Zugegeben, ich hatte vor dem Konzert eigentlich schon einen Favoriten für die nachfolgende Konzertrezension. Ich dachte, falls Daughter so gut spielt, wie im Februar an ihrem ausverkauften Konzert im Kaufleuten in Zürich, wird die Band mit ihrem melancholischen Liedgut und den sphärisch-einhüllenden Melodien auch das MFW-Publikum wegtragen. Und Daugther, die Londoner Band mit dem Schweizer Gitarristen, enttäuschte nicht. Sie spielte Songs aus ihren beiden Alben «If you Leave» (2013) und «Not to Disappear» (2016), manchmal mit einem, an Coldplay erinnernden, oft gar zu wuchtigen Synthie-Klangteppich, der klang, als ob er die klare, feine Stimme von Sängerin Elena Tonra vor der Welt da draussen beschützen müsste, damit ihr Licht in der Dunkelheit sicher ans Ziel komme. Tatsächlich wirkte Elena Tonra auf der Bühne wie ein verschupftes Reh. Erst Igor Haefeli, der Gitarrist aus Neuenburg, schaffte es mit seiner Anekdote, dass ihm Winterthur viel bedeute, weil seine Grosseltern bis zu ihrem Tod hier gelebt hätten, das Eis zu brechen.
Vom einzig wahren Weltschmerz
In den besten Momenten sang Elena Tonra feengleich und ganz entrückt von der Welt vor sich hin. Man fühlte mit ihr die Emotionen, jedes Wort tat ein bisschen mehr weh als das vorherige. Drückende Winter, zugefrorene Herzen, zerstörte Lungen, die am Atmen hindern, das Warten in der Stille des Nichts, betäubte Empfindungen und das Gefühl, jemanden noch zu riechen, wenn er längst nur noch eine Erinnerung ist – eine einzige Wüstenlandschaft, die man da im Inneren mit sich herumträgt. Ganz nach dem Motto: «Nimm eine schlimme Situation und mach eine schlimmere daraus.» Nein, positiv sind die Texte von Daughter nicht. Wie auch, wenn die grossen musikalischen Vorbilder wie Jeff Buckley oder Ian Curtis längst tot sind? Was soll sich auf die Seele legen ausser Schwermut? Doch gerade darin liegt Daughter‘s Faszination. Zum einen ist es bemerkenswert, wie viele schöne Metaphern es für Einsamkeit und Leere gibt, andererseits schafft es Elena Tonra mit ihrer Stimme, der ganzen Schwere eine Leichtigkeit zu verleihen und uns ihren Weltenschmerz als das einzig Wahre zu verkaufen. Ein allumfassendes, wohlig-warmes Gefühl. Als ob man in einen tiefen Brunnen hinabstarrt und ganz unten auf dem Wasser, einen Lichtschimmer, eine kleine Wellenbewegung zu erkennen glaubt.
Einer, von dem noch Grosses zu erwarten ist
Der Schwede Elias, der als erster an diesem Abend die Bühne betrat, war nicht weniger geradeheraus in seinen Empfindungen. Auch seine Geschichten handelten von den ganz grossen Gefühlen, begleitet von symphonischen Klängen – einer besonderen Mischung aus elektronischen Beats und «old school»-Rocksound und zwei tollen Backgroundsängerinnen. Doch anders als bei Daughter beschrieb er nicht das Ende einer Liebe als das Ende von allem, sondern immer auch als Neubeginn von etwas. Dies war nicht nur in seinem Song «Revolution» zu hören, der in den Radiostationen weltweit bereits hoch und runter gespielt wurde. Wer den erst 18-jährigen bis gestern Abend noch nicht kannte, war vielleicht anfangs ein wenig skeptisch. Mit seinen schwarzen Schlabberklamotten und den (natürlich blonden!) halbrasierten Haaren, sah er aus wie einer, der es sich kurz vor der Entscheidung, Mönch zu werden, doch noch einmal anders überlegt hatte. Doch als die ersten Töne erklangen, musste man, wenn nicht beeindruckt, zumindest überrascht sein. Die rauchig-markante Stimme, diese sehr einzigartige Stimmfarbe, war eindringlich. Zudem hatte er wie eine Eins das Timing und die Phrasierungen im Griff, war schon lange vor der ersten Note im Groove eines Songs und nahm das Publikum sofort mit. Hier sang einer, von dem noch Grosses zu erwarten ist.
Anders, als erwartet
Die Stars des Abends kamen jedoch erst noch: Die Bandmitglieder von Tom Odell. Dass ein Gig, der nicht so läuft wie erwartet, doch auch seine Vorteile haben kann, davon überzeugten die Musiker sich selbst und auch alle anderen Anwesenden, auf beeindruckende Art und Weise. Erst lief jedoch alles, wie geplant: Tom Odell, der britische Singer-/Songwriter, der wie ein Gott Piano spielen kann, musikmässig also alles richtig macht, was man richtig machen kann, ergo natürlich auch ein Frauenmagnet sein muss, betrat pünktlich die Bühne, begleitet von minutenlangem Gekreische des vorwiegend weiblichen Publikums. Er setzte sich ans Klavier und legte los. Doch nach ein, zwei Songs, unter anderem «Another Love», war Schluss. Tom Odell meinte, er habe Stimmprobleme und könne vermutlich nicht weitermachen. Sprachs und verliess die Bühne, gefolgt vom Rest der Band. Zurück blieb ein einigermassen verdutztes Publikum, das erst nicht wusste, ob es einem Scherz, british-humour-like, aufgesessen war, oder wirklich schon ans Heimgehen denken musste. Derweil warf jemand auf der Bühne die Songlist in die Zuschauermenge, Fassungslosigkeit machte sich breit. Es wurde mitgeteilt, dass Tom Odell leider nicht mehr weitersingen könne, Stimme weg, Abend futsch. Oder vielleicht doch nicht? Eigentlich mehr das Ende vom Anfang. Denn die Band wollte weitermachen, mit tatkräftiger Karaoke-Sing-Unterstützung vom Pulbikum in der Steinberggasse. Tom Odell setzte sich mit einer Tasse Tee ans Klavier und haute in die Tasten. Der Drummer übernahm die meisten Gesangparts und das nicht einmal so schlecht. Und der Rest der Musiker zeigte, wie gut sie ihre Instrumente im Griff hatten. Am Schluss wurde Tabula Rasa gemacht, die Bandmitglieder spielten sich in Ekstase, das Publikum tanzte sich in selbige und man hatte das Gefühl, hier etwas Besonderem beigewohnt zu haben, das man so nicht alle Tage erleben wird: Ein einzigartiger Moment, der sicher noch lange im Gedächtnis haften bleibt.