Hasan Kandil

Das Leben ist der Laden

Aus der Not heraus hat Hassan Kandil begonnen, Sandwiches zu machen. Heute gibt es wenig, was er lieber macht – oder öfter.

Wenn Hassan in seiner Pause vom Obertor zum Lindengut-Park spaziert, könnte man meinen, er kenne ganz Winterthur. Oder ganz Winterthur ihn. Einem gefühlten Dutzend Winterthurerinnen und Winterthurern sagt er hallo, winkt mal da, mal dort. «Ich bin gern mit Menschen zusammen», wird er später sagen – keine unübliche Aussage. Im Falle Hassans ist sie allerdings wesentlich: Sie führte ihn letztendlich zu «Hassan Sandwiches», wo er heute arbeitet.

Nicht, dass es mit Sandwiches angefangen hätte. Überhaupt nicht. Den Beginn bildeten Früchte und Gemüse, eine ganze Menge sogar, etwa 150 verschiedene Sorten, wie Hassan rückblickend schätzt. Sein Bruder Bilal hatte am Obertor seinen Laden eröffnet, wo er fortan Lebensmittelspezialitäten anbot – das war Ende der Neunziger. Hassan, der damals seine Lehre im Apparatebau abgebrochen hatte und langsam, aber sicher mit finanziellen Problemen konfrontiert war, half seinem Bruder aus. «Erst nur ab und zu, auch mal an Wochenenden», erinnert er sich. «Mit der Zeit auch mal eine Woche lang, dann zwei Wochen, und irgendwann bin ich einfach geblieben.»

 

Einfach war der Wechsel nach Winterthur nicht: Zu diesem Zeitpunkt hatte Hassan seine Freundinnen und Freunde im Aargau, nicht in Winterthur. Er war im Mittelstufenalter, als seine Familie dorthin zog, aus Anatolien in den Aargau. Hassan erzählt entzückt, mit welcher Freude ihm die Schweizer Mitschülerinnen und -schüler damals Schweizerdeutsch beigebracht hätten. «Wir waren die einzigen Ausländer und darum speziell. Die anderen Kinder stritten sich um mich», erzählt er schmunzelnd. Die Jahre im Aargau – erst Boswil, dann Wohlen – hat er in vorwiegend guter Erinnerung. Und doch: Als Bruder Bilal seinen Laden im Winterthurer aufgab, war Hassan fest entschlossen, ihn weiterzuführen. Während Bilal einen Kebaptreff eröffnete, handelte Hassan mit Gemüse und Früchten. Sechs Tage die Woche arbeitete er, begeisterte sich für Qualität und Vielfalt, hatte Freude an der Kundschaft… und musste dann feststellen, dass das Geschäft finanziell nur knapp am Laufen gehalten werden konnte.

Das war der Moment, in dem Hassan an Sandwiches dachte. Nicht, dass er die Idee aufgeschrieben hätte: «Ich machte keine Notizen, alles war im Kopf gespeichert.» Vor fünf Jahren also stockte er den Laden mit den Take-Away-Sandwiches auf, um am Ende des Monats durchzukommen. «Der Witz war bloss, dass niemand wusste, dass ich dort drin Sandwiches machte», erinnert sich Hassan. Als eine Kundin Früchte kaufen wollte, bestellte sie aus Neugierde ein Sandwich. «Heute brauche ich eine halbe Minute. Damals sechs oder sieben. Sie ist fast eingeschlafen.» Hassan muss lachen.

 

Es dauerte bloss einen Monat, bis sich der Sandwich-Tipp herumgesprochen hatte. «Papaya und Sandwiches Kandils» wurde zu «Hassan Sandwiches», wo heute zu dritt gearbeitet wird. Früchte und Gemüse gibt es noch immer – und Hassan hat noch nicht einmal seine eigenen Sandwiches satt. «Peperoni, Zwiebeln, Aubergine und Haloumi-Käse. Dazu Hummus, Oliven- und Tomatensauce», lautet sein Lieblingssandwich. Mittlerweile kann Hassan vom Laden leben, «er ist aber auch mein Leben, irgendwie», sagt er nachdenklich, aber zufrieden.

Steht Hassan gerade nicht hinter der Theke, kocht er nach wie vor auch gerne privat, meistens vegetarisch oder vegan. Ausserdem fahre er sehr gerne Velo und liebe die Natur, am liebsten aber sei er einfach unter Menschen, sei dies nun im Park, im Winterthurer Ausgang oder im Laden.

Apropos Laden: Wie sieht es eigentlich aus mit Konkurrenz? Dem neuen Sandwichgeschäft nur wenige Meter weiter? Hassan schüttelt den Kopf. «Konkurrenz, gahts na? Man muss lernen zu teilen. Und ich teile mega gern.»

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