Auf den Bühnen zuhause

Auf den Bühnen zuhause

Einen Masterplan hatte er nie: Sebastian Henn war schon Schauspieler, Choreograf und Regisseur – und vertraut darauf, dass ihn Offenheit, Tatendrang und Neugier an die richtigen Orte bringen.

Am Anfang war da wenig Kultur im Leben von Sebastian Henn: Seine Kindheit verbrachte er im Tösstal, «wo es wenig zu tun gab ausser gar nichts». Und so führten ihn schon bald erste Streifzüge nach Winterthur: «Vorerst allerdings vor allem in den McDonalds gleich beim Bahnhof», erinnert er sich – sehr zum Leidwesen seiner Eltern. Bald jedoch vergrösserte er den Radius seines jugendlichen Ausbrechertums – und erkundete nebst den kulinarischen nach und nach auch die kulturellen Vorzüge der Stadt. In der Kanti Büelrain entdeckte er das Theaterspielen. «Eine Leidenschaft, die bis heute anhält», erzählt er. Bald nach der Matura liess er Dorf und Dörfligeist endgültig hinter sich und zog nach Winterthur. Etwas halbherzig mäandrierte er durch das Studium in Deutsch, Englisch und Filmwissenschaften an der Universität Zürich.

Wichtiger als möglichst schnell viele ECTS-Punkte zu scheffeln, waren ihm stets die Projekte, die er nebenher realisierte – auch wenn er deretwegen doppelt so lange in der Uni hängenblieb. Das Theaterspielen blieb auch während dieser Zeit ein treuer Begleiter: Gemeinsam mit einer Handvoll Gleichgesinnten aus der Büelrain-Theaterwerkstatt gründete er 2010 ein eigenes Kollektiv, mit dem er im Auftrag der Alten Kaserne die offene Bühne «Nora & The Gang» aufbaute. Weil das Publikum bald anfing, auch das Kollektiv selbst so zu nennen, heissen sie nun «Nora & The Gang – Das Theatersyndikat» und tingeln jährlich mit einem neuen Stück über die Bühnen des Landes: Dieses Jahr feiern sie anfangs Oktober mit der Nazi-Komödie «KingKong vs. Hitler» eine weitere Premiere.

 

Wenn es einen roten Faden in Sebastians Leben gibt, dann ist es der Austausch mit anderen Menschen, der sich durch seine Projekte zieht. «Ich habe mehr als einmal versucht, mir selber ein Instrument beizubringen», erzählt er – gescheitert ist er weniger an der Musik, sondern an der Tatsache, dass das Üben eine allzu einsame Angelegenheit ist. «Ich bin gern eingebunden in ein Personennetz», sagt er. Selbst die «Nora & the Gang»-Theaterstücke schreibt er meistens zusammen mit Co-Autor Fabian Wenk.

Es seien die Neugierde und eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit Unbekanntem, die den Winterthurer immer wieder an die kuriosesten Orte bringen. Nach seinem ersten Job als Steuererklärungsscanner castete er für den Fernsehsender 3plus Kandidat*innen für die Formate «Der Bachelor» und «Jung, wild & sexy». Dann erhielt er eine Statistenrolle am Schauspielhaus Zürich in René Polleschs Stück «Love/No Love». Weil der passionierte Breakdancer auf einer Probe eine Idee des Regisseurs falsch verstanden hatte, bot er an, eine kleine Tanzchoreografie zusammenzustellen. Spontan nahm René Pollesch das Angebot an – und in den darauffolgenden zwei Jahren wurde Sebastian immer wieder als Choreograf für Theaterstücke engagiert.

 

Länger als zwei Jahre dauert sein Planungshorizont selten. «Das wird nicht ewig so weitergehen können», stellt der 30-Jährige fest. Zwischen 20 und 30 baue man sich ein grosses Netzwerk auf, sagt er. Dieses sei für ihn als Organisator des Zirkusfestivals «ZirQus» in Zürich, die Arbeit im Team der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur,  aber auch für seine zahlreichen Projekte im Bereich Film und Theater, zentral. Wolle man ein Projekt realisieren, reiche meist ein Fingerschnippen, um die entsprechenden Menschen zusammenzubringen. Doch Familienplänen und anderen Prioritäten «geschuldet» breche in der drauffolgenden Dekade häufig ein grosser Teil dieses Netzwerks weg: Das bedeute weniger Spontaneität, weniger Flexibilität.

Noch spürt Sebastian wenig davon – zurzeit läuft sein Leben in der ganzen Bandbreite weiter. Mit dem Job als Leiter des Zirkusquartiers in Zürich ist zwar auch bei ihm etwas mehr Kontinuität als auch schon da. «Aber manchmal habe ich das Gefühl, ich bin unabhängiger als noch vor drei Jahren, als ich noch studierte», sagt er. Dieser Lebensstil habe sich so ergeben und passe auch so. Was aber nicht heisse, dass er mit vierzig immer noch so leben werde. Bis dahin ist aber noch Zeit – und momentan heisst das Credo klar: Irgendwo läuft immer etwas.

 

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