Filmisches Spiel mit der Realität

Filmisches Spiel mit der Realität

Nicolas Roeg löste in seinen Filmen nicht nur die Zeit-Ebenen , sondern auch die Pop-Star-Images von Mick Jagger und David Bowie auf. Das Kino Cameo widmet dem Regisseur nun eine Filmreihe.

Sexuelle Exzesse, Drogenexperimente, blutige Schlägereien: Bereits der erste Film mit dem Titel «Performance», bei dem Nicolas Roeg 1968 Regie führte, polarisierte. Die Veröffentlichung verzögerte sich wegen Diskussionen mit Zensor*innen gar um zwei Jahre. Doch schon vor diesem skandalträchtigen Tritt ins Rampenlicht war der Brite in der Branche kein Unbekannter, hatte 20 Jahre lang als Kameramann und Assistent für Filmemacher wie John Schlesinger oder François Truffaut gearbeitet und darüber hinaus an Klassikern wie «Lawrence von Arabien» (1962), «Fahrenheit 451» (1966) oder «Casino Royale» (1967) mitgewirkt.

In Erinnerung an das im letzten November verstorbene Enfant terrible präsentiert das Kino Cameo nun eine ihm gewidmete Filmreihe. Mit «Performance» (1970), «Don’t Look Now» (1973), «The Man Who Fell to Earth» (1976) und «Bad Timing – A Sexual Obsession» (1980) erwartet die Zuschauer*innen ein genre-technisch vielfältiges Programm. Gangsterfilm, Horror, Sci-Fi und Amour-Fou-Drama: Nicolas Roeg erkundete verschiedene Erzählwelten. Treu blieb er vor allem in seiner frühen Schaffensphase der Vorliebe, wichtige Rollen mit Musikern zu besetzen. So begegnet man in drei der vier gezeigten Filme Gesichtern, die noch immer im popkulturellen Bewusstsein zirkulieren.

Mick Jagger spielt in «Performance» einen ausgebrannten Rockstar der psychedelischen 60ies-Bohème, Art Garfunkel präsentiert sich in «Bad Timing» als perverser Psychoanalytiker und in «The Man Who Fell to Earth» fliegt David Bowie zwar nicht als Major Tom in die dunklen Weiten des Kosmos hinaus, er stürzt aber immerhin als ausserirdischer Besucher auf die Erde hinab. Neben Musikern hatte Nicolas Roeg eine Vorliebe für Malerei. In «The Man Who Fell to Earth» zeigt er das auf den vom Himmel gefallenen David Bowie anspielende Bild «Landschaft mit dem Sturz des Ikarus» von Pieter Bruegels. Es lohnt sich, bei der ikarus-haften Sci-Fi-Figur auch an die Karriere des Sängers zu denken. Denn das aufs Kosmische getrimmte Popstar-Image, welches David Bowie 1969 mit dem Song «Space Oddity» etabliert und 1972 durch «Ziggy Stardust» ausbaute, erreicht 1976 seinen Zenit in Nicolas Roegs Werk, was daran ersichtlich wird, dass ein Film-Still das Plattencover für David Bowies Album «Station to Station» lieferte. Die Auflösung der Grenze zwischen Realität und Imagination, welcher man im Film begegnet, verläuft in diesem Fall parallel zur Auflösung der medialen Grenzen: Das kosmische Pop-Star-Image David Bowies trifft man in der Sci-Fi-Figur von Nicolas Roegs Film an und diese Sci-Fi-Figur arbeitet wiederum das kosmische Pop-Star-Image weiter aus.

In «Bad Timing» führt Nicolas Roeg den Zuschauer*innen – dem Drehort Wien entsprechend – die Bilder von Gustav Klimt und Egon Schiele vor. Ihre Motive stimmen die Amour Fou zwischen einer jungen Amerikanerin und einem von Art Garfunkel gespielten Psychoanalytiker an. Auf einer subtileren Ebene aber liefern sie, man könnte sagen als das ästhetische Unbewusste des Films, einen Eindruck davon, welche Kunst zur Zeit Freuds im Ausstellungsgebäude der Wiener Secession kursierte. Auch in diesem Werk Nicolas Roegs geraten Fiktion und Realität seltsam aneinander: Der 1980 erschienene Film über den Selbstmord einer Frau korrespondiert grausam mit dem tatsächlichen Selbstmord von Art Garfunkels Partnerin Laurie Bird im Juni 1979.

Der heute so geläufigen Manier, in Filmen auf andere Filme zu referieren, begegnet man bei Nicolas Roeg noch nicht. Stattdessen fing seine Kamera die Malerei und Architektur der Vergangenheit sowie die Musiker des popkulturellen Mainstreams seiner Zeit ein. Ihre Die «Images» der Pop-Stars und die filmischen Imaginationen gingen ineinander über, beeinflussten sich wechselseitig.

Es ist erstaunlich, wie diese reziproke Beeinflussung mit einer oft bemerkten Eigenart von Nicolas Roegs Werk zusammenspielt. Immer wieder löst er die lineare Erzählung zugunsten der Hintergrundgeschichten der Figuren auf, die sich in ausschweifenden Rückblenden entfalten, und oftmals finden die verschiedenen, im Film etablierten Zeitebenen ihren Höhepunkt in Sequenzen, in denen sie ineinander übergehen, zerstieben, sich auflösen … die Intensitätsmomente der Filme: In ihnen implodiert nicht nur die Psyche des jeweiligen Protagonisten, sondern auch das Pop-Star-Image des entsprechenden Schauspielers: Es sind die in der gesellschaftlichen Bildwelt kursierenden Medienkörper von Mick Jagger, David Bowie und Art Garfunkel, deren Fragmentierung den Zuschauer*innen in diesen Szenen vor Augen geführt wird. Auch heute noch – womöglich heute erst recht – ist es spannend, das Dasein dieser Medienkörper in Nicolas Roegs Filmen zu verfolgen. Ihre Attraktionskraft kompensiert die langatmig-banalen Szenen, unter denen die Filme mitunter leiden. Sie wird nur verstärkt durch jene dokumentarische Tiefenschicht, die sich mit der Zeit in diesen Spielfilmen verfestigte, die fürs damalige Publikum unsichtbar bleiben musste und die wir heute entdecken können.

Wem derlei archäologische Spitzfindigkeiten kein Vergnügen bereiten, dem*der bleiben die Clockwork-Orange-artigen Gewaltorgien in «Performance» und die übersinnlichen Verstrickungen in «Don’t Look Now». Oder man kann über die technischen Zukunftsvisionen der 1970er-Jahre in «The Man Who Fell to Earth» schmunzeln und in «Bad Timing» den durch Hitchcock zu Glorie gebrachten Konflikt zwischen einem in Psychoanalyse Gelehrten und seiner unfreiwilligen Patientin gespannt mitverfolgen.

 

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