Ende August 2013 wurde Tatsache, was sich schon lange abgezeichnet hatte: Weitere 70,5 Prozent des Aktienkapitals der Ziegler Druck und Verlags AG sollten an den Tamedia-Konzern übergehen, der sich schon 2005 mit 20 Prozent beteiligt hatte. «Aus der Kooperation im Druckbereich ist eine Übernahme geworden. Im Lichte der dramatischen Entwicklungen auf dem Zeitungsmarkt gab es keine andere Wahl», schreibt Karl Lüönd, einer der wenigen unabhängigen Schwei-zer Medienspezialisten im Aufsatz «Warum es mit dem Landboten soweit gekommen ist» im Winterthurer Jahrbuch 2014.
Die Bekanntgabe des Verkaufs der Tageszeitung war ein Schock für die Winterthurer Medien-schaffenden. «Kauft Blocher den Landboten?», titelte die «Schweiz am Sonntag» am 21. April 2013 und sorgte damit für Schlagzeilen – und Kopfschütteln auf der Redaktion des Landboten. Nicht das Gerücht, dass Blocher die Zeitung kaufen wolle, sorgte für Gesprächsstoff, sondern die Tatsache, dass die Besitzerfamilie Ziegler unter Führung von Martin Bachem offenbar Verkaufsabsichten hegte. «Weil der Verkaufsprozess «unprofessionell und unstrukturiert» aufgegleist wurde und sich über zwei Jahre hinzog, sei Tamedia-Verleger Pietro Supino «nach dem ewigen Hin und Her der Kragen geplatzt, weshalb Bachem aus dem Verwaltungsrat zurücktreten musste», schrieb der Schweizer Journalist am 1. Juli 2013 unter Berufung auf einen Insider. Tatsächlich wurde Bachem am 26. April an der GV von Tamedia freundlich verabschiedet. In einer dürren Erklärung an die Leserschaft des Landboten gerichtet, erklärte er nach der GV lediglich, dass der Verwaltungsrat «verschiedene Handlungsoptionen für die Zeitperiode ab 2014 evaluiert» habe, im Bezug auf die Verkaufsabsichten der Familie sprach er von «Spekulationen und Gerüchten». Am 28. August 2013 war es dann offiziell: Tamedia kaufte den Landboten für 50 Millionen Franken.
Ein Brief, datiert auf «Ende September», an den Verwaltungsrat, widerspiegelt die Frustration und die Enttäuschung des Landbote-Personals: Seit Dezember 2011 habe die Besitzerfamilie «ihre ganze Energie darauf verwendet», die Firma «an den Meistbietenden zu veräussern», ohne darüber «offen und transparent» zu informieren. Alternativen seien gar nicht geprüft worden. «Sie haben den schnellsten privaten Gewinn über die langfristigen Interessen von Öffentlichkeit und Mitarbeitern gestellt», heisst es im Schreiben weiter. Vom finanziellen Zustand der Ziegler Druck und Verlags AG und «der Art und Weise Ihrer Geschäftsführung» habe die Belegschaft erst aus der Berichterstattung erfahren.
Kooperation, um zu überleben
Die Entwicklung des Landboten sei artentypisch für die mittlere schweizerische Regionalzeitung, welche die föderalistische Struktur unseres Landes abbilde. Diese sei die Grundlage für die viel gepriesene Medienvielfalt – und zugleich für deren grösstes Problem, die Enge der Märkte, schreibt Lüönd im Winterthurer Jahrbuch. 1836 wurde der Landbote aus politischer Motivation gegründet: Zunächst als liberales Wochenblatt der Zürcher Landschaft; später wurde er als Tageszeitung und als führendes Organ der demokratischen Bewegung weitergeführt, die das erwachende Selbstbewusst-sein der sich industrialisierenden Landschaft gegen-über dem Vormachtsanspruch der Stadt Zürich vertrat. (Mehr dazu beschreibt Colette Gradwohl im Aufsatz «Der Landbote als Spiegel der Welt und der Zeit» im Winterthurer Jahrbuch 2012). 1861 wurde Chefredaktor Salomon Bleuler auch zum Besitzer. Der Betrieb gelang 1886 an die Familie Ziegler, die seit 1798 eine Druckerei in Winterthur führte. Seither erging es dem Landboten wie vielen anderen Familienbetrieben. Mit jeder Generation vermehrte sich die Zahl der Miteigen-tümer (beim Landboten waren es zuletzt vierzig) – der direkte Bezug zur Branche ging mehr und mehr verloren. Als Aktionär stellt man sich dann natürlich die Frage, ob weiter in das kapitalintensive Zeitungs- und Druckgeschäft investiert oder der Besitz besser veräussert werden soll, solange er noch etwas wert ist.
Der Handel mit Tamedia schien 2005 vernünftig. Mit der Kapitalbeteiligung von 20 Prozent wurden damals auch zahlreiche Vereinbarungen mit dem Konzern beschlossen. «Kooperation – auch mit Konkurrenten – ist unter den im Zeitungswesen gegebenen Bedingungen eine der wichtigsten Überlebensstrategien», schreibt Lüönd. Der wichtigste Deal: Die Ziegler AG gab den Zeitungsdruck in ihrer Druckerei auf und vergab den Auftrag an Tamedia in Zürich. Konkret bedeutete dies, dass der Landbote in Zürich gedruckt wurde, im Gegenzug dafür verschiedene Tamedia-Zeitschriften wie «Das Magazin» und «Annabelle» in Winterthur. Als aber die Druckpreise in den Keller fielen, verlagerte Tamedia ihre Druckaufträge nach Deutsch-land. In der Folge geriet das Winterthurer Unternehmen unter Druck; die Druckerei schrieb hohe Verluste. Auch der von Ringier und NZZ aufgezogene Swissprinters-Verbund hat wegen des absurden internationalen Preiskampfes ganze Betriebe schliessen müssen.
Tamedia wollte den Landboten gar nicht
Im Deal von 2005 wurde auch ein Vorverkaufsrecht definiert, im Fall, dass irgendwann einmal die restlichen 80 Prozent der Ziegler-Aktien zum Verkauf stehen sollten. Doch eigentlich wollte Tamedia den Landboten gar nicht kaufen. Verleger Supino betonte mehrmals, dass man quasi gezwungen worden sei, um die Übernahme durch Konkurrenten zu verhindern. Wie der «Schweizer Journalist» schreibt, bestand sogar die Ab-sicht, nach Ausübung des Vorverkaufsrechts durch Tamedia den Landboten an den SVP-Milliardär Blocher weiterzuverkaufen. Doch die Verhandlungen scheiterten an den unterschiedlichen Preisvorstellungen. Die NZZ wäre bereits gewesen, für die Ziegler Druck und Verlags AG und ihre Immobilien 49,6 Millionen zu zahlen. Sie hätte dann den Landboten mit einer Abo-auflage von 27'900 Exemplaren zum St. Galler Tagblatt (Abo-Auflage 104'400) geschlagen und Synergien ge-nutzt. Es sei nicht Machthunger, sondern der «schlichte Zwang, die Investition von 2005 und die Machtposition bei den Zürcher Landzeitungen zu schützen», die zum Kauf führte, schreibt Lüönd. Die 20-Prozent-Beteiligung hätte durchaus genügt, um den Verbund der Zürcher Landzeitungen (mit Zürichsee-Zeitung, Zürcher Oberländer und Zürcher Unterländer) aufrechtzuerhalten. Interessant sei aber, dass zwei Wochen vor der Bekanntgabe der Übernahme die Nachricht verbreitet wurde, ab 2014 würden die Verlagshäuser Ziegler und St. Galler Tagblatt (NZZ-Konzern) im nationalen und regionalen Werbemarkt zusammenarbeiten. Damit wäre das Konstrukt der Zürcher Land-zeitungen entscheidend geschwächt worden, so Lüönd. Ein Druckmittel der NZZ im Powerplay? Mit der Übernahme des Landboten behält Tamedia die Lufthoheit über die Anzeigenpreise im stärksten Wirtschaftsgebiet der Schweiz. Spätestens seit 2001 die Anzeigeerlöse der schweizerischen Tageszeitungen um mehr als 50 Prozent eingebrochen sind, ist klar, «dass die mittelgrossen Blätter in der Todeszone liegen, während die Kleinen mit ihren stabilen lokalen Leser- und Anzeigenmärkten und die ganz Grossen dank Kapitalkraft und Diversifikation überleben», schreibt Lüönd in seinem Aufsatz. Im Mittelland sind die einst selbständigen Einheiten Aargauer Tagblatt, Badener Tagblatt, Solothurner Zeitung und Basellandschaftliche Zeitung im AZ-Verbund zusammengeschlossen worden. Oltener Tagblatt und Zofinger Tagblatt sind betrieblich eben-falls dort integriert, juristisch aber noch selbstständig. Die Thurgauer Zeitung, die Appenzeller Zeitung und andere einst autonome Ostschweizer Titel sind beim St. Galler Tagblatt angedockt, das zum NZZ-Konzern gehört wie auch die Neue Luzerner Zeitung, die sämtliche Zeitungen in der Zentralschweiz kontrolliert. Daneben gibt es noch den Südostschweiz-Verbund. Selbstständig sind noch das Bieler Tagblatt, die Schaffhauser Nachrichten und die Freiburger Nachrichten.
Abbau von 25 Vollzeitstellen
Der Verkauf des Landboten war also die logische Konsequenz der hohen Verluste der Druckerei und des Ein-bruchs bei den Anzeigenerlösen. Tamedia kann oder will allerdings die Verluste nicht mit ihren eigenen Geldreserven tragen. Obwohl Tamedia-Verleger Supino noch im Herbst 2013 betonte, dass es «kaum Entlassungen» geben werde, liess die geplante Übernahme des Mantelteils der «Berner Zeitung» bereits erahnen, was im Januar 2014 Realität werden sollte. Kaum war der Landbote offiziell verkauft, sollte eine Reorganisation der Zürcher Regionalzeitungen insgesamt 25 Stellen einsparen. Die Chefredakteurin des Landboten, Colette Gradwohl, war nicht bereit, diese Umstrukturierung mitzumachen und trat «aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen» zurück. Weitere Redakteurinnen und Redakteure taten es ihr gleich, freiwillig. Schliesslich musste Tamedia «nur» noch sieben Personen entlassen und vier weitere frühpensionieren.
Unternehmenssprecher Christoph Zimmer sah das als Erfolg: «Wir wollten die Zahl der Entlassungen so stark wie möglich reduzieren. Das ist uns gelungen.» Zimmer sprach zudem von der Tamedia AG als einer «verantwortungsvollen Arbeitgeberin», weil sie im Hinblick auf den Abbau von 25 Vollzeitstellen einen begleitenden Sozialplan präsentiert hat. Die Personal-kommissionen der einzelnen Redaktionen der vier betroffenen Zürcher Regionalzeitungen lehnten den Sozialplan ab. In mehreren Protesten von Mitarbeitenden wurde er gar als «Asozial-Plan» bezeichnet – ohne Erfolg: Die Verhandlungen für einen besseren Sozialplan scheiterten. Die Reorganisation ist inzwischen Tatsache: Seit dem 3. Juni erscheint der Landbote im Layout der Berner Zeitung.
Für die Leserschaft ändert nichts
Doch was bedeutet es nun für Winterthur, dass der Landbote von den TA-Medien übernommen wurde? «Für die Leserinnen und Leser ändert sich mit der Übernahme wenig», sagt Nick Lüthi, Medienjournalist und Dozent an der ZHAW. Mit der angekündigten Kooperation mit der Berner Zeitung bei der Inland- und Auslandberichterstattung könne das Publikum sogar profitieren. Durch die Entlastung könne sich die Redaktion auf die Lokalberichterstattung konzentrieren, die ja auch ab Juni zuvorderst im Blatt stattfinden wird. «Der Landbote fokussiert damit auf sein Kerngeschäft, dem Geschehen in Winterthur und Umgebung», sagt Lüthi. Auch Lüönd sieht die Erwartungen der Kundschaft erfüllt, solange das Produkt in Ordnung ist. «An der Übernahme durch Tamedia kann man durchaus positiv sehen, dass der Landbote fortan nicht mehr von divergierenden Interessen von 40 Privataktionären abhängig ist, sondern von einem börsennotierten und rational geführten Konzern nach berechenbaren Kriterien geführt wird, der auch über die Mittel verfügt, um fällige Reformen über längere Zeit durchzuhalten», lautet seine Antwort. Für die Zukunft der Printmedien sieht Lüönd das Problem der Finanzierbarkeit von qualifiziertem Journalismus auf lokaler Ebene. Die grösste Gefahr für den Printjournalismus liege aber darin, dass die Schere zwischen unabhängig sein sollenden Redaktionen und der Organisationskommunikation, kurz PR, immer mehr auseinanderklaffe. «Die Redaktionen werden bis aufs Zahnfleisch heruntergespart, während die Firmen, Behörden, Institutionen in allen Grössenordnungen mit ihren Informationsbeauftragten, Mediensprechern, Fassadenreinigern, usw. personell und materiell immer mehr aufrüsten», sagt Lüönd. Es sei wie im Gastgewerbe: «Wenn es nicht mehr rentiert, das Gemüse selbst zu rüsten, wird eben «Convenience Food» aus fremden Quellen übernommen. Dieser Trend ist schon heute weiter fortgeschritten, als dem zahlenden Abonnenten lieb ist», so die Einschätzung des Medienspezialisten. Bleibt also zu hoffen, dass Tamedia dem Landboten gewährt, wenigstens im Lokaljournalismus unabhängig bleiben zu können.
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Der Landbote war in seiner 178-jährigen Geschichte nicht immer die einzige Tageszeitung in der Stadt Winterthur. Von 1869 bis 2002 existierte parallel die Weinländer Zeitung. 1897 wurde der Bezirksanzeiger gegründet, der zusammen mit dem Anzeiger von Töss und dem Anzeiger von Seen ab 1903 in Arbeiterzei tung umbenannt wurde. Ab 1997 hiess die Zeitung Stadtblatt, bis sie 2008 eingestellt wurde. 1907 wurde die Winterthurer Volkszeitung gegründet und 1921 in Hochwacht umbenannt. 1971 starb die Tageszeitung der CVP als erste der vier Tageszeitungen. Daneben gibt es seit 1925 die Gratiszeitung Stadtanzeiger. Von 1977 bis 2002 erschien zudem auch die Winterthurer Woche (WiWo). Seit 2002 wird neben dem Stadtanzeiger einmal in der Woche die Winterthurer Zeitung in alle Haushalte verteilt. In den Achzigern kamen die Quartierzeitungen auf. Seit 1984 hat Winterthur ein Radio: Das Radio Eulach wurde 1997 in Radio Top unbenannt. Radio Stadtfilter ist seit 2009 auf Sendung. Und mit dem Coucou hat die Eulachstadt seit 2013 ausserdem ein unabhängiges Kulturmagazin.