Immer, wenn ich jemandem den Inhalt von Dominik Duseks ersten Roman zu erklären versuchte, war mein Gegenüber etwas durcheinander: «Also wer schreibt ein Buch über wen?» oder «Meinst du jetzt den Autor oder den Autor im Buch?»
Im «Er tritt über die Ufer» schreibt ein namenloser Autor eine Biografie über den Künstler Peter Arbogast. Durch Interviews mit der Familie, den Bekannten und den Freunden Arbogasts probiert der Ich-Erzähler die Person Peter Arbogast greifbar zu machen. Gleichzeitig bleibt der Namenlose nicht ohne Identität. Mit seinen Auftraggebern hat er regelmässig Kontakt via E-Mail. So erfährt man, dass der Ich-Erzähler gerade in Trennung lebt, dass er ein eher kompliziertes Verhältnis zu seiner «Nochfrau» hat. Und dass er die Arbeit an dieser Biografie unbedingt braucht, um einen Sinn im Leben zu haben. Fast schon fanatisch recherchiert dieser namenlose Autor über Peter Arbogast. Er probiert sein Leben genau nachzuverfolgen und alle Lücken zu füllen.
Peter Arbogast, das ist ein Popkünstler, der sich und so auch seinen Musikstil ständig verändert. Seine Platten stehen immer für vielmehr, als einfach ein neues Album. Es scheint so, als ob er mit jeder CD einen neuen Lebensabschnitt zelebriert und ihn so der Öffentlichkeit preisgibt. Vom Cover bis zum letzten Ton auf der CD, scheint er sein Werk durchdacht zu haben. Der Ich-Erzähler analysiert und interpretiert fleissig und reist dem Künstler rund um den Globus nach, denn dieser wechselt seinen Wohnort ständig. Die Reise endet in Amerika, als der Erzähler, der Arbogast bis zu seiner Hütte gefolgt ist, eines Tages die Grenze überschreitet und bei ihm einbricht.
Die Geschichte der beiden verlorenen Männer scheint sich zu überlappen, und schliesslich fast schon zu einer zu verschmelzen. Sie beide haben Probleme, die einerseits ähnlich und doch komplett anders sind. «Er tritt über die Ufer» handelt von Liebe, Verlangen, Erfolg, Sinn und Identität. Mit dieser Vielschichtigkeit bringt Dominik Dusek die Leserinnen und Leser zum Nachdenken. Für wen das Leseerlebnis auch musikalisch untermalt sein soll, findet auf der Internetseite des Winterthurers (www.dusekgefaess.net) Songs von Peter Arbogast, die den Künstler für die Leserin oder den Leser noch realer werden lassen.
Beeindruckend ist die Aktualität und Zeitlosigkeit: Dominik Dusek hat sich das Werk eines Popstars nach der Jahrtausendwende erschrieben, das eingespannt ist in die Wirren seiner Generation. Und so ist der Roman mehr als ein fiktives Künstlerporträt – es ist eine Analyse des Zeitgeists. Zudem zeichnet den Roman aus, dass man sich als Leserin oder Leser über die Protagonisten ärgert, sich für sie freut, mit ihnen lacht oder auch Mitleid mit ihnen hat. Das Werk von Dominik Dusek ist spannend wie ein Krimi und gleichzeitig tief berührend. In «Er tritt über die Ufer» hat er es geschafft, mich als die Leserin auf geistreiche Art und Weise die Grenzen meines Seins spüren zu lassen.