Die Leiden des neuen Leitbilds

Mit einer Mischung aus Spannung und Skepsis erwarteten die Kulturschaffenden das neue Kulturleitbild der Stadt Winterthur. Zum einen hatte sich die Stadt im Vorfeld sichtlich um einen Austausch bemüht, zum anderen schwebte über den Leitbild das Damoklesschwert des Sparpakets. Was also sollte das neue Leitbild unter diesen widrigen Voraussetzungen zu Tage bringen im Unterschied zu seinem nun zwölf Jahre alten Vorgänger?

Die Antwort nach mehrmaliger Lektüre ist: Nicht viel. Ein wenig ratlos lassen uns die dreissig Seiten zurück, in denen so viel und gleichzeitig so wenig drin steht. Was genau wurde uns hier erzählt? Gewiss, von vielem ist die Rede. Von Vielfalt, von Freiräumen, von Hochkultur, von Breitenkultur, von fördern und unterstützen, von Mäzenen und von Freiwilligen, von Museen, Theatern, Festivals, Kunst und Film. Doch eine Orientierung erhält man dabei nicht. Die wenigen konkreten Punkte sind:

  •  Die Stadt setzt auf Musik und Museen als Schwerpunkte sowie die Vielfalt als Wunsch.
  • Die Kulturförderung soll als Kernelement des Service Public eine kommunale Rechtsgrundlage erhalten.
  • Das Musikkollegium wird weiterhin im bisherigen Rahmen unterstützt.

 

Gewiss, mit Leitbildern ist es wie mit Konzepten: Allzu viel erwarten darf man dabei nicht, nein, nie. Konkrete Massnahmen im nun vorgestellten Leitbild zu fordern, wären deshalb unfair. Aber eine Richtungsangabe, wo die Reise hingeht und eine Zielsetzung, wohin die Reise führen kann und soll. Dieses Kulturleidbild aber stellt uns vor einen Wegweiser, dessen Beschriftungen und Richtungen irgendwie überfordern. Richtung «Schwerpunkte» weist da der eine, Richtung «Vielfalt» der andere. «Freiräume», «herausragende kulturelle Einrichtungen», «neue Finanzierungs-Modelle», «Mäzenatentum» sind weitere Ortsangaben.  Aber wir wollen ja nicht nur lamentieren, schauen wir uns die Sache doch einmal etwas genauer an:

1)   Vor lauter Leuchttürmen die kleinen Schiffe nicht mehr sehen

«Um Winterthur als Kulturstadt weiterentwickeln zu können, gilt es, Schwerpunkte zu setzen».

Die Stadt setzt zukünftig auf Museen und Musik. «Schwerpunkte» sind hier aber in erster Linie gleichzusetzen mit den «Leuchttürmen», über welche Stadtpräsident Michael Künzle in der Vergangenheit auch schon sprach. Die Museen (95 Nennungen im gesamten Dokument) sind dies schon lange, bei der Musik wird in erster Linie von grossen Festivals gesprochen und vom Stadtorchester. Von den 44 Mal, bei denen «Musik» auf den dreissig Seiten erwähnt wird, entstammen 13 aus dem Wort «Musikkollegium». Wie eine Schwerpunkt-/Leuchtturm-Politik konkret aussehen wird, muss sich erst noch weisen. Der Gedanke, dass dabei aber in erster Linie etablierte und grössere Institutionen profitieren, scheint aber nicht gerade abwegig. Ob die grossen Leuchttürme dabei auch den kleinen Schiffen im Teich helfen werden, sei dahingestellt.

 

2)   «Vielfalt» bedeutet etwa gleich viel wie «Weltfrieden»

«Wenn Museen und Musik in den nächsten 10 Jahren als Schwerpunkte gelten sollen, so bedeutet das nicht, dass alle anderen Sparten (Theater, Film, bildende Kunst, Literatur, Tanz etc.) unwichtig wären.»

Mehr als einmal betont die Stadt, wie wichtig ihnen die kulturelle Vielfalt ist. 20 Mal, um es in Zahlen auszudrücken. Das ist ihr anzurechnen. Gleichzeitig bleibt sie die Antwort schuldig, wie das dann konkret aussehen sollte: Bei knappen Ressourcen auf Schwerpunkte und Ausstrahlungskraft setzen und gleichzeitig die Vielfalt bewahren. «Dieses Leitbild ist ein Bekenntnis zur Einheit in der Vielfalt» steht zwar im Abschnitt «Kulturpolitische Erfordernisse der nächsten Jahre». Wie, ob und von wem diese Vielfalt denn tatsächlich unterstützt werden wird, wird sich erst in den einzelnen, konkreten Fällen zeigen. Inwiefern wird der Gemeinderat bereit sein,  Ressourcen für die Vielfalt zu sprechen, wenn als Schwerpunkte «Musik und Museen» definiert sind? Wie beeinflusst dies die Diskussion um Abriss oder Erhalt des Stadttheaters oder um die Unterstützung von Street Art? Solange der politische Alltag noch keine Antwort dazu liefert, bleibt die Rede von der Vielfalt reine Makulatur. Die Welt wird auch nicht besser, weil sich jede Miss Schweiz den Weltfrieden wünscht.

 

3)   Freiräume

«Winterthur schafft Rahmenbedingungen, welche Freiräume für innovatives und experimentelles Kulturschaffen ermöglichen.»

Die Forderung nach Freiräumen kommt im Leitbild explizit zum Ausdruck, auch wenn (Frei-) wohl nicht ganz unbewusst in Klammern gesetzt wurde. Das ist sicherlich ein Resultat der Austausch-Gespräche mit 100 Kulturschaffenden. Bei allem «wenn» (im Text 10 mal) und «aber» (24 mal) ist das ein Fortschritt. Punkt.

 

4)   «Neues» sagen, altes «wagen»

Herkömmliches hinterfragen, neues wagen, innovative Weg finden, Strukturen neu denken, überprüfen: Das Leitbild wimmelt nur so von sogenannten «Think-out-of-the-Box»-Begriffen. Aber schlussendlich gewinnt dann halt doch die Box. Ein Beispiel: «Das Anciennitätsprinzip, nach dem die Mittel bisher  verteilt wurden, ist zu hinterfragen», steht in einem Zwischenfazit. Eine Abkehr vom Subventions-Prinzip des Alters und dem Etablierten zu Gunsten der Innovation wäre eine kleine Revolution. Der Gedanke wird aber nicht weiter ausgeführt, stattdessen spricht die Stadt gerne von den grossen und herausragenden Kulturinstitutionen.

 

5)   Die unsichtbare Hand

(...) Diese Erfordernisse haben Auswirkungen auf die Funktionen der Städtischen Kulturförderung. Zu ihren Aufgaben gehört heue vermehrt auch die Erschliessung von Mitteln für eine breiter abgestützten Finanzierung der grossen Kulturinstitutionen und die Unterstützung von Kulturschaffenden bei deren Bemühungen um finanzielle Beiträge von Stiftungen, Fonds und privaten Sponsoren.

 Das Geld ist das grosse Thema in Winterthur. So hat die Stadt dieses Jahr beispielsweise 12 Prozent weniger zu Verfügung für die Kulturförderung. Klar ist deshalb auch, dass entweder Abstriche gemacht oder alternative Finanzierungswege gesucht werden müssen. Nur bleibt das Kulturleitbild auch hier wage, wie diese aussehen könnten. Das Fazit der Stadt: Wenn wir nicht unterstützen können, müssen/sollen es Private richten. Das erscheint logisch, ist aber ohne konkrete Ansinnen gleichzeitig auch ein Ruf nach der unsichtbaren Hand. «Neue Finanzierungsmodelle» müssten gefunden werden, schreibt die Stadt, weckt aber den Eindruck, sie würde noch dem alten Mäzenatentum nachtrauern.

Das Mäzenatentum spielt zweifelsohne eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Winterhurer Kultur und hat ihre Spuren mit den damals geschaffenen Institutionen bis in die Gegenwart. Gleichzeitig ist es aber auch Sinnbild einer vergangenen Zeit. Wenn die Stadt in ihrem Leitbild von 2015 vom «legendären Mäzenatentum» spricht, bringt sie unfreiwillig zum Ausdruck, woran sich ihr Kulturleitbild orientiert: An Legenden und Mythen statt an Visionen. Wie soll die Kulturstadt Winterthur also in zehn Jahren aussehen? Wir fanden dazu im Kulturleitbild keine Antworten. Gelegentlich fanden wir Antworten, wie die Kulturstadt bleiben soll. Insgesamt 19 Mal werden Wörter wie bleiben, erhalten, bewahren oder unverzichtbar verwendet. Zudem fanden wir auch kluge Einschätzungen und Hinweise und auf die schwierigen Umstände, innerhalb derer sich die Kulturförderung der Stadt bewegen muss.

Damit kommen hier zwei Wörter zusammen, welche einen gemeinsamen Ursprung haben, sich aber im Laufe der Zeit auseinanderentwickelt haben: Sowohl «leiten» wie auch «leiden» sind auf das germanische Wort «Laid-eja-» zurückzuführen. Nun treffen die beiden Worte wieder zusammen: Das Kulturleitbild der Stadt Winterthur ist eine Lageanalyse des Leidens. Nun kommt es darauf an, was damit gemacht wird.

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