Es ist nicht leicht, mit Manuel Bauer einen Termin zu finden. Als wir ihn nach langer Vorlaufzeit Mitte Januar in seinem Atelier im Tössfeld treffen, ist er gerade zurück aus Indien, wo er eine Unterweisung des Dalai Lama fotografisch begleitete, und steht kurz vor einer Recherche-Reise in Sansibar. Sein Jahr 2015: durchgeplant.
Der 48-jährige Fotojournalist ist ein Getriebener. Er versteht es als eine Verpflichtung, für das Gute und gegen das Schlechte auf der Welt zu kämpfen. Seine Arbeit soll bewegen. «Ich habe es lange hinterfragt, aber es stimmt eben doch», sagt er, «die Fotografie kann Menschen eine Stimme geben, wenn sonst niemand auf sie hört.»
Eine Stimme, die weltweit gehört wurde, gab er 1995 der damals sechsjährigen Yangdol: Er begleitete das Mädchen und seinen Vater auf der Flucht aus Tibet. Wie tausende Kinder vor und nach ihr flüchtete Yangdol über den 5700 Meter hohen Nangpa-Pass nach Nepal und von dort nach Indien. Die Fotoreportage «Flucht aus Tibet» hat ein Millionenpublikum erreicht; es ist bis heute das einzige fotografische Dokument einer solchen Flucht. Sicher, sagt der stets bescheidene Bauer, der langlebige Wert dieser Arbeit verschaffe ihm gewisse Genugtuung. Seine damals eingegangenen Risiken relativiert er sogleich: «Als Schweizer für eine solche Sache sein Leben aufs Spiel zu setzen, ist nichts, verglichen mit dem Leiden des tibetischen Volkes..»
Das Schicksal des tibetischen Volkes bewegt ihn. «Es ist mein wichtigstes Anliegen, dass Tibet nicht vergessen geht.» Bei den Exil-Tibetern und -Tibeterinnen erfährt Bauer seit damals grosse Wertschätzung. Diese nahm sogar noch zu, als er von 2001 bis 2005 den Dalai Lama als offizieller, aber unabhängiger Fotograf begleitete. Bis ins Hotelzimmer rückte Bauers Linse vor. Diese Bilder des Dalai Lama sind bis heute einzigartig.
Schon als er Mitte der Achtzigerjahre sein Handwerk erlernte, engagierte sich der junge Fotograf für Menschenrechte, Umweltschutz und eine Schweiz ohne Armee. «Damals merkte ich: Wenn ich richtig zu fotografieren lerne, kann ich mehr bewegen, als wenn ich weiterhin Flugblätter verteile.» Den Lehrabschluss 1987 besiegelte er mit der ersten Indienreise. Der junge Fotograf war fasziniert. Und gefordert, über das eigene Leben nachzudenken. «Die Reise zeigte mir, welch ein Privileg es ist, zufällig in der Schweiz geboren worden zu sein.» Ein Gutmensch ist er, ja. Aber kein naiver Ideologe. Und auch kein Propagandist – denn es muss immer um die Wahrheit gehen.
Das zeigt sich am besten am Beispiel des Tankerunglücks 2002 an der Costa da Morte in Spanien. Bauer und sein Kollege Christian Schmidt sind vor Ort und berichten empört von der Umweltkatastrophe, den toten Vögeln im Schlick, den Fischern, die Atemmasken tragen. Zehn Jahre später müssen die beiden vor Ort feststellen, dass sich die Natur erholt hat. Was eigentlich erfreulich ist, passt nicht in ihre bisherige Berichterstattung. Sie lenken ein: In einer langen Reportage im «Magazin» leisten sie Abbitte und gestehen den Lesern und Leserinnen (und sich selbst) ein, dass die dramatischen Langzeitfolgen der Ölkatastrophe, vor denen man warnte, ausgeblieben sind. Alles andere wäre verlogen gewesen.
Als Vater zweier Kinder unternimmt Bauer keine mehrmonatigen Reisen mehr. Der engagierte Journalist Bauer ist aber nie verstummt. Momentan ist er massgeblich an der Rettung des nepalesischen Dorfs Sam Dzong beteiligt. Weil infolge der Klimaerwärmung das Wasser fehlt, müssen die 85 Bewohner ihr Dorf umsiedeln. Berührt von ihrem Schicksal, versprach Bauer, Spenden für den Neuaufbau zu sammeln. Vorträge, Crowdfunding und ein Artikel im «Magazin» lösten ein gewaltiges Echo aus. «Das war eine wichtige Bestätigung für mich», sagt Bauer. «Es gibt den Journalismus, der Menschen berührt und bewegt.» Im Frühling ist das Dorf bereit für den Umzug. Der engagierte Fotograf erreicht dann einen weiteren Meilenstein in seinem Leben. Der letzte wird es sicher nicht gewesen sein. Manuel Bauer ist ein Getriebener.