Der Traum von der Badewannenmoschee

Mit dem Wegzug der Stadtpolizei wird 2022 beim Obertor viel Raum frei. Pläne für ein Luxushotel oder ein Wellnessbad gibt es bereits. Doch was braucht Winterthur in fünf Jahren?

Es war eine Sensation, als 1864 die Bade- und Waschanstalt an der Badgasse 6 eröffnete: Zwölf Badewannen aus Carrara-Marmor, zwei Duschzellen, sieben Wasserklosetts sowie eine Wäscherei mit Waschmaschine und Warmlufttrocknern bot das Haus, das Stadtbaumeister Karl Wilhelm Bareiss zu Zeiten errichtet hat, als es in den meisten Häusern noch kein fliessendes Wasser gab. Der Anlage war zudem ein türkisches Bad angegliedert, das mit zwei Schwitzräumen sowie einem Hallenbad (dem ersten und bis 1906 auch einzigen in der Schweiz) ausgestattet war. Das bis zu 1,8 Meter tiefe Becken war einem natürlichen Teich nachempfunden. Malereien verschönerten die Wände. Wegen seines orientalischen Baustils und des als Minarett gestalteten Hochkamins nannten die Winterthurerinnen und Winterthurer das Haus «Badewannenmoschee». 1915 hatte die Badeanstalt ausgedient – sie war 1911 vom neu eröffneten Hallen- und Freibad Geiselweid abgelöst worden. Bis 1975 wurde das Haus als Gastlokal, in dem man Zwangsversteigerungen durchführte, genutzt. Danach zog die Stadtpolizei in das Gebäude – der Hochkamin war zu diesem Zeitpunkt bereits abgerissen und die Innenräume des Bades zu Büros umgebaut worden.

Nun könnte die «Badewannenmoschee» wieder auferstehen. Das sieht zumindest eine Projektstudie vor, die seit vier Jahren in den Schubladen der Winterthurer Stadtplaner schlummert. Laut einem Artikel des Landboten wurden diese Pläne wieder hervorgeholt. Darin erklärt Stadtplaner Mark Würth, dass die ehemalige «Badewannenmoschee» gemeinsam mit dem Polizeihaupthaus umgenutzt werden soll. Denn nachdem bei der Abstimmung im November 2016 der Baukredit für das neue Polizeigebäude angenommen wurde, zieht die Stadtpolizei im Jahr 2022 definitiv aus den Gebäuden am Obertor und an der Badgasse aus. Geplant war dieser Umzug eigentlich vier Jahre früher – wegen der städtischen Sparmassnahmen wurden aber die Abstimmung verschoben und die bereits 2012 ausgearbeiteten Pläne auf Eis gelegt.

Wer sich schon freut, sich in fünf Jahren in den «Badewannen» im neuen und alten türkischen Bad zu entspannen, freut sich jedoch zu früh. Die Projektstudie ist noch nicht bis ins letzte Detail durchdacht. Sie war nur eine aufwendige Vorplanung für das Quartier «ObertorPlus» und bezog auch die – inzwischen bereits wieder vermieteten ­– Fortuna-Liegenschaften zwischen Obertor und Stadthausstrasse mit ein. Die Stadt will nun innerhalb von sechs Monaten abklären, ob die möglichen Betreiber, die sich vor vier Jahren gemeldet hatten, noch immer interessiert wären. Neben den in der Vorplanung entwickelten Ideen gibt es aber auch noch andere Visionen für das Areal: Personen aus dem Kreis der Kulturlobby haben im Dezember Ideen gesammelt und diskutieren diese nun in Arbeitsgruppen.

Drei Ideenstudien – eine Idee

Aber der Reihe nach: Ein Bericht mit dem Titel «Ideenstudie mit drei interdisziplinären Teams» dokumentiert die 2012 entwickelten Visionen für das Polizeiareal und das umliegende Gebiet – total umfasst es 6100 Quadratmeter. Weil einige der Gebäude im kantonalen Denkmalschutzinventar sind, ist die Planung allerdings eingeschränkt: Nicht alles darf abgerissen und überbaut werden. Die drei Studien basieren auf ähnlichen Nutzungskonzepten: Das Haus zum Adler (Empfangsgebäude der Stadtpolizei) soll nach dem Vorschlag des ersten Teams kommerziellen genutzt werden: Restaurant, Herberge, Wohnungen für Studierende, Ateliers für Kunstschaffende. Dabei würde aus dem früheren Stadtbad mit orientalischer Architektur ein türkisches Bad – ein Hammam – entstehen und der Polizeihof in den öffentlichen «Neustadtplatz» umgewandelt und mit einem Wasserspiel aufgewertet werden. Zuletzt soll ein künstlicher Bach vom Graben durch den Inneren Rettenbachweg in den Neustadthof fliessen und damit einen historischen Bezug zum früheren Rettenbach herstellen. Das zweite und das dritte Team konzentrieren sich beide auf ein Boutique-Hotel mit teurem Restaurant sowie ein Gesundheitszentrum inklusive Hammam. Ein Team sieht den Polizeihof als «halböffentlich zugänglicher Frei- und Ruheraum für die Anwohner» vor; das andere will das Wohnungsangebot mit einem sechsstöckigen Neubau im Hof vergrössern.

2013 veröffentlichte das Planungsgremium einen Schlussbericht zur Testplanung. Das Fazit: Das Konzept eines Boutique-Hotels mit Gastronomie sowie Aussenterrasse in Verbindung mit einem Hammam/Wellnessbad hat die Stadtentwickler überzeugt. Die Idee, das Areal zum «Nischenstandort für regionale Gesundheitsangebote» zu entwickeln, wird als identitätsstiftend für das Quartier eingeschätzt. Als nächster Schritt wollte das Gremium prüfen, ob es Private gibt, die Hotel und Hammam zusammen betreiben würden. Denkbar sei wegen der beschränkten Fläche auch, einen Anbau im Polizeihof zu realisieren. Eben diese Abklärungen wurden nun 2017 wieder in Angriff genommen.

 

Schneidet sich die Stadt in ihr eigenes Fleisch?

Der Schlussbericht der Stadt lässt vermuten, dass einmal mehr ein wirtschaftliche Konzept favorisiert wird. Wie sinnvoll ist es aber, sich auf ein Boutique-Hotel inklusive Gastronomie zu konzentrieren? Die Geschäfte an der Marktgasse, Obertor und in der Neustadtgasse richten sich nicht an wohlhabende Touristen. Ein luxuriös eingerichtetes Hotel und ein teures Restaurant zu bauen, macht sich vielleicht als Argument für das Standortmarketing der Stadt gut, wird aber kaum dazu führen, dass das lokale Gewerbe mehr Kundschaft hat. Zudem ist der Innenausbau des Hauses zum Adler zu einem Hotel mit hohen Investitionskosten verbunden. Und in den letzten Jahren hat sich die Stadt schon mehrfach auf Projekte konzentriert, die wirtschaftlich erfolgsversprechend schienen, aber – Stichwort: Archhöfe, Lokwerk und Kesselhaus – bisher wenig Kundinnen und Kunden anlockten. Schneidet sich die Stadt mit solchen Plänen nicht ins eigene – und das heisst auch: in unser – Fleisch?

Bei einem öffentlichen Platz mit einem Wasserspiel würden ohne Zweifel Unterhaltskosten anfallen. Die Floskel, dass die Idee «aus funktionaler und wirtschaftlicher Sicht nicht vollständig durchdacht wirkt», genügt allerdings nicht als Begründung, warum ein an sich spannendes Konzept nicht weiterverfolgt werden soll. Auch der Vorschlag des ersten Teams, den freiwerdenden Raum der Kreativwirtschaft und Start-ups für Zwischennutzungen mit tiefen Mietpreisen zur Verfügung zu stellen und studentisches Wohnen sowie Laden- und Gastronomiefläche anzubieten, wurde mit dem Argument «Wird dem Potential dieser Lage nicht genügend gerecht» abgetan.

Das Potential, das die Gebäude und der Polizeihof der Stadt bieten, liegt darin, den Stadtteil zu einem belebten Quartier zu machen und damit die Wünsche der Bewohnerinnen und Bewohner von Winterthur zu berücksichtigen. Die Nachfrage nach einem zweiten Hallenbad in der Stadt ist da, die Idee eines türkischen Bades scheint daher durchaus den Bedürfnissen gerecht zu werden. Was der Altstadt fehlt, ist ein Ort zum Verweilen: Zwar ist der historische Kern von Parks umgeben, innerhalb der Stadt aber gibt es abgesehen vom Kirchplatz kaum Ruheorte. Ein begrünter Platz würde dazu beitragen, dass der Stadtteil nicht mehr nur auf dem Weg in die Altstadt passiert wird, sondern Leben einkehrt. Er würde das Stadtbild und -ambiente aufwerten, was den Tourismus ebenso positiv beeinflussen könnte. Und Winterthur käme so zu einem weiteren attraktiven Ort für kleinere Veranstaltungen wie Openair-Filmvorführungen, Akustik-Konzerte oder Lesungen.

Auch Personen aus dem Kreis der Kulturlobby haben wie bereits erwähnt das Potential des Ortes erkannt. Ideen gibt es viele. Die interessanteste davon könnte ein Kulturhaus mit Ateliers für Kunstschaffende, Büros für die Kreativwirtschaft, Räume für kleinere Veranstaltungen und einem Café sein. Es den Ort nicht nur der Öffentlichkeit zugänglich machen, sondern Menschen Raum bieten, Ideen und Projekte zu verwirklichen und sich auszutauschen. Wichtig wäre aber, dass mit dem Konzept für ein Kulturhaus nicht gleich die Forderung nach Subventionen gestellt wird, sondern Pläne zur (Selbst-)Finanzierung bestehen. Von Vorteil wäre an der Verwirklichung eines Kulturhauses ausserdem, dass kurzfristig auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt reagiert werden könnte, ohne dass teure Investitionen notwendig würden. Gerade das Beispiel des Lagerplatzes zeigt, dass ein Ort auf interessante Weise umgenutzt werden kann, wenn die Projekte von Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt selbst umgesetzt werden – ohne grosses Budget, dafür mit Herzblut und am Puls der Zeit. Konkret heisst das: Statt in einem von einer Kette betriebenen Wellnesscenter könnte man in den bunt verzierten Räumen der neuen «Badewannenmoschee» entspannen und sich anschliessend auf dem Neustadtplatz mit Freunden zum Kaffee verabreden. 

 

Mehr Informationen zur Obertor-Plus-Testplanung

https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/planen-und-bauen/gebiets-und-arealentwicklung/testplanung-obertorplus

 

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