Die Beobachterin

Die Beobachterin

Sie zelebriert den Kitsch, spielt mit Klischees, zeigt das Zarte, das Zerbrechliche – und irritiert damit hin und wieder. Gestatten, Gabriella Hohendahl, 34, Künstlerin aus Winterthur.

Es ist nasskalt und trist. Gut, dass die Sahara Bar an der Unteren Kirchgasse eine warme Stube verspricht. Es ist ein Feiertag, Herr und Frau Schweizer folgen brav den Kirchenglocken und während sie andächtig die Kirche betreten, betritt Gabriella mit raschem Schritt die Bar.

Wann immer möglich, widmet sie sich ihrer künstlerischen Arbeit. Heute etwa hat sie an ihrer Videoinstallation für die Ausstellung «Aus dem OFF» gearbeitet. Da sie morgen schon in die Ferien fahre, müsse sie vorher noch einige ausgeliehene Arbeitsmaterialien zurückbringen, sagt sie und deutet auf eine dicke Tasche.

Bis dahin verbleiben gut zwei Stunden, genug Zeit für ein anregendes Gespräch über Kunst, Gabriella und die Welt. Die Videoinstallation ist für die Künstlerin die erste Arbeit dieser Art. Ihr Hauptmedium ist die Fotografie, mit der sie schon die unterschiedlichsten Strecken realisiert hat. Ihr Motiv aber ist stets ihre Identität und ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft. «Wenn du mich fragst, klingt «feministische Arbeit» ziemlich doof, aber es mir schon ein Anliegen zu sagen: Hey, schaut euch eine Frau als Frau an!»

Auch wenn immer mal wieder nackte Haut oder auch Szenen von Pärchen unter Daunendecken zu sehen sind, mit «Porno Chic» à la Terry Richardson hat ihre Arbeit nichts gemein. Vielmehr geht es ihr um das Verletzliche, das Sensible, um die Körperlichkeit überhaupt. Wenn sie etwa abends in einer Bar sitzt, beobachtet sie die Gäste, studiert deren Körpersprache und fragt sich: Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Bewegen sich Frauen anders als Männer? Diese Eindrücke transportiert Gabriella mit und in ihren Arbeiten, manchmal auch unbewusst. Nicht immer, aber auch dies teilweise unbewusst, inszeniert sie ihre Fotografien kitschig. «Das kommt vielleicht auch daher, weil ich so ein Filmfreak bin.» Bestimmte Szenen oder Bilder berühren sie, inspirieren sie und fliessen dann in ihre Arbeit mit ein. Dabei geht es ihr aber nicht darum, konkrete Szenen nachzustellen, wie das etwa Cindy Sherman mit ihrer Strecke «Untitled Filmstills» aus den 1970er Jahren getan hat. Vielmehr sind es die Subtöne, also die Stimmungen und die Gefühle, die in Gabriellas Werken Ausdruck finden. «Überästhetisch» schimpfe man ihre Arbeiten hin und wieder. «Ich mag Kitsch und ich zelebriere ihn auch, das stimmt, aber als überästhetisch würde ich meine Werke nicht bezeichnen. Wenn etwas überästhetisch ist, bedeutet dies doch auch, dass die Werke einfach nur schön und irgendwie leblos sind.» Die Werke von Gabriella aber sind alles andere als tot; sie berühren und sie irritieren auch.

Früher, etwa an der Kunsthochschule, fand sie solche Auseinandersetzungen ganz lustig, heute empfindet sie die Diskussionen manchmal als müssig. Das bedeutet aber nicht, dass Gabriella sich vor dem Austausch und der kritischen Betrachtung scheut, ganz im Gegenteil: «Der Austausch ist wichtig, nur so kommt man weiter.» Dabei berücksichtigt sie natürlich nicht jeden Input, es kommt aber immer mal wieder vor, dass sie in Gesprächen neue Sichtweisen auf eines ihrer Projekte einnehmen kann. Nüchtern und treffend fügt sie an: «Am Schluss ist es sowieso so simpel wie anspruchsvoll: Kunst ist Geschmackssache.»

Und während Herr und Frau Schweizer direkt aus der Kirche in die Sahara Bar zum Apéro eilen, verlässt Gabriella dieselbe mit dicker Tasche, Regenschirm und raschen Schritten.

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