bezüglich der Wertsteigerung der Sammlung? Fehlmann bestreitet dies: «Dann würde jedes Museum, das Leihgaben aus Privatbesitz in seinen Wechselausstellungen zeigt, zum Komplizen. So einfach ist es eben nicht. Zudem ist es doch schön, dass es noch Leute gibt, die gerne gutes Geld für Kunst ausgeben anstatt für Golfferien in Florida, Kaviar auf den Malediven oder irgendwelchen Swarovsky-Plunder und Glücksspiele in Monte Carlo.»

 

Aus Drittmitteln finanziert

Nun gut, für den Kurator des Museums Oskar Reinhart scheint Blocher ein Mäzen zu sein. Aber was zeigt die umgekehrte Perspektive? Bedeutet die Ausstellung mit solch bedeutenden Werken eine Wertsteigerung für das Museum? «Die Ausstellung und das Vertrauen des Sammlers in unsere Institution sind sicherlich eine Anerkennung. Von Wertsteigerung würde ich aber nicht reden, denn das Museum Oskar Reinhart ist bereits neben der Sammlung Oskar Reinhart am Römerholz das – aus internationaler Sicht – bedeutendste Kunstmuseum dieser Stadt. Das hat mit der einmaligen Qualität der Werke in beiden Reinhart-Sammlungen zu tun, dies zu korrigieren bräuchte enorme finanzielle Mittel oder Sammlungskonvolute, die es in dieser Stadt nicht gibt», sagt Fehlmann. Allerdings ist bekannt, dass die Gelder der Stiftung Oskar Reinhart zur Neige gehen. Ist die Ausstellung der Privatsammlung eine Strategie, um an Geld zu kommen?

 «Jede anspruchsvolle Wechselausstellung zieht Sponsoren und Gönner an, auch diese Schau wurde voll und ganz aus Drittmitteln finanziert, der Staat steckt keinen Rappen hinein!», entgegnet Fehlmann. Welche Rolle der Name Blocher bei der Beschaffung von Geldern spielt, sei aber schwierig abzuschätzen. «Einige stören sich daran, andere geben ausgerechnet wegen ihm». Die Frage, ob Blocher nun zum neuen Mäzen des Oskar Reinharts wird, sei nicht leicht zu beantworten: «Herr Blocher unterstützt ja bereits unseren Freundesverein, insofern ist er sicher auch ein Mäzen – im Gegensatz etwa zu den verbleibenden Winterthurer Mitgliedern der Familie Reinhart. Die treten bei unserem Haus nicht mehr mäzenatisch in Erscheinung, während dies der Zürcher Zweig noch tut», sagt Fehlmann.

Inwiefern für Blocher mit der Ausstellung eine politische Plattform geboten wird, ist schwierig zu beurteilen. Auf die Frage, ob er Anker-Gemälde aus politischen Gründen  sammle, antwortete Blocher («Schaffhauser Nachrichten», 3. Mai 2013): «Im heutigen oberflächlichen Jargon nicht. Für mich geht aber die politische Tätigkeit tiefer, das heisst, Politik ist für mich kein oberflächliches Spiel, sondern eine Haltung, die alles durchdringt. Ein Politiker muss danach trachten, für die Bevölkerung und den Staat das jeweils Beste zu tun. Und jetzt kommt der Bogen zu Albert Anker: Er hat den Menschen dargestellt, wie er ist. Und, noch wichtiger, er geht von einem nicht fatalistischen Weltbild aus. Anker hat einem Freund geschrieben, er habe mit seiner Kunst zeigen wollen: ‹Siehe, die Welt ist nicht verdammt.› Dieses Credo stand auf seinem Massstab geschrieben, den er seit der Mittelschule bei sich trug. Das prägt auch eine gute politische Arbeit.» Für Blocher spenden die Anker-Bilder Trost: «Ankers Kinder-Bildnisse sagen oft aus: Ein leichtes Leben wirst du nicht haben, aber du gehst daran auch nicht zugrunde», betont Blocher («NZZ am Sonntag», 25. April 2010). Für Blocher erfüllt Anker «eine wichtige Mission», wie er sich in der «Sonntagszeitung» vom 24. April 1999 äusserte: «Das Schöne zeigen.» Ein Programm, das die SVP gerade in ihrem Wahlvideo «Welcome to SVP» verfolgt – als wollte sie sagen: «Siehe, die Welt ist nicht verdammt», auch wenn gerade Millionen von Menschen auf der Flucht Not und Leid erdulden. Schaut, die SVP bietet – wie in der Blocherschen Bildbetrachtung des «Schulspaziergang» – Geschlossenheit und Geborgenheit. Das Kunstverständnis des bekannten Politikers wird ja aber (zum Glück) immer wieder in Frage gestellt. «Blochers Bild von Anker ist falsch», lautete beispielsweise der Titel eines Artikels von Felix Baumann, der in der «NZZ am Sonntag» vom 27. Juni 2010 veröffentlicht wurde. Der ehemalige Direktor des Kunsthauses Zürich hat sich wiederholt mit Albert Anker auseinandergesetzt und das Museum nach seiner Übernahme der Leitung von René Wehrli 1976 neu positioniert. Mit dem Artikel reagierte er auf ein Interview mit Christoph Blocher in der «NZZ am Sonntag» vom 25. April 2010. Seine Kritik: Das Verharmlosen der Bilder als religiöse Idylle. Ein eigenes Bild kann man sich an der Vernissage vom 10. Oktober machen.

  

Infos zu den Bildern
Cover: Montage mit Ferdinand Hodler, Le petit chaperon rouge, Albert Anker, Schulknabe und Johanna Müller, Plattenbauten mit Spielplatz in Sofia, Bulgarien.

Bild 1: Montage mit Ferdinand Hodlers Berglandschaft und einem aktuellen Bild zur Flüchtlingsthematik, abgedruckt im Tagesanzeiger.

Bild 2: Montage mit Ausschnitt von Alber Anker, Schulspaziergang, 1872, und Abbildung von Mirage III-Flugzeugen.

Die Augen der Kinder wurden bei allen Bildern durch Christoph Blochers Augen ersetzt.

 

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