Sleaford Mods – das sind zwei Typen aus Nottingham. Auf dem Bühnenparkett schaut der eine grimmig rein und pöbelt rum, der andere trinkt Bier und hantiert mit seinem Laptop. Wer mit Wörtern wie «Scheisse», «Pisse», «Fotze» und «Wichser» ein Problem hat, sollte sich ihre Musik besser nicht anhören. Denn gerade mit, dank oder trotz solcher Worte und allerlei wütenden Schimpftiraden haben Jason Williamson und Andrew Fearn 2014 den musikalischen Durchbruch geschafft. Wo immer die beiden Mittvierziger auftreten, tobt die Menge zum Soundmix aus politischem Rap und Punk. Aktuell ist das Duo erfolgreicher denn je. Ihre Shows sind in Grossbritannien nahezu restlos ausverkauft. Die Band wird als Stimme des Prekariats gefeiert: Mit ihren harschen, minimalistischen Beats und dem fluchenden Gepöbel begeistern sie zudem seit drei Jahren die Feuilletons der grossen Zeitungen – auch in Deutschland und der Schweiz. Sie sind «die wütendste Band Grossbritanniens» oder «die ersten echten Punks seit 1976», die gegen den Adel, gegen Banker und Politiker schimpfen und über eine Gesellschaft rappen, die aus den Fugen geraten ist. «Tied Up in Nottz» war 2014 das Stück der Stunde, in dem es über die Stadt Nottingham heisst: «The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon» – der Geruch des Urins ist so streng, er riecht wie Speck.
Nottingham ist eine runtergekommene, trostlose Stadt, in der eigentlich niemand Bock hat zu leben. Womöglich wegen dem Pissegeruch gründete Jason Williamson 2006 die Sleaford Mods. Damals hielt sich der Sänger mit verschiedensten Jobs irgendwie über Wasser. Sein Leben war geprägt von Alkoholrausch, Drogen und kaputten Beziehungen. Er führte ein Leben, wie es viele in Grossbritannien führen: kein Geld, gefangen im Vorort, in dem es nichts als eine Kneipe und zwei, drei Supermärkte gibt. Eines Abends schrieb er sich seine Verzweiflung und Existenzängste von der Seele. Simon Parfrement lieferte die Lo-Fi-Beats dazu. Die ersten Songs und selbstgepressten Alben folgten. 2012 übernahm Andrew Fearn die Produktion der Beats. «Austerity Dogs» (2013), «Divide and Exit» (2014) und «Key Market» (2015) erschienen. Mit den letzten drei Alben brachten Sleaford Mods ihre Unzufriedenheit auf den Punkt und trafen damit den Nerv der Zeit. Und auch mit ihrem neusten Album «English Tapas» (2017) beschreiben sie das aktuelle Zeitgeschehen treffend mit ihrer typisch kritisch-direkten Art.
Das Bild zum Brexit
Englische Tapas, das sind schottische Eier mit Pommes Frites, Sellerie und Gewürzgurken. «Das Album ist unser Kommentar zur grotesken englischen Alltagskultur», sagte Williamson in einem Interview. Sein Bandkollege Andrew Fearn habe die «English Tapas» tatsächlich in einem Pub auf der Speisekarte entdeckt. «Das ist so typisch Englisch: etwas Feines aus einer anderen Kultur zu nehmen, in diesem Fall spanische Tapas, und dann auf brutalste Weise umzudefinieren. Die ‹English Tapas› repräsentieren diese furchtbare Seite von England: billig, schrill, hässlich, lachhaft und ignorant», erklärt Williamson.
English Tapas – das ist auch ihr Bild zum Brexit. Williamson bringt in den Songs die Wut und Unzufriedenheit über miese Jobs, über die dumpfe Austeritätspolitik der britischen Elite und die nicht weniger dumpfen Tweets der Masse zum Ausdruck. Auf dem Album beschreiben Sleaford Mods den Zustand von Grossbritannien nach dem Brexit. Denn das ist die grösste Stärke des Duos: Es reagiert blitzschnell auf das, was aktuell ist. Jason Williamson nutzt für seine Texte eine politisch unkorrekte Sprache, trägt sie in fürchterlichem East-Midlands-Dialekt vor und schlägt sich so auf die Seite der Unterdrückten des Landes. Er selbst war kurzzeitig Labour-Mitglied, flog jedoch raus, nachdem er einen Abgeordneten der Partei auf Twitter als «prätentiöse Fotze» beschimpft hatte. Sleaford Mods kämpfen gegen Korruption und gegen eine Politik, der die Chancengleichheit, Bildung und medizinische Versorgung «am Arsch» vorbeigeht. Das Duo aus Nottingham weigert sich, Wut und Empörung dem rechten Populismus zu überlassen. Stattdessen zeigt es durch seinen Protest, dass sich negative Energien auch in etwas Produktives übersetzen lassen. «Britkotz» gegen verlogenen Britpop, so könnte man zum Beispiel ihre Reaktion auf die britische Musikindustrie bezeichnen.
Klar, man könnte die Sleaford Mods auch als zynische Prolls bezeichnen. Aber neben dem Ärger über all die «Wankers», «Twats« und «Cunts» da draussen, angefangen beim britischen Ex-Premier David Cameron bis hin zu den anonymen Trolls von nebenan, nimmt das Duo auch sich selbst auf die Schippe. Allein der Name ist ein grandioser Witz: Sleaford ist ein kleines Bauernkaff in der Nähe von Grantham, dem Heimatort von Margaret Thatcher, in dem auch Jason Williamson aufgewachsen ist. Mods bezeichnet eine Subkultur, die in den frühen 1960er-Jahren aufkam. Die Jugendlichen versuchten mit stilvollen Anzügen ihre Herkunft aus der «lower class» aufzuheben. Der Humor von Sleaford Mods ist sehr britisch: «Manchmal ist das auch bloss Quatsch, den nur Leute aus Nottingham kapieren», sagte Jason Williamson in einem Interview mit der «Zeit» und fügte an: «Wir nehmen uns selbst nicht ganz ernst. Warum sollte das Publikum das tun?» Allein schon, dass die beiden auf der Bühne stehen und ihren Sound von einer Laptop-Playlist abspielen, sei ein irrer Witz.
Punk ist, was du draus machst
Wenn Sleaford Mods auf der Bühne stehen und einen Knopf drücken, ist das eine Haltung. Sie verzichten auf Videos im Hintergrund, sie stehen einfach da, die Leute müssen sie ansehen und sehen sich vielleicht dadurch auch selbst. Punk ist, was du draus machst. Das beste Beispiel dafür ist Mark Wynn, der am 11. Mai als Vorband von Sleaford Mods im Salzhaus auftritt. Er gilt als einer der besten Gitarrenspieler in England, doch auch er hat sich der Musikindustrie entzogen, macht Do-It-Yourself-Punk vom feinsten, verkauft selbstkopierte Fanzines und billige Lo-Fi-Aufnahmen. Die mit grosser Geste vorgetragene Verweigerung zeigt sich bei ihm aber vor allem in seinen Live-Performances. Bei seinen Shows kann alles passieren. Es kann sein, dass er zum Playback seiner Songs strippt, irgendeine Pop-CD abspielt, über die Songs «This is a Cover» brüllt oder in einem Sessel sitzt und Gedichte rezitiert.
Sleaford Mods (UK) und Mark Wynn (UK)
Donnerstag, 11 Mai, 20 Uhr
Eintritt: CHF 38
Salzhaus
Untere Vogelsangstrasse 6
www.salzhaus.ch