Erinnerungen an fünf Jahre Coucou

Ausprobieren und scheitern dürfen. Das ist der Grundsatz, den das Kulturmagazin Coucou als Plattform seit fünf Jahren verfolgt. Der Versuch eines Resümees.

«Kuckuck trifft Kuckuck – ein Theaterstück», so lautet mein Arbeitstitel für diesen Artikel. Ich stelle mir vor, wie sich Kuckuck §1 und Kuckuck §60 auf ein Bier treffen und über den Inhalt der jeweiligen Coucou-Ausgabe unterhalten. §1 fragt: «Na, ist Winterthur immer noch tot?» – §60 blickt irritiert und entgegnet: «Tot? Wie kommst du denn darauf?» – «Na, ich hab gelesen, in Winterthur sei nichts los. Und alle jammern.» – «Ach so, da hat sich seit 2012 einiges verändert.» – «Ah ja, was denn?» – «Vieles!», sagt Kuckuck §60 und beginnt zu erzählen. Kurz darauf stossen zwei weitere Kuckucke dazu und berichten aus «ihrer» Ausgabe. – Ob eine von Vögeln erzählte Stadtchronik der letzten fünf Jahre amüsant ist? Hmm, wahrscheinlich wird der Text zu abstrakt für die Leserinnen und Leser, denke ich mir. Und der Witz verliert sich zu schnell – ach, schade...

Nächster Versuch: Eine Ereignisgeschichte. Mitte Dezember 2010, abends, in einem der Häuser an der Steinberggasse. Es ist kalt, Zigarettenqualm liegt in der Luft. Ich sitze an einem runden Tisch in der Wohnung von Rudolf Gehring. Martin Wilhelm und Miguel Garcia diskutieren über die Statuten für die Gründung des Vereins «Kulturmagazin für Winterthur». «Wer übernimmt das Präsidium?», fragt einer der drei Herren in die Runde. «Die Jüngste!», lautet die Antwort – einstimmig. Der Verein ist gegründet. Die Mitglieder sind ein Programmmacher, ein Radio-Redaktor, ein Historiker und eine freischaffende Journalistin. Davon, wie viel Arbeit es bedeutet, monatlich ein Magazin herauszugeben, haben wir keine Vorstellung. Stattdessen grosse Lust, etwas Neues anzureissen und den bisherigen Medien etwas entgegenzusetzen, das jung, frisch, kritisch und innovativ ist. Der erste Stolperstein begegnet uns allerdings bereits beim Versuch, das Gründungsprotokoll und die Statuten auszudrucken: Ruedi hat zwar einen Drucker, aber kein Papier. Die Blätter eines A4-Notizblocks mit blauen Kästchen dienen als Ersatz. Ein paar Tage später, als ich das Konto für den Verein «Kulturmagazin für Winterthur» eröffnen will, wird mich die Frau am Postschalter amüsiert auf das Papier ansprechen...

Zwei Jahre lang brüteten wir, bis der Vogel namens «Coucou» schlüpfte. Dass Winterthur mit seiner lebendigen und vielfältigen Kulturlandschaft ein Magazin braucht, war uns von Anfang an klar. Doch wie soll es aussehen? Was soll darin stehen? Wer soll es finanzieren? Wer soll es lesen? Und vor allem: Wie soll es heissen? Die Fragen sorgten für unzählige Diskussionen. Während die drei Herren aus dem Gründungsteam nach und nach andere berufliche Pläne verfolgten, stiessen nach ein paar Monaten Melanie Staub (Verlagsleiterin des Coucou) und Jigme Garne (heute Leiter des Reporterpools beim Landbote) zum Team. Der Weg von der simplen Einsicht, dass wir ein Kultur- und Stadtmagazin für Winterthur herausgeben wollten, bis zur komplizierten und unberechenbaren Umsetzung war lange, kurvig und holprig. Die Konzeptarbeit verbinde ich in meiner Erinnerung vor allem mit Post-It-Zetteln und Pizza-Essen in Melanies oder Jigmes Küche. Was mit all den Notizblättern passiert ist, vermag ich nicht mehr zu rekonstruieren. Legendär ist aber vor allem ein Abend im Schäfli, als wir auf einem weissen Papiertischtuch über 200 Namen für das Magazin sammelten: «Bento», «Flurfunk», «Metronom», «Kuck», «Raster», «Schnipsel», «Stadtstreuer», «Souffleuse», bis hin zu «Bermuda», «Pankraz» oder «Weniwidiwinti».

Mit Roland Krauer und Judith Wolf von Bürofax fanden wir im Frühling 2012 ein hervorragendes Grafik-Team, ohne welches das Coucou heute wohl kaum so stilvoll daherkommen würde. Die Schrift mit dem Rhombus als i-Punkt entwarfen sie extra fürs Magazin. Mit dem talentierten Webprogrammierer Taylan Baslangic dachten wir gar eine Medien-Revolution an: Er entwickelte ein Tool, mit dem übers Web PDFs generiert werden können. Das Coucou layouten wir so seit Ausgabe §5 selbst ohne Hilfe von Grafikprogrammen. Allerdings fehlte bisher das Budget, um das Tool so zu optimieren, dass Menschen ohne Geduld nicht einen Nervenzusammenbruch beim Texte-Abfüllen erleiden... Immerhin: Die Website wird nun nach fünf Jahren auf anfangs 2018 erneuert werden und somit endlich mobile responsive! Vorfreude! Aber ich schweife ab...

Unter dem Slogan «Coucou rufts aus Winterthur» starteten wir im Herbst 2012 ein Crowdfunding, um den Druck der ersten Ausgabe zu finanzieren. Das Echo auf unsere Rufe war überwältigend. Zum einen gewannen wir innert kürzester Zeit viele Leserinnen und Leser, zum anderen stiessen bereits im ersten Jahr viele motivierte Menschen zum Coucou-Team hinzu. Silvan Gisler beispielsweise, der vier Jahre lang die Co-Redaktionsleitung inne hatte. Katharina Flieger, die Rubriken wie «Der Balken in meinem Auge», eine Interview-Reihe in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste, lancierte. Fotograf Fabian Häfeli, der fünf Jahre lang die Bildredaktion leitete und das Erscheinungsbild des Coucou wesentlich mitprägte. Nun hat er die Verantwortung über den Bildinhalt an die Fotografinnen Miriam Rutherfoord und Joke Schmidt abgegeben. Der Platz, um alle namentlich aufzuzählen, reicht hier nicht. An jeder Ausgabe sind circa 60 Personen beteiligt, weshalb ich hier diejenigen vorstellen möchte, die vor allem im Hintergrund arbeiten: Dennis Amstutz und Irene Meier sind unsere Experten in Lithografie, das heisst sie bearbeiten jedes einzelne Bild, damit es im Druck nicht zu grün oder zu rot wird. Fleissarbeit leistet auch das Kalender-Team um Bettina Baumann, Ilaria Gandossi, Barbara Gisler, Konrad Jacobs, Mine Hofstetter, Kathrin Näf und Bettina Winkler. Sie erfassen jeden Monat sämtliche kulturellen Veranstaltungen in dieser Stadt – dabei ist es nicht selbstverständlich, mit welcher Zuverlässig- und Genauigkeit sie sich darum kümmern! Das Coucou wäre wohl kaum lesenswert, wenn es kein so zuverlässiges und sprachlich versiertes Korrektorats-Team hätte: Franca Bernhart, Ramona Früh, Gregoire Guisolan, Caroline Heuberger und Julia Toggenburger korrigieren seit Jahren die Texte. Sie lassen auch mal alles stehen und liegen, wenn Texte viel zu spät fertig werden und das Redaktions-Team – etwas übernächtigt – die Fehler nicht mehr sieht. Als letzte Kontrolle werden die Ausgaben jeweils kurz vor dem Druck von Ursina Helg, Evin Yesilöz, Daniela Gmünder und Irene Biberstein im Schlusskorrektorat nochmals auf die letzten Patzer und Vertipper geprüft. Und nicht zu vergessen: Silvan Heuberger, der die ganze administrative Arbeit bewältigt und Leserinnen und Leser auf charmante Art erinnert, das Abo zu bezahlen. Denn ohne die finanziellen Beiträge könnten wir den Druck des Magazins nicht bezahlen. Deshalb liebe Leserin, lieber Leser: Erzähl doch weiter, dass es das Coucou gibt und mit einem Jahresabo von 60 Franken unterstützt werden kann.

In guter Erinnerung ist mir auch noch das Coucou-Bicycle-Team: Jeden Monat, egal ob Schnee oder gleissende Hitze, verteilten in den ersten drei Jahren circa 15 Personen die Magazine mit dem Velo. Und dann sind da natürlich noch all die Autorinnen und Autoren sowie die Kunstschaffenden, ohne deren Einsatz die Ausgaben nicht zustande gekommen wären. Zusammengezählt wurde das Coucou in den letzten fünf Jahren von über 200 Personen begleitet, die ihr Herzblut für die monatlich über 52 Seiten Papier und Tinte vergossen haben. Herzlichen Dank an alle!

Dass das Coucou-Team heute professionell organisiert ist, auch wenn keine Löhne oder Honorare ausbezahlt werden können, ist dem Einsatz all dieser Menschen zu verdanken. «Ihr macht das ehrenamtlich?», ist die erstaunte Frage, die ich in den letzten fünf Jahren immer wieder gehört habe. Ja, machen wir. Und das immer noch von ganzem Herzen – auch wenn der Arbeitsaufwand in den letzten Jahren gewachsen ist. Allein 140 Stunden könnte ich jeden Monat aufschreiben, wenn ich die Stunden verrechnen würde. Wie viele Stunden es sind, die das ganze Team für eine Ausgabe leistet? Wohl einige hundert mehr.

Natürlich könnten wir einiges an Zeit einsparen, wenn wir das Magazin nur online herausgeben würden. Oder auch nicht alle zwei Wochen an den Redaktionssitzungen ausführlich über die Inhalte diskutieren würden. Doch genau die Auseinandersetzung mit den Themen für Artikel, das Hinterfragen von Konzepten und die Gespräche mit allen, die beim Coucou mitwirken, sind das, was am meisten Spass macht. Amüsante Anekdoten aus diesen Sitzungen könnte ich unzählige erzählen. Neben den schönen, gab es aber auch tragische Momente, wie der Tod von Hanspi, Rivka und Bruno, drei sehr engagierten Menschen, die das Coucou bis zuletzt unterstützten.

Das Coucou hat sich in den letzten fünf Jahren als Stadt- und Kulturmagazin für Winterthur etabliert. Das zeigt sich nicht nur in Gesprächen mit Kulturveranstaltenden, sondern auch daran, dass immer wieder neue motivierte und vor allem junge Menschen zum Team hinzustossen: Allein im letzten Jahr waren das Olivia Staub, Giulia Bernardi, Seline Dubach, Géraldine Waespi, Elena Willi, Anna Kunz, Nicola Bryner, Marcel Rubin, Luca da Rugna, Alain Angehrn und viele mehr. Einige haben eben erst die Maturität absolviert, andere studieren Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Ihnen eine Plattform bieten zu können, um erste Erfahrungen im Schreiben zu sammeln, sowie neue Herangehensweisen an kulturelle und gesellschaftliche Themen zu ermöglichen, ist mein ganz persönliches Anliegen. Und das mit einem Projekt wie dem Coucou seit fünf Jahren machen zu können, bedeutet mir unglaublich viel. Aber jetzt werde ich sentimental...

Themensprung! Soll ich doch eine Art Gespräch aufschreiben? Zwei Kuckucke, die zusammen darüber sprechen, wie so ein Magazin überhaupt zustande kommt? Ist das interessant? «Ja klar, du hast das Coucou schliesslich gegründet, um auch mal andere Textformen auszuprobieren!», mischt sich Kuckuck N°1 ein. Und Kuckuck §60 stimmt zu: «So mutig und experimentierfreudig, wie du damals in der §1 sein wolltest, warst du bisher noch nie!» Aber die Leserinnen und Leser... «Pfff, wer wegen eines experimentierfreudigen Artikels das Coucou-Abo kündet, hat was ganz Grundlegendes nicht verstanden: Menschen, die gerne schreiben, können nur besser werden, wenn sie schreiben. Es braucht eine Plattform, um sich auszuprobieren und auch mal zu scheitern. Also, mach einfach!»

 

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