Ein Hund, riesig und scheinbar nur aus Fell bestehend, liegt im Schaufenster der Polsterwerkstatt von Thomas Mink auf dem Boden. Mit schläfrigen Augen blinzelt er durchs Fenster auf die Steinberggasse. Hinter ihm liegt ein Raum, der durch überall verteilte Papiere, Schachteln und Stoffmuster eher klein wirkt. Das Licht brennt, also kann Thomas Mink nicht weit sein. Er sitzt drinnen auf einem umgekehrten Hocker mit abgenutztem Bezug. Mitten im Raum stehen zwei Louis-Philippe-Stühle auf einem Holzgestell. Eigentlich sind es nur noch zwei Rahmen, durch die Sitzfläche und den Rücken kann man nämlich hindurchsehen – Thomas Mink hat den Stoff und das Polster schon weggerissen. Neben dem Eingang lehnen Einzelteile eines sogenannten Hirschsofas, mit geschwungenem Rückenteil. An der Wand hängen verschiedenste Werkzeuge, alle noch aus der Zeit seines Vaters.
Trotz oder vielleicht gerade weil Thomas Mink ein Geschäft führt, das es sonst fast nicht mehr gibt, hat er sofort eine Nachfolgerin gefunden. Mit 67 Jahren wäre er eigentlich schon seit zwei Jahren pensioniert, jetzt hat er sich entschieden aufzuhören. Anfragen zur Übernahme bekam er gleich mehrere. Zu den Interessierten gehört eine junge Frau, die Innendekorateurin gelernt hat und nun seine Nachfolgerin wird. Ihre Beweggründe seien wohl die gleichen wie bei ihm. Es sei super, sein*e eigene*r Chef*in zu sein: «Wenn du einmal weniger Lust zum Arbeiten hast, musst du einfach in der nächsten Woche mehr ran.» Komme aber spontan ein Freund vorbei, um «eis go zieh», was ab und zu vorkommt, würde er fast immer mitgehen, egal wie viel Arbeit noch anstehe. Und Arbeit hat Thomas Mink immer mehr als genug. Die Warteliste ist lang.
So hat der Polsterer jahrein, jahraus gearbeitet. Sein ganzes Leben verbrachte er in Winterthur. Nach einem dreijährigen Arbeitsaufenthalt in Zürich kam er zurück und übernahm mit 24 Jahren das Geschäft seines Vaters an der Spitalgasse. Hämmerte er als kleines Kind noch Nägel in alte Bretter, so ersetzte er später alle möglichen Polster von Sofas und Stühlen. Dies ist sehr zeitaufwendig. Zur Illustration dessen holt er ein altes Buch seines Vaters über das Polstern hervor. Der Holzrahmen des Möbels gibt die Form vor, darüber spannt man Gurte, zwischen welchen die Federn stecken. Mit Schnüren werden die Federn zu einem Netz herabgebunden, so dass das Polster später nicht absacken kann. Genau bei diesem Teil des Polsterns sei Erfahrung und handwerkliches Geschick gefragt. Zum Schluss füllt man das «Skelett» mit Jutengewebe und Palmenfasern, zuoberst kommt Rosshaar unter ein Vlies. Dann wird das Ganze mit Stoff überspannt. In seinem Buch ist für diese Arbeit noch ein Preis von 56 Franken pro Stunde angegeben, heute liege er bei 110 Franken, der Aufwand betrage rund acht Stunden. Geht es um seine Arbeit, kommt Mink ausführlich ins Schwärmen. Unter anderem verrät er, dass er auch die gesamten Polstergruppen in den «besonderen Nachtclubs» Winterthurs, wie dem Tiffany oder dem ehemaligen Red House in der Steinberggasse, neu überzogen hat. Die seien ziemlich unschön gewesen durch die Beanspruchung von «nackten Füdlis» und ausgeleertem Champagner. Im Grossen und Ganzen sei seine Arbeit jedoch eine schöne. Aus einem Holzgerüst einen Stuhl zu bilden, begeistere ihn, und am Abend könne er ein Ergebnis sehen.
Wehmut scheint Thomas Mink nicht zu kennen. Nach der Übergabe will er mit dem Geschäft und allem «alten Gerümpel» nicht mehr viel zu tun haben. Das Lebendige in der Steinberggasse und die Sonne werden ihm aber fehlen. Eigentlich, sagt er, könnte er schon noch drei, vier Jahre länger arbeiten, aber: «Du musst dann aufhören, wenn alles noch gut läuft.» Was er mit der freien Zeit anstellen wird, hat er sich noch nicht überlegt. Trotz der Verbundenheit zu Winterthur steckt in ihm auch etwas Fernweh. Bisher kam das nur bei seinen Ferienreisen zum Ausdruck. Eigentlich würde er gerne einmal für längere Zeit mit dem Wohnmobil wegfahren, wer weiss. Ist es 17 Uhr, macht Thomas Mink Feierabend. Er holt seine Tasche, löscht das Licht und schliesst die Tür hinter sich zu. Dann geht er hinüber ins Albani auf ein Bier. Der Hund Hitch kommt natürlich mit.