Keine Einleitung, keine Höflichkeiten, kein Smalltalk. «Coalmine.» Das ist Tom Langs Antwort auf die Frage, wo wir uns zum Interview treffen sollen. Ich bereite mich auf ein schwieriges Interview vor. Dann erscheint Lang am vereinbarten Treffpunkt – und die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. Schnell und leidenschaftlich, wenn es um Kunst und Kultur geht, so schnell, dass er sich ab und zu verhaspelt. Nur wenn es um seine eigene Person geht, wird er wortkarg.
Lang ist Mitte 50, genauer will er es nicht sagen. Er trägt eine rote Sportjacke unter einem grauen Jackett. Ein Kranz von zerzausten Haaren begrenzt die sich ausbreitende Glatze. Sucht man ihn im Internet, findet man auffallend wenig. Darauf angesprochen, lacht er: «Nicht alle in der Kunstszene müssen im Rampenlicht stehen.»
Der engagierte Aussenseiter
Lang gilt als Sonderling. In der Kulturszene von Winterthur weiss man nicht so recht, was man von ihm halten soll. Dabei ist er engagiert: Er ist Mitglied der Kulturlobby, hat gemeinsam mit der ZHAW eine Studie über die Kultur- und Kreativwirtschaft in Winterthur und Region herausgegeben und ist Mitinitiator des neu gegründeten «Designforums». Aber Lang eckt an. Weil er sagt, was er denkt. Und das oft. Kurz nach Gesprächsbeginn setzt er zum ersten Seitenhieb auf die Kunst- und Kulturszene von Winterthur an. Seine Stimme wird laut, beinahe zornig.
Die Szene sei viel zu etabliert. «Es gibt nichts Unkonventionelles mehr», sagt Lang und fordert von den Kulturschaffenden mehr Mut zum Risiko. «Alle sind passiv und jammern über das nicht vorhandene Geld.» Den grossen Institutionen stünden ihre Eigeninteressen im Weg. Für Lang ist klar: «Sie halten verzweifelt an ihren alten Konzepten fest, aus Angst, das von der Stadt zugesprochene Geld zu verlieren.» Dazu zeichnet er das Bild einer Maus, die paralysiert vor der Schlange sitzt.
Promoter der Nischenkunst
Langs wichtigstes Engagement in Winterthur ist das Festival «Perform Now!», das er 2009 gegründet hat. Es findet alle zwei Jahre statt und will Künstlerinnen und Künstlern, die an Grenzziehungen zwischen den Bereichen Kunst, Tanz, Theater und Musik arbeiten, eine Bühne bieten. Was dem Festival fehlt, ist Geld – und Publikum. Nur rund 100 Personen besuchen den dreitägigen Event. «Das liegt vor allem an den nicht vorhandenen finanziellen Mitteln, um Werbung zu machen», kommt die prompte Erklärung. Dass Performance-Kunst kein Massenpublikum anspricht, weiss auch Lang. Trotzdem: «Mit dem sehr hohen künstlerischen Niveau begeistern wir jeden Besucher». Neben internationalen, bekannten Performance-Künstlerinnen und Künstlern bietet das Festival auch Nachwuchstalenten eine Bühne. Das sei wichtig, denn in der Schweiz gebe es dafür wenig Möglichkeiten.
«Perform Now!» will aber kein Branchenevent sein. «Wenn wir anhand des Publikums erwägen, ob ein Kunstevent nötig ist, dann müssten wir diverse wichtige Institutionen in der Stadt in Frage stellen, etwa das Theater Winterthur oder das Waaghaus», so Lang.
«Scheitern ist Teil der Kunst»
Vor 20 Jahren ist der zweifache Familienvater nach Winterthur gekommen. Aus Liebe. Aufgewachsen in einem kleinen Ort am Bodensee, reist er nach einer Handwerker-Lehre in die Welt hinaus. Nach zweieinhalb Jahren in Neuseeland, Australien und der USA zieht es ihn wieder zurück. Er beginnt ein Kunststudium in Zürich. «Mit dem Wissen, dass ich auf dem Markt keine Chance habe.» Aber Scheitern sei Teil der Kunst. Lang versucht es als selbstständiger Künstler und gründet eine Performance-Gruppe. Mittlerweile ist er nicht mehr aktiv. Ob er sich selber als gescheiterten Künstler sehe? Ein wenig erstaunt hebt er den Blick. »Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich nur entschlossen, auf eine andere Art und Weise tätig zu sein.»
Nach dem Interview verabschiedet sich Lang auf seine Art. Noch mitten im Gespräch, schliesse ich mein Fahrrad auf. Zwischen zwei Sätzen höre ich ein flüchtiges «Tschüss». Als ich mich umdrehe, ist Lang verschwunden. Wie ein Geist. Ein Geist, der beinahe unsichtbar die Winterthurer Kulturszene beackert – und trotzdem Spuren hinterlässt.