Ein Selbstversuch

Eine Woche lang auf sämtliche Produkte aus Plastik verzichten ist ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Ein Experiment zu unserer Verpackungswut.

Plastiksack, Plastikfolie, Plastikbehälter, Plastikbeutel und dann, ganz unten liegen ein paar Salatblätter: Wie Schuppen fallen mir Plastikdeckel von den Augen, als ich an einem ganz normalen Tag über Mittag meinen Salat essen will. Wir leben in einer Wegwerfwelt. Einer Welt, in der der Salat mengenmässig neben der Verpackung zur Beilage verkommt. Wie konnte es so weit kommen?

Der Entschluss ist gefasst: ich versuche, eine Woche keinen Müll zu verursachen. Mit knapp 60 anderen Personen starte ich auf Facebook den Selbstversuch. Inspiriert von Lauren Singer aus New York. Sie lebt seit zwei Jahren abfalllos, hat inzwischen Ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt und vermarktet ihre Lebensweise. Aber wie funktioniert das in der Schweiz? Kann ich mein Leben beibehalten wie es ist? Gleicher Job, gleiche Essensgewohnheiten, aber von einem Tag auf den anderen keinen Müll mehr verursachen? Eigentlich komisch, dass dieser Selbstversuch überhaubt eine Herausforderung sein soll, denn Verpackungen braucht man ja gar nicht. Und das Meiste wird es wohl auch als plastikfreie Alternative geben. Denke ich noch.

Tag 1

Es ist ein bisschen wie in einer neuen Stadt zu leben: Der Take-away-Kaffee in meinem Stammcafé verursacht zu viel Müll, also beschränke ich mich auf ein Gipfeli. «Ohne Tüte und ohne Serviette, bitte.» Ich werde schon leicht schräg angeschaut. Den Kaffee kann ich mir dann erst im Büro aus dem Automaten lassen. Ich merke aber gleich, irgendwer vor mir hat die Kaffeebohnen aufgefüllt und die Verpackung in den Müll geschmissen. Darf ich den Kaffee überhaupt trinken? Ich bespreche es auf Facebook mit den anderen Teilnehmenden. Ja, ist die Antwort. Wir beschränken uns also beim Experiment auf direkt verursachten Müll. Sonst müssten wir ja eine Woche fasten, denn irgendwann war ja fast alles mal verpackt.

Beim Mittagessen klappt es hervorragend. Ich habe ein Tuperware dabei, wo meine Suppe aus dem Take Away hineinkommt. Brot, Mandarine und Wurst trage ich in der Hand. Geht ja ganz easy.

Beim Nachtessen wird es komplizierter. Pasta, die ganz ohne Plastik verpackt ist? Im Migros oder Coop Fehlanzeige. Im Bachsermärt in der Kalkbreite in Zürich kann ich mir Pasta ohne Verpackung aus einem Abfüllautomaten rauslassen. Das Wägen vergesse ich zuerst, sonst tut man ja das meistens nur beim Gemüse und den Früchten. Der Aufkleber mit dem Preis für die Pasta bleibt das einzige Verpackungsmaterial, bei dem ich noch nicht weiss, wie und ob es sich recyceln lässt. Aber ich bin optimistisch für die bevorstehenden Tage. Es ist minim aufwändiger unverpackte Lebensmittel zu bekommen, aber am ersten Tag habe ich noch nichts vermisst. Doch habe ich auch kaum etwas gekauft, das über mein Mittagessen und Nachtessen hinausging. Die Zahnpaste ist bald leer und am zweiten Tag sollte ich vielleicht doch mit Duschmittel und Shampoo duschen, nur mit Wasser wird nicht eine Woche reichen und auf Deo zu verzichten ist keine Option.

Tag 7

Nach einer Woche ist der Abfalleimer aus meinen Gedanken verschwunden. Ich benutze ihn nicht mehr. Nicht einmal, um schnell die Papiertüte zu entsorgen, in der ich Maroni gekauft habe; auch nicht um die PET-Flasche wegzuwerfen, weil gerade keine PET-Sammelstelle zur Hand ist. Ich packe alles in meinen Rucksack und entsorge es später fachgerecht.

Mittlerweile habe ich allen aus meinem Umfeld von dem Experiment erzählt. Der Chef macht schon geübt einen Bogen um mich herum, wenn er mal wieder Schokolade im Büro verteilt. Und einige Freunde beginnen, mich zu überprüfen. «Hast du daran gedacht, dass diese Bierdose in Plastik eingepackt war?» Mist, dann halt kein Bier.

Beim Einkaufen geht das inzwischen wie von alleine. Ich achte nicht mehr auf schöne, glänzende Verpackungen. Mit dem Scannerblick durchsuche ich die Läden nach Papier-, Karton- und Aluverpackungen. Hin und wieder eine PET-Flasche. Wenn immer möglich bediene ich mich im Offenverkauf. Auf dem Markt oder in kleinen Bioläden bekomme ich fast alles unverpackt. Einige Abstriche muss ich jedoch machen: Butter, Joghurt, Süssigkeiten. Kaugummis gibt es eine Woche lang nicht, denn die bestehen ja schon aus Kunststoff. Auch WC-Papier finde ich nicht ohne Plastikfolie. Ein Glück, dass ich genügend Vorrat habe.

Hygiene- und Kosmetikprodukte sind eindeutig der schwierigste Teil des Experiments. Beim Taschentuch geht es ja noch. Auch mein Vater benutze eines aus Stoff, also zurück zu den Wurzeln. Schwieriger wird es bei Deo, Shampoo et cetera. Zum Duschen verwende ich Seife, die gibt es im Supermarkt in Karton verpackt. Aber Schampo und Deo erweisen sich als Knacknüsse. Fündig werde ich bei LUSH, einer Kosmetikmarke aus England, die sich auf biologische, natürliche Produkte spezialisiert hat. Gut für mich: Das gilt auch für die Verpackungen. Aber auch andere kleinere Geschäfte bieten handgemachte Hygieneprodukte im Offenverkauf an. Mein neuer Deo sieht aus wie eine Seife und riecht gut. Mein Shampoo ist auch eine Art Seife. Da gewöhne ich mich schnell daran. Anders die neue Zahnpaste. Eine kleine runde Pille, die ich zerkaue. Das ist dann etwa so, wie wenn man eine Tiki-Brause isst und damit die Zähne putzt. Bis zum letzten Tag des Experiments eine eklige Angelegenheit.

Das Geständnis

In den ersten Tagen war ich noch aufgeregt, hatte Angst, in eine Falle zu laufen. Nach einer Woche ist das kein Thema mehr. Ich kann überleben! Und neue Produkte zu entdecken, um Abfall zu vermeiden macht mir inzwischen richtig Spass. Aber Hand aufs Herz: Eine Woche ganz auf Plastik zu verzichten habe ich dennoch nicht geschafft. Den Plastikverbrauch ohne Umgewöhnungszeit einzustellen, ist fast unmöglich und vor allem extrem aufwendig. Hingegen ist es recht einfach, seinen Plastikverbrauch massiv zu reduzieren.

Meine persönliche Plastikbilanz der Woche ist folgende:

2 Plastikfolien von abonnierten Magazinen, die per Post kamen

1 Plastikfolie aus dem Offenverkauf

60 cm Zahnseide

3 Plasikfenster von Couverts

ca. 8 plastifizierte Preisetiketten von der Waage im Supermarkt

 

Verzichten musst ich dabei auf relativ wenig: ein paar Schokoriegel, Joghurt und Butter. Auf jeden Fall kein Grund, um am Ende dieses Versuchs in den Laden  zu rennen und all diese Produkte in Verpackung zu kaufen. Für das meiste habe ich inzwischen eine gute unverpackte Alternative gefunden und die Wegwerfverpackungen an sich vermisse ich nicht.

Übungssache

Man macht sich keine Vorstellungen, was alles im Plastik steckt. Eine Packung Reis, Pasta oder Joghurt im Glas, da braucht es doch keinen Plastik, könnte man meinen. Aber fast alle Produkte sind mit Sichtfenstern aus Plastik versehen (Reis und Pasta) oder zumindest der Deckel ist aus Plastik (Joghurt im Glas). Auch Glasflaschen mit Aludeckel haben im Deckel drin eine Plastikbeschichtung. Aber zugegeben, das ist nur ein Detail, wenn wir uns nochmals den Take-away-Salat von ganz am Anfang in Erinnerung rufen.

Es gibt Dinge, die bekommt man bei uns nicht plastikfrei verpackt, aber es sind wenige. Das meiste gibt es auch unverpackt. Aber auch der Offenverkauf ist nicht gleich Offenverkauf. Im Migros durfte mir die Verkäuferin den Käse nicht ins Tupperware geben, das ich mitgebrachte. Hier dürfen Produkte nur ins plastifizierte Käse- oder Fleischpapier verpackt werden. Warum wird der Käse dann aber überhaupt offen angeboten? Das ist mehr Schein als Sein. Anders in kleinen Läden, in Käsereien, Reformhäusern. Da stösst man auf Verständnis für wiederverwendbare Verpackungen.

Am Ende des Tages kaufen wir doch jene Produkte, die wir kennen. Wir sind Gewohnheitstiere und können uns nicht immer über Verpackungen den Kopf zerbrechen. Aber manchmal reicht es schon, anders einkaufen, um die Gewohnheit zu ändern. Ich bin sicher, einiges, das ich diese Woche gelernt habe, wird zu einer Gewohnheit. Ein möglichst plastikloses Leben ist nicht schwierig. Wenn man die Produkte mal kennt, dann geht es wie von alleine.

  

Tipp-Auswahl für ein möglichst abfallarmes Alltags-Leben in Winterthur:

– Hygiene und Kosmetik: LUSH, Marktgasse 58, 8400 Winterthur
– Mittagessen: Äss-Bar, Backwahren vom Vortag (auch unverpackt), Technikumstrasse 50, 8400 Winterthur
– Einkaufen: Bare Ware in der Steinberggasse, Gemeinschaftskühlschrank Restessbar, Rägebogelade, oder die Wochenmärkte.
– Kleider: Caritas Secondhand-Kleiderladen (keine plastifizierte Preisschilder), Steinberggasse 54, 8400 Winterthur

 

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