Wo Kulturen in der Musik Freundschaften schliessen

Wo Kulturen in der Musik Freundschaften schliessen

Erstmals widmet sich eine lokale Veranstaltungsreihe der arabischen Musik. «Habibi» verwandelt das Albani in einen orientalischen Tanzpalast.

Rizan Said betritt unauffällig die kleine Bühne und lässt seine Finger ohne grosse Zwischenpause in einem unglaublichen Tempo über die Tasten seines doppelstöckigen Keyboards gleiten. Mitreissende Bässe und Melodien füllen den Raum und überrollen das Publikum wie eine wuchtige, warme Welle. Rizan Said verschwindet nach seinem DJ-Set leise, doch der Bass wird lauter. Ohne Unterbruch beginnt das Set von Siin. Der Bass wummert so stark, dass man draussen die Fensterläden des Albani scheppern hört. Mehr Elektro, mehr Aufbau, mehr Party. Der Abend ist wie ein Lied in sich, dynamisch und aufbauend. Die Leute tanzen ununterbrochen zu den abwechslungsreichen arabischen Klängen lange in die Nacht hinein. Die Melodien folgen einem bis nach Hause und sitzen bis zum Einschlafen tief verankert im Kopf. Was für ein Abend!

Im Rahmen der Habibi-Reihe wird das Publikum von einer ganzen Handvoll arabischer Künstler*innen in die jeweiligen Heimatländer entführt. Aus Syrien, Tunesien und Palästina tragen sie ihren prall gefüllten Kulturrucksack nach Winterthur und geben einen Einblick in ihr vielfältiges Musikschaffen.

Vera Pfister ist der führende Kopf der Konzertreihe mit dem Titel «Habibi» und arbeitet schon seit einer Weile vor und hinter der Bar des Albani. Seit ihrem dreimonatigen Aufenthalt in Marokko im Jahr 2014 ist sie von der reichhaltigen arabischen Kultur völlig fasziniert. Aus ihren Wunsch hin, die verschiedenen Kulturen zu verbinden, hat sie vom Albani ihre eigene Plattform für die Konzertreihe erhalten. Doch Vera will nicht nur die andersartige Musik feiern: Sie setzt sich gegen die Vorurteile ein, aufgrund derer der Kultur in den letzten Jahren vor allem Angst entgegengebracht wurde. «Ich will eine vermittelnde Rolle einnehmen und die wertvollen Aspekte der Kultur weitergeben», sagt sie. «Das ist für viele etwas neuartig. Es braucht Zeit, eine neue Kunstform in der Gesellschaft zu verankern.»

Die Konzertreihe Habibi sollte ein Türöffner sein für alle, die die Musik des arabischen Raums näher kennenlernen möchten. Am ersten Abend der Musik-Trilogie, der Ende Januar stattfand, legte das DJ-Kollektiv Sharm El Shake aus Basel auf. Das Kollektiv sei für arabische, elektronische Musik in der Schweiz die Adresse. «Für eine Lancierung einer ganz neuen Reihe lief der Event super», sagt Vera. Viele Leute seien gezielt wegen der Musik gekommen, was ein schönes und starkes Statement ist.

 

Den syrischen Keyboarder Rizan Said, der am zweiten Anlass am 23. März auftrat, kennt man in der Szene. Als «King Of Keyboard» machte er sich in der syrischen sowie auch internationalen Dabke-Szene schnell einen Namen.

Durch die Zusammenarbeit mit Omar Souleyman, einem der berühmtesten syrischen Musiker, konnte der junge Araber auch in Europa Fuss fassen und spielt seither auf unzähligen Festivals auf dem gesamten Kontinent. Der gewagte, experimentelle Genre-Mix fasziniert und fordert heraus, sich auf was Neuartiges einzulassen. Genau wie der zweite Act des Abends, das Duo Siin aus Palästina und Serbien. Sie mischen traditionelle arabische Musik mit Elektro und treffen so den Zeitgeist auf die Note. Vera hat das Duo über die F-Cat-Agentur entdeckt und konnte sie ins Albani bringen.

Am 11. Mai findet der dritte und letzte Event der Konzertreihe Habibi statt. «Es ist gleichzeitig das grösste Konzert, an dem gleich drei verschiedene Acts auftreten werden», sagt Vera aufgeregt. Jawhar aus Tunesien eröffnet den Abend. «Im arabischsprachigen Gebiet ist er bekannt für sein lyrisches Talent. Er ist ein richtiger Poet», sagt Vera. Jawhar ist ebenfalls als Schauspieler und Bühnenautor tätig und lässt seine knallharte Gesellschaftskritik auch gerne in seine Lieder einfliessen. Hierzu gehören etwa die Ernüchterung und Desillusion nach der Revolution in Tunesien oder der gesellschaftliche Druck, dem viele Frauen ausgesetzt sind.

Nebst Jawhar spielen auch Hello Psychaleppo und das Duo Boshoco aus Syrien. Hello Psychaleppo hat im Exil in Beirut angefangen, Musik zu machen. Auch er will die einst wunderschöne Stadt Aleppo in die Köpfe seiner Hörer*innen projizieren und die kulturelle Vielfalt der Stadt aufzeigen. An Konzerten benutzt er oft Zeichungen und Visuals, welche an die Wände der Location gebeamt werden. Ursprünglich Maler, machte auch er sich einen Namen in der arabischen Musikszene. Das Duo Boshoco rundet mit orientalischem Deep House den Abend ab und trägt wesentlich zur aussergewöhnlichen Konzertreihe Habibi bei. «Der Name spricht für sich», sagt Vera. «Habibi steht für ein freundschaftliches Verhältnis. In diesem Fall die Freundschaft zwischen den verschiedenen Kulturen.» Kunst und Musik ermöglichen Zugänge, die sonst schwer zu erfassen sind. «Ich hoffe, die Reihe geht nach diesen drei Abenden noch weiter», sagt Vera. Diese Freundschaft kann und soll nämlich noch weiter vertieft werden.

 

Habibi

mit Konzerten von Jawhar,

Hello Psychaleppo und Boshoco

Samstag, 11. Mai, Zeit noch offen

Eintritt: noch offen

Albani

Steinberggasse 16

www.albani.ch

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