Mit kleinen Bewegungen Grosses bewirken

Mit kleinen Bewegungen Grosses bewirken

In ihren Kompositionen verwebt sie Tanz und Theater zu kreativen Geschichten. Im Porträt erzählt Heidi J.M. Roth von ihrem Werdegang als Künstlerin und Tanzpädagogin. Ein Weg geprägt von Hindernissen, Höhenflügen, aber allem voran von der Leidenschaft fürs Tanzen.

Vorhang auf, Musik an, Licht … aus? Auch in der besten Choreografie lassen sich kleine Fehltritte nicht vermeiden – und die haben manchmal grössere Konsequenzen: «Alle Kleinen waren auf der Bühne und das Licht ging aus, weil eine Schülerin über ein Kabel gestolpert war», erinnert sich Heidi an eine Aufführung ihrer Tanzklasse. Doch über solche Missgeschicke tanzt sie mit bewundernswerter Leichtigkeit hinweg: Gekonnt überbrückte sie den Unterbruch mit einer kurzen Geschichte und schon ging das Licht wieder an. Anekdoten wie diese hat sie über die Jahre einige gesammelt: «Ein andermal mussten wir hinter der Bühne noch die letzten Röcke fertig nähen.» Zuversicht und Improvisationstalent haben Heidis Weg geprägt und das Tanztheater Heidi J.M. Roth zu dem gemacht, was es heute ist.

Schon früh war das Tanzen ein wichtiger Angelpunkt in Heidis Leben. Während der Schulzeit in Sargans schnupperte sie als Musicaldarstellerin erstmals Bühnenluft. Überwältigt von der Erfahrung, mit ihrem Schaffen Menschen berühren zu können, wuchs ihre Faszination fürs Tanzen und sie beschloss, die Ausbildung zur Bühnentänzerin anzutreten. Noch während sie auf die Ergebnisse der Maturaprüfungen wartete, stand sie mit einem Bein bereits im Saal der Colombo Dance Factory (heute tanzwerk101) in Zürich. Um das erworbene Wissen weiterzuvermitteln, entschiedsie sich kurz darauf, eine Ausbildung zur Tanzpädagogin anzuhängen. Im März 2004 leitete sie – während sie bereits mit ihrem zweiten Sohn schwanger war – ihre ersten Unterrichtsstunden. Gemeinsam mit den Schüler*innen, von denen einige über 15 Jahre lang das wöchentliche Training besuchten, entwickelte sich die Schule stetig weiter. Beginnend mit Kindertanztheater bot der Stundenplan schon bald Kurse in diversen Stilrichtungen wie Jazz und Contemporary Dance, klassischem Ballett und Flamenco für Kinder in allen Altersstufen an. Seit kurzem beinhaltet das Angebot auch Kurse für Erwachsene.

Zu Beginn ihrer Unterrichtstätigkeit kellnerte sie nebenbei im Café Alltag und im Casinotheater. Bis das nicht mehr ging: «2012 habe ich dann so viel unterrichtet, dass ich gar keine Zeit mehr hatte, nebenbei noch mehr zu arbeiten.» Mit einer Selbstverständlichkeit, welche die zahlreichen Aufgaben definitiv bagatellisiert, erzählt Heidi, wie sie gleichzeitig die Tanzstunden und ihre Aufgaben als alleinerziehende Mutter koordinierte. Selbst in schwierigen Zeiten behielt sie ihre Zuversicht. Als 2017 das langjährige Mietverhältnis im Tanzraum an der Stadthausstrasse unerwartet aufgelöst wurde, zog es der Schule regelrecht den Tanzboden unter den Füssen weg. Innerhalb von drei Monaten galt es, neue Unterrichtsräumlichkeiten für die 21 wöchentlichen Lektionen zu finden. Zwischenzeitlich bot die Alte Kaserne Unterschlupf, bis sich die Schule vor zwei Jahren schliesslich in ihrem eigenen Studio im Zeughaus niederlassen konnte. Dort bieten zwei Tanzsäle Raum fürs Pirouetten drehen und Kreativsein. Das angrenzende Atelier ist gefüllt mit bunten Stoffen und selbstgenähten Kostümen. Sie erzählen Geschichten von Feen, verzauberten Prinzessinnen oder wagemutigen Piratenbanden.

Auf spielerische Weise verwebt Heidi Tanz und Theater in ihren Kompositionen, die sie mit den Schüler*innen jeweils Ende Schuljahr zur Aufführung bringt. Spannend sei dabei zu beobachten, wie die Stücke auf der Bühne ganz anders wirken als im Übungsraum, sagt Heidi. Bei der Vorbereitung der Auftritte sei es deshalb wichtig, die Dynamik im Raum, die Interaktion zwischen Werk und Publikum, zu berücksichtigen: «Wie lassen sich Gefühle in Bewegungen umsetzen und welche Wirkung erziele ich dabei beim Publikum?»

Heidis Unterricht gestaltet sich nach der Lehrweise des «Chladek®Systems». Nach dieser soll der Ansatz einer Bewegung erforscht und in eine Ausdrucksform gebracht werden. Ausgangspunkt des Choreografierens sind zunächst ganz einfache Bewegungen, die dann in grössere Abfolgen eingebettet werden: «Die Kunst des Tanzens ist in meinen Augen, mit einer kleinen Bewegung grosse Wirkung zu erzeugen.» Zur Veranschaulichung hebt sie ihre Hand und bewegt sie in einer sanften Winkbewegung parallel zum nickenden Kopf: «Du spielst mit der Wiederholung. Dann mit dem Element der Zeit oder dem Raum.» Daraufhin dreht sie Hand und Kopf, sodass sich Gesicht und Handfläche frontal begegnen, beschleunigt die gleichförmigen Abläufe und improvisiert mit einfachen Mitteln eine spontane Choreografie.

«Das ganze Leben hat einen Rhythmus, unser Atem, unser Herzschlag. Wir gestalten unser Leben nach dem Wechsel der Jahreszeiten, nach Tag und Nacht», erklärt Heidi. Den Körper sieht sie als Instrument, um die Rhythmik des Lebens aufzugreifen und in eine Ausdrucksform zu bringen.

Gerade bei Kindern lasse sich ein natürlicher Zugang zur Bewegung feststellen. Ohne das musikalische Grundwissen oder die Kenntnis der Fachbegriffe folgen sie dem Takt und bewegen sich zum Rhythmus der Musik.

«Meine Aufgabe als Pädagogin sehe ich darin, den Schüler*innen das nötige Werkzeug mit auf den Weg zu geben, mit dem sie ihre Kreativität entfalten können», betont Heidi. Der Unterricht soll kein einseitiges Dozieren sein, sondern wird zu einem Dialog, in dem die Tänzer*innen allmählich ihre eigene Körpersprache entwickeln und ihren eigenen Stil finden. Gerade dies stellt für Heidi eine zunehmende Herausforderung dar. Denn auch bei inzwischen über 200 Schüler*innen möchte sie auf alle einzeln eingehen können. Aus diesem Grund gestalten sich die gleichen Tänze ganz unterschiedlich, wenn sie dieselben Choreografien mit verschiedenen Klassen umsetzt. Dabei spiele die Dynamik innerhalb der Gruppe eine zentrale Rolle. Anstatt starren Schrittes festgelegte Choreografien abzutanzen, ist es Heidi wichtiger, die Kinder und Jugendlichen dort abzuholen, wo sie sich auf ihrem Lebensweg gerade befinden, und die verschiedenen Charaktere miteinfliessen zu lassen: «Ich möchte Freude und Leidenschaft am Tanzen und an der Bühne vermitteln.»

Belinda Lamatsch ist Autorin beim Coucou und war selbst viele Jahre Tanzschülerin bei Heidi.

Olivia Kurz ist selbständige Grafikerin und Fotografin. Tanzen tut sie am liebsten wärend dem Kochen.

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