Das Kino ist tot – es lebe das Kino

Das Kino ist tot – es lebe das Kino

Nicht gerade rosig sieht es in der Kinobranche aus, der Druck kommt von allen Seiten. Ist das Kino dennoch zu retten, oder wird es dereinst sterben?

Auch das Kino hatte seine goldene Ära. Lichtspielhaus hiess es damals in den 1930er-Jahren, einer Zeit, als palastartige Riesenbauten errichtet wurden und die Menschen zu Tausenden zusammenkamen, um gemeinsam denselben Film zu schauen. Längst sind diese glorreichen Zeiten vorbei, und das Kino hat seinen Platz mehr und mehr mit anderen Medien und Kulturstätten teilen müssen.

Vergangenen Sommer kamen rekordverdächtig viele Hitzetage dazu. «Miserables Kinojahr lässt die Branche wehklagen», titelte der Landbote, «Die Nervosität in der Branche ist gestiegen», die NZZ. Spätestens jetzt stellt sich die Frage, wie es dem Kino wirklich geht und ob es Zukunft hat.

 

«Das Kino wurde schon oft totgesagt»

Der Dachverband der Schweizer Kino- und Filmverleihunternehmen ProCinema sammelt und analysiert seit 1995 Daten der Schweizer Kinos. «Im Moment geht es in der Tat ein wenig bergab», sagt René Gerber, Generalsekretär des Verbands. Das sei nun schon seit drei Jahren so. Die derzeitige Lage vergleicht er mit Krisen, wie sie die Kinobranche schon viele Male durchgestanden hat. «Das Kino wurde schon oft totgesagt», sagt René Gerber. Bereits der Fernseher brachte die Kinolandschaft ins Wanken. Dann kamen die VHS-Kassetten, danach die DVDs und mit der Digitalisierung die Streaming-Dienste. Natürlich sei Netflix eine mögliche Ursache für die jetzige Krise, so der Geschäftsleiter von ProCinema. Doch man sollte nicht vergessen, dass das Kino schon immer ein zyklisches Geschäft gewesen sei. Schwankungen innerhalb eines Jahres seien daher normal.

Neben Netflix sieht René Gerber auch die wachsende Konkurrenz von kulturellen Angeboten als eine Herausforderung. 1995 seien noch viel weniger Alternativen zum Kino vorhanden gewesen als heute. Der typische Spruch «Was machen wir am Wochenende? Wir gehen ins Kino!», sei längst nicht mehr so gebräuchlich. Es gibt aber noch etwas anderes, was ihn beunruhigt. Laut René Gerber sind die US-Produktionen bei uns in Europa teilweise nicht mehr so erfolgreich wie früher. Die amerikanische Filmindustrie konzentriere sich verstärkt auf die aufstrebenden Märkte in China, Osteuropa oder Südamerika. «Viele amerikanische Filmunternehmen versuchen den Geschmack der Chinesen*innen zu treffen», sagt er. In China ständen Action Movies zurzeit hoch im Kurs – in Europa und den USA hingegen Komödien, Dramen und Animationsfilme.

 

Hoffnungsschimmer in Winterthur

Die beiden Multiplex-Kinos in Winterthur bestätigen auf Anfrage den Abwärtstrend. KITAG, zu welcher auch das Kino Maxx – mit insgesamt sechs Sälen und 1‘046 Plätzen – gehört, schreibt per E-Mail: «Die Fussball-WM und der Rekordhitzesommer waren natürlich Herausforderungen, die nicht förderlich waren für die Kinobranche.» Und Christian Mathys, Kinobetreiber des Kiwi Centers mit elf Sälen und 1‘204 Plätzen sowie dem Kiwi Loge mit drei Sälen und 128 Plätzen, sagt: «Es wäre komisch, wenn wir die einzigen wären, bei denen es rosig gelaufen ist.» Seine Bilanz decke sich in etwa mit der gesamtschweizerischen Rechnung: 18 Prozent im Minus gegenüber dem Vorjahr. Und schon 2017 sei kein gutes Jahr gewesen. Heisse Sommer alleine hätten einem Kinojahr aber noch nie zugesetzt. «Was einem das Jahr kaputt macht, ist, wenn der Sommer zu früh kommt und zu spät geht», sagt Christian Mathys. In den letzten Jahren sei genau das der Fall gewesen. Das lassen wir nicht gelten: Andernorts, etwa in Amerika, strömen gerade wegen heisser Temperaturen mehr Menschen in die klimatisierten Kinos. Um das zu sehen, müsse man nicht einmal nach Übersee, bemerkt Christian Mathys, auch in Deutschland sei das Kinogeschäft besser gelaufen als bei uns. Also liegt es an der Schweizer Kultur? Ja, sagt er, die Schweizer*innen hätten in der Tat eine andere Mentalität. Bei schönem Wetter ziehe es sie eben nach draussen anstatt ins Kino.

Und wie geht es den zwei Programmkinos von Winterthur? Das ältere von beiden, das Kino Nische, ist seit 1996 in Betrieb und zeigt jeden Sonntag einen Film. Anstelle von Kinosesseln stehen dort Sofas, welche für maximal 35 Personen Platz bieten. Bei der Frage, wie es denn geschäftlich laufe, hält Sarah Stutte, die Presseverantwortliche des Kinos, kurz inne. Die Besucher*innenzahlen würden innerhalb eines Jahres stark schwanken, sagt sie. An einem Sonntag seien es acht bis zehn Zuschauer*innen und am nächsten sei das Kino «pumpenvoll». «Wir können nicht wirklich eruieren, was die Leute ins Nische lockt und was sie davon abhält.» Das «Bäumli», ein vom Nische alljährlich veranstaltetes Openair-Kino, sei immer sehr gut besucht.

Auch Liliane Hollinger, Programmmacherin des Cameo, wirkt erstaunlich gelassen. Das Kino am Lagerplatz wurde erst vor drei Jahren eröffnet und ist somit das jüngste der Winterthurer Kinos. Es verfügt über insgesamt 84 Sitzplätze und veranstaltet pro Woche rund zehn Vorstellungen. Das Cameo hat die Zuschauer*innenzahlen vom Vorjahr halten können. «Es ist interessant, dass überall von der grossen Kinokrise zu lesen ist», sagt Liliane Hollinger. «Mir wäre lieber, die Medien würden mehr über das Filmangebot schreiben.» Aber klar, die Neuigkeiten aus der Kinobranche würden auf jeden Fall wachrütteln.

 

«Also ich glaube ans Kino»

Ist das Cameo vielleicht ein Hoffnungsschimmer am düsteren Kinohimmel? Wird das Kino weiterleben? Und wenn ja, wie sollte es in Zukunft aussehen? René Gerber zeigt sich zuversichtlich: «Also ich glaube ans Kino.» Und er ist sich sicher, dass er nicht der einzige ist, der das tut. «Die Investitionsfreudigkeit der Betreiber*innen zeigt, dass auch sie an die Zukunft des Kinos glauben», fügt er an. Lilian Hollinger ist ebenfalls optimistisch: «Wir hätten ja nicht vor drei Jahren das Cameo eröffnet, würden wir nicht daran glauben.» Und wie sieht für sie das Kino der Zukunft aus? Es müsse weiterhin Platz für kommerzielle und alternative Angebote geben, da sie jeweils ein anderes Publikum ansprächen, so Liliane Hollinger. Da vor allem Zuschauer*innen der Programmkinos stark an Kultur interessiert seien, werde es gerade in diesem Punkt immer wichtiger, einen Mehrwert zu bieten. «Ich glaube, das ist die Herausforderung: die Filme zu begleiten, indem man den Leuten – etwa durch Podiumsdiskussionen – die Möglichkeit gibt, mehr über den Entstehungsprozess des Films oder das Thema zu erfahren.» Auch die Filmbranche werde sich womöglich verändern. «Vielleicht gibt es dann Filme, die speziell für das Kino gemacht und solche, die nur auf ‹Video-on-Demand›-Plattformen erhältlich sind», sagt sie. Dass der Film sich wandeln wird, steht auch für Christian Mathys ausser Frage. «Wie will der*die Kunde*in künftig konsumieren, und ist ein Film von 120 bis 150 Minuten noch zeitgemäss?» Gerade die Spielzeit sei ein wichtiger Aspekt für den aktuellen Erfolg von Serien. Im Schnitt würden diese nur 45 Minuten dauern. Auch die Smartphone-Nutzung und das damit verbundene Multitasking verändere die Gewohnheiten. «Ist es nur ein Trend oder wird sich das irgendwie in die Gesellschaft einmeisseln?», fragt er sich.

Die Kinokette KITAG setzt für die Zukunft auf Entertainment: «In unseren Kinos finden sich vermehrt weitere Angebote unter einem Dach. Dazu zählen etwa zusätzliche Gastronomie- und Unterhaltungsangebote.» Christian Mathys schliesst sich dem an: Das Kino der Zukunft werde ein Eventcenter sein, wo die Infrastruktur, neben dem Kernbusiness Kino, auch für Anlässe wie Hochzeiten oder den Gaming-Bereich genutzt werden könne. Schon jetzt vermiete er die Säle untertags. Dies sei, angesichts der drei schwachen Kinojahre, zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Muss das Kino also eines Tages umbenannt werden? «Ja, vielleicht», antwortet er. Sarah Stutte vom Nische jedoch prophezeit dem Kino etwas ganz anderes: «Das Kino der Zukunft ist für mich das, was es einmal gewesen ist: ein gesellschaftliches Erlebnis. Etwas, was man mit anderen teilen kann». Letztlich ist es vielleicht gerade das, was dem Kino eine Zukunft verspricht: die Lust am Zusammensein.

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