Über das Essen der Zukunft

Faule Kartoffeln essen, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen? Das Gewerbemuseum zeigt in der Ausstellung «Food-Revolution 5.0», wie Design Food Waste verringern kann.

Hyänen besitzen ein Darmbakterium, das ihnen ermöglicht, verdorbenes Essen zu verdauen. Ein solches Bakterium bräuchte auch der Mensch, dachte sich Paul Gong, der nun dieser Überlegung in seinem Projekt «Human Hyena» nachgeht. Auch wenn die Idee noch nicht umsetzbar ist, hat der Designer bereits drei Tools entworfen, die den Geruchs- und Geschmackssinn verändern und unangenehme Gerüche neutralisieren sollen.

«Human Hyena» ist eine von mehreren Arbeiten gegen Essensverschwendung, auch Food Waste genannt, die bis Ende April in der Ausstellung «Food Revolution 5.0» im Gewerbemuseum zu sehen sind. Die Schau entstand in Kooperation mit dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und rückt nun, nach einem Zwischenstopp in Berlin, auch in Winterthur Fragen zu Ernährungsmodellen der Zukunft in den Fokus.

Der Titel der Ausstellung kündet die fünfte Revolution an. «Vier Ereignisse in der Geschichte haben die Industrie bereits massgebend verändert», erklärt Mario Pellin, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Gewerbemuseum. «Nach der Erfindung der Druckerpresse, gefolgt von der Dampfmaschine hin zum Zeitalter der Digitalisierung, befinden wir uns bereits in virtuellen Welten.» Wird die fünfte Revolution nun also die Nahrungsmittelindustrie betreffen? Wo stehen wir in Bezug auf unsere Ernährung und Esskultur? Und sollen wir Bio aus Peru oder Nicht-Bio vom Bauernhof nebenan kaufen? Fragen über Fragen, die in der Ausstellung zwar nicht eindeutig beantwortet, aber auf verschiedene Weisen untersucht werden.

«Food Revolution 5.0» ist in fünf Bereiche aufgeteilt, die von Produktion über Handel hin zu Verarbeitung und Esskultur verschiedenste Themen beleuchten. Der fünfte Teil, die sogenannte «Plattform», zeigt in Form von Text und Bild eine Sammlung unterschiedlicher Projekte, die sich mit dem nachhaltigen Umgang von Ressourcen und Lebensmitteln auseinandersetzen.

Für Mario Pellin stellt der unbedachte Verbrauch von Wasserressourcen ein grosses Problem dar. «Während die Toilettenspülung eigentlich mit Regenwasser betrieben werden könnte, verwenden wir in der Schweiz Trinkwasser dafür und importieren gleichzeitig 410 Millionen Liter Mineralwasser pro Jahr», gibt er zu bedenken. Im ersten Teil der Ausstellung werden deshalb auch zu dieser Problematik Projekte präsentiert. Das Gewerbemuseum legt den Schwerpunkt dabei auf Kreisläufe, wie sie zum Beispiel vom Quartier Soubeyran in Genf angewendet werden. Die Siedlungskooperative besitzt eine interne Kläranlage: Das heisst, dass das Abwasser nicht durch die Kanalisation der Stadt abfliesst, sondern gleich vor Ort gereinigt wird. Eine Grube zwischen den Häusern, behaust von Kompostwürmern und bedeckt mit Stroh, nimmt Abwasser und Exkremente der rund 100 Anwohner*innen auf. Die Würmer transformieren Fäkalien zu fruchtbarer Komposterde, die für die Anpflanzung im Gemüsebeet verwendet werden kann. Alles, was flüssig ist, sickert durch eine mineralische Filterschicht in den Boden. Dort wird das Wasser in einer Zisterne gesammelt. Der Kreislauf schliesst sich, indem das Wasser zurück in die Haushalte gepumpt und erneut für die Toilettenspülung verwendet wird.

 

117 Kilogramm pro Person

 

Nicht nur am stillen Örtchen wird Wasser unbewusst vergeudet. Laut dem WWF werden in der Schweiz jedes Jahr 117 Kilogramm Lebensmittel pro Person weggeworfen, für deren Produktion jährlich 600 Liter Wasser benötigt wurden. Dies ist auch auf globaler Ebene ein Problem; auf der Erde leben 7,32 Milliarden Menschen, für 12 Milliarden werden Lebensmittel produziert und dennoch hungert rund eine Milliarde Menschen. Solche Zahlen aus den Statistiken von WWF Schweiz werden in der Ausstellung auf Plakaten gezeigt und lassen darauf schliessen, dass ein grosser Teil der Nahrungsmittel unangetastet in der Mülltonne landet. Mario Pellin bemerkt dazu: «Der Fehler liegt nicht nur bei den Konsument*innen;bereits bei der Ernte geht ein Teil verloren, danach wird von den Produzenten aussortiert. Des Weiteren entsorgen die Läden grosse Mengen an Waren nach deren Ablaufdatum und auch der Überschuss an Essen in Gastronomiebetrieben landet grösstenteils im Abfalleimer».

Um der Verschwendung von Lebensmitteln vorzubeugen, hat die Produktdesignerin Carolien Niebling für alte Konservierungsmethoden neue Geräte entworfen. Der Dörrex wird zum Beispiel durch eine Apparatur ersetzt, welche Silikat-Kügelchen enthält, die den Apfelringen die Feuchtigkeit entziehen. Zu ihren Entwürfen gehört ebenfalls eine hochmoderne Fisch-Trocknungsanlage für das eigene Zuhause. Neben ihren Alltagsdesignobjekten wird in der Ausstellung «Food Revolution 5.0» ein von Carolien Niebling gestaltetes Buch namens «The Sausage Of The Future» vorgestellt. Auch hier geht es um eine Art von Konservierung – nämlich in Form von Wurst. Von Grafiken begleitete Rezepte bieten Alternativen zum klassischen Cervelat, die weit über Tofu-Bratlinge hinausgehen und zeigen, was man alles in eine solche Form reinpressen könnte.

Ausserhalb der Museumswände werden im Zusammenhang mit der Ausstellung Projekte durchgeführt. So bepflanzt Stadtgrün Winterthur dieses Jahr in Zusammenarbeit mit dem Gewerbemuseum das Beet im öffentlichen Stadtpark zum ersten Mal mit Gemüse wie Federkohl, Winterrettich oder Rosenkohl. «Dies soll die Leute dafür sensibilisieren, dass in der Schweiz auch im Winter Gemüse wächst», sagt Mario Pellin. Weitere Veranstaltungen im Rahmenprogramm der Ausstellung «Food Revolution 5.0» lehren ihren Teilnehmern*innen, dass Insekten, Algen und Blut unsere Zukunftsalternativen sein könnten oder dass Kochen ohne Hitze, sondern durch Fermentation möglich ist.

Und im Allgemeinen, ohne faule Kartoffeln
essen zu müssen oder Würste aus Winterrettich zu servieren, könnte man sich auch fragen, ob ein vierter Nachtisch beim Weihnachtsmahl wirklich nötig ist. Denn meist bleiben Zimtsterne so lange im Küchenschrank, bis sie beim Frühlingsputz schliesslich im Abfalleimer landen, um dem Schoggihasen Platz zu machen.

 

Food Revolution 5.0

Vernissage, 1. Dezember, 16 Uhr
2.Dezember bis 28. April

Eintritt: CHF 12/8

Gewerbemuseum

Kirchplatz 14

www.gewerbemuseum.ch

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