Weisse, unbemalte Leinwände in unterschiedlichen Formaten konnten ab 1990, als das Projekt «Gebrauchsbilder» startete, in Galerien erworben werden. Dazu gab es eine schriftliche Handlungsanleitung in Form eines Zertifikats, laut derer das Bild während eines eigens bestimmten Zeitraums an einem selbst ausgewählten Ort aufbewahrt werden sollte – und dies ohne konservatorischen Schutz! Als Nachweis ihrer gemeinsamen Urheberschaft setzten die deutsche Künstlerin Karin Sander (*1957 in Bensberg) sowie die Käuferin oder der Käufer ihre Unterschriften auf dasselbe Papier. Bis heute sind dabei weit über 100 Werke entstanden, die mit ihren dezenten Spuren von Staub, Öl, Schimmel, Dreck, Farbe und weiteren Fährten auf ihren vorübergehenden Aufenthaltsort verweisen und diesen abbilden.
Partizipation – Ortsspezifität – Zufall
Diese «Gebrauchsbilder», von denen einige an der Ausstellung «Karin Sander» im Kunst Museum Winterthur anzutreffen sind, zeigen sehr gut die künstlerische Praxis und Idee der Künstlerin auf. Sander hinterfragt den traditionellen Kunstbetrieb: die Autorität der Künstlerinnen und Künstler, den Wert eines Kunstobjekts, indem sie es in ein sich wandelndes und zufälliges Ereignis umfunktioniert, und schliesslich die Institution selbst sowie deren teure und aufwändige Konservierungsmassnahmen, die sie hier klar missachtet.
Eine ähnliche Werkreihe mit dem Namen «Mailed Paintings» entstand 2004, von der ebenfalls eine Auswahl an Bildern in Winterthur gezeigt wird. Unverpackt schickte die Künstlerin weisse, unbemalte Leinwände an Ausstellungen in aller Welt, die so schutzlos ihrer Reise ausgeliefert waren und die Spuren ihres Weges und ihrer Stationen dokumentierten und «aufzeichneten».
Ort und Raum als Material
Trotz der Parallelen dieser beiden Werkgruppen ist es nicht ein Medium oder eine Technik, die das Werk Sanders bestimmen. Vorwiegend sind es Orte, die Institution, deren Geschichte und Architektur sowie der Kontext der Ausstellung, die ihren künstlerischen Eingriff entscheidend beeinflussen. Die Künstlerin beobachtet und analysiert Räumlichkeiten genau, verändert sie und deren Wahrnehmung auf subtile Weise – als Material dazu dient ihr der Raum selbst. Bewusst intervenierte sie auch schon an Örtlichkeiten, die nicht für die Präsentation von Kunst konzipiert sind: Eingangshallen, Korridore, gar Toiletten von Museen hat sie schon bespielt.
In Winterthur wird Sander im Erweiterungsbau durch kleinere und grössere Eingriffe neue Räume schaffen und sich mit deren institutionellen Funktion auseinandersetzen. Aber auch vor der bestehenden Sammlung des Kunst Museums macht sie keinen Halt:
«Kitchen Pieces», eine Arbeit, die Sander 2012 erstmals ausstellte, besteht aus realen Gemüsen und Früchten, die sie mit Nägeln an weisse Museumswände befestigte und durch die Hängung und den spezifischen Kontext in Kunstobjekte verwandelte. – Klar ersichtlich wird hier die Wirkungsmacht kultureller Konventionen. Umgekehrt bewirken die aufgewerteten Alltagsgegenstände, dass die traditionelle Funktion des Ausstellungsraums und seine Identität befragt werden. Ein spannender Dialog entsteht nun in Winterthur, wo sie Salat, Lauch oder Äpfel zwischen Werken aus der Sammlung platziert.
Ebenfalls an der Ausstellung antreffen wird man die x-fach verkleinerten «3D-Bodyscans», welche die Künstlerin Ende der 1990er-Jahre von 981 Museumsbesuchenden drucken liess. Sander hat bei dieser Arbeit eine Umkehrung vorgenommen, indem sie die Mitakteure des Kunstmarktes selbst zu Kunstobjekten mit einem Marktwert erkor. Man darf gespannt sein, wie sie diese in den Räumlichkeiten des Winterthurer Museums inszenieren wird und ob die Miniaturen wiederum zu Akteuren erweckt werden. Denn so erscheinen anstelle eines traditionellen Ausstellungskatalogs zwei Kriminalromane – und wer weiss, welche Rolle die Besucherinnen und Besucher darin einnehmen werden?
Karin Sander
1.September bis 18. November
Eintritt: CHF 19/15
Kunst Museum Winterthur
Beim Stadthaus
Museumsstrasse 52
www.kmw.ch