Werner Jans

Wenn Holzfiguren lebendig werden

Werner Ignaz Jans ist der Winterthurer Bevölkerung vor allem wegen Holidi, dem Holzmann bekannt. Der 75-jährige Bildhauer aus Riet versteht selbst nicht, was seine Figuren alles auslösen.

Sie stehen, sitzen oder liegen – auf dem Dachboden. In ihren Gesichtern zeigt sich Freude, Stolz aber auch Angst, Leid. Einige tragen farbige Kleider, andere sind nackt. Sie schweigen. Bis auf einen: «Meine Holzmenschen müssen beseelt sein.»

Werner Ignaz Jans – grau gewelltes Haar, kräftige Hände, Bauch – steht im Lichtstrahl einer Stalllampe. An seiner Jacke haften Holzstücke und Sägemehl. Der 75-jährige Bildhauer mit den wachen Augen und dem verschmitzten Lachen hat etwas Kindliches bewahrt, das er nicht nur ausstrahlt, sondern auch lebt. Da wäre zum Beispiel seine authentische Art oder der «harte Grind».

Hartnäckig war er schon als Bub: «Ich wollte immer das Unmögliche erreichen.» Er habe schon früh gerne gezeichnet, etwas mit den Händen gemacht – «am liebsten ohne Vorgaben.»

Jans wurde 1941 als Sohn einer Schweizerin und eines Deutschen in Winterthur geboren. Mit 16 Jahren machte er den Vorkurs an der Kunstgewerbeschule in Zürich. «Als Kind einer Arbeiterfamilie war das natürlich schwer.» Danach fing er eine Grafiklehre an, die er nach zwei Jahren abbrach: «Ich kann keine Chefs ertragen», sagt er und gluckst vor sich hin. Also ging er nach Düsseldorf: Vier Jahre Kunstakademie. 1965 arbeitete der damals 24-Jährige bereits als freier Bildhauer. Bis 1990 war er zudem Lehrer an der Schule für Gestaltung in Zürich, an der er dreidimensionales Gestalten unterrichtete.

Heute – nach zahlreichen Aufträgen und Ausstellungen, unter anderem in Zürich, Bern, Graz, Luxemburg und Arbon – sucht er immer noch nach dem Unmöglichen, hält aber fest: «Wenn ich ein Werk beende, ist mir ja doch nur das Mögliche gelungen.» Daher müsse es immer weitergehen; ein «stetiges Bemühen!»

Jans geht die Dachbodentreppe hinunter zu seiner Werkstatt. Es riecht nach Holzfeuer. Er zeigt auf Reliefs, die Teil seiner neusten Arbeit für das Kunst-am-Bau-Projekt der Siedlung Orenberg in Ossingen sind. Ein Holzrelief zeigt einen Brotlaib, ein anderes einen Mann mit Gepäck – Emigrant oder Immigrant? Jans behandelt in dieser Arbeit sozialpolitische Themen der Vergangenheit wie Hungersnot, Auswanderung oder Kriegsdienst und schlägt dabei eine Brücke zu heute – Stichwort Fluchtbewegung. «Da halte ich den Finger drauf.» Als Künstler möchte er aber keine erzieherische Funktion innehaben. «Ich muss anderen nicht gefallen, sondern will meine Anliegen loswerden.»

Erlebnisse und Beobachtungen inspirieren ihn. «Ich trage ein Bilderarsenal in mir.» Einzelne Bilder würden innerlich aufsteigen und sich verknüpfen. Daraus folgen Skizzen und weitere Ideen, die er auf sich wirken lässt, bis sie sich verfestigen. «Wenn ich eine Figur im Kopf habe, ist sie wunderschön, das können Sie mir glauben.» Ob er die Figur auch so wunderbar aus einem Baumstamm heraushaut, sei eine andere Frage. Die Arbeit erfordere geistige und körperliche Belastbarkeit. «Ein Kampf», den er nicht immer zu Ende bringt: «Ich habe Holzfiguren auch schon verbrannt.»

Jans versucht, sich mit den Figuren zu identifizieren, sie zu spüren. Die Verschmelzung von Künstler und Werk lassen die Holzfiguren so real wirken. Er gibt ihnen eine «Seele». Samuel Furrer, ein ehemaliger Schüler Jans’, heute Künstler und Lehrer für bildnerisches Gestalten, sagt: «Werners Skulpturen strahlen Natürlichkeit und Authentizität aus.»

Jans erzählt von einem besonderen Ereignis: «Ich habe mal eine Frau kennengelernt, die einen Hirntumor hatte. Ich machte sie als lebensgrosse Holzfrau.» Die Figur kam ins Kunstmuseum Winterthur. Dann passierte folgendes: Eine Frau, die ihren Mann an einem Hirntumor verloren hatte, kaufte die Figur. Später entdeckte Jans ein Foto der gleichen Figur in einer Todesanzeige. «Mir war mulmig zumute.» Es stellte sich heraus, dass die Verstorbene vor ihrem Tod im Kunstmuseum ein Foto der Figur machte, da sie dieses in ihrer Todesanzeige abdrucken wollte. Sie litt ebenfalls an einem Hirntumor.

Jans wünscht sich, dass ihm ein Meisterwerk gelingt. «Wenn ich eines schaffe, wäre aber der Antrieb für alles Weitere weg.» Ein leises Geräusch ertönt: Vielleicht das Feuerknistern? Oder sind es die Holzmenschen auf dem Dachboden, die Schabernack treiben?

 

 

 

 

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